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Politik

Braucht das Heilige mehr staatlichen Schutz oder brauchen Kritiker mehr Freiheit?

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Unter dem Eindruck der Anschläge von Paris fordern vor allem die FDP und linke Parteien eine Abschaffung des §166 StGB. Die CSU hingegen plädiert für eine Verschärfung der Bestimmung zum Schutz des öffentlichen Friedens.

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Sechs Tage nach den blutigen Terroranschlägen in Paris ist in den politischen Parteien des Landes weiterhin hektischer Aktionismus zu beobachten. Die Forderungen nach einer Adhoc-Gesetzgebung, die regelmäßig auf spektakuläre Verbrechen, Terroranschläge oder sonstige Katastrophen die Medien beherrschen, erstrecken sich diesmal auf mehrere Bereiche.

Neben der obligatorischen Debatte um eine Verschärfung der Sicherheitsgesetze ist diesmal auch der Paragraf 166 des deutschen Strafgesetzbuches ins Visier politischer Auseinandersetzung geraten. In den Debatten wird der Paragraf immer wieder fälschlicherweise als „Blasphemieparagraf“ betitelt. Die Bestimmung sieht für den Schutz des öffentlichen Friedens eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe für diejenigen vor, die öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer beschimpfen oder öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpfen.

In beiden Varianten muss die Tat in einer Weise begangen worden sein, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

Nach dem Terroranschlag auf die französische Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“, die sich regelmäßig durch aggressive Äußerungen und Darstellungen, die gegen religiöse Überzeugungen des Christentums, des Judentums und des Islam gerichtet waren, öffentliche Aufmerksamkeit zu erkämpfen versuchte, fordern die Grünen und die FDP die Streichung des Paragrafen 166 aus dem Strafgesetzbuch.

Gegner des §166 auch ganz links und ganz rechts

„Die Abschaffung des §166 StGB wäre ein unschlagbares Bekenntnis zur Meinungsfreiheit“, äußerte FDP-Chef Christian Lindner. „Künstler und Journalisten sollen wissen, dass wir ihre Freiheit und Unabhängigkeit gerade dann verteidigen, wenn sie unbequem sind.“ Satire verdiene Schutz statt Haftandrohung.

Auch die Grünen regten ebenso wie Die Linke bereits wiederholt eine Abschaffung des Paragrafen an. Die AfD hat zu dem Thema keine einheitliche Meinung. Während ein Teil der Partei konservative Wähler nicht durch eine solche Forderung abschrecken will, plädieren neben liberalen und libertären Kräften auch vor allem „Islamisierungskritiker“ für ein Ende des §166.

Eine Abschaffung des §166 stehe nicht zur Debatte, sagte hingegen der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Stephan Mayer, der „Welt“ (Dienstag): „Eher sollte über die Anhebung des Strafrahmens gesprochen werden als über eine Abschaffung des Paragrafen 166 Strafgesetzbuch.“ Das Beschimpfen religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse müsse „selbstverständlich unter Strafe gestellt bleiben“, sagte Mayer. „Wenn der öffentliche Friede auf diese Weise gestört wird, muss der Rechtsstaat dagegen vorgehen können.“

Auch der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU) wies die Forderung nach einer Streichung der Norm zurück. Der Paragraf schütze weder eine Gottheit noch religiöse Gefühle, sondern allein den „öffentlichen Frieden“. Dieser Schutzzweck habe „zweifellos eine hohe Bedeutung“, sagte Bosbach der „Welt“.

Zahl der jährlichen Verurteilungen im niedrigen zweistelligen Bereich

Bereits zuvor hatte der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner, der Zeitung gesagt, „gerade nach den schrecklichen Morden in Paris sehe ich keinen Anlass dafür, den strafrechtlichen Schutz von Religionsgemeinschaften zu reduzieren“. Überdies sei die „kriminalpolitische Relevanz dieses Paragrafen auch eher gering“. Einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen aus dem Jahre 2006 zufolge sei die Anzahl der Verurteilungen nach dem in Rede stehenden Paragrafen von deutschlandweit 24 im Jahre 1995 auf nur noch 15 im Jahr 2004 zurückgegangen. (KNA/dtj)