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Gesellschaft

Abgestoßen vom Mutterland: Auf der Suche nach einer neuen Heimat

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Die Hizmet-Bewegung versucht sich in Deutschland weiter der Öffentlichkeit zu öffnen. Nach zwei Terminen in Aschaffenburg und Geseke wurde in Düsseldorf eine Podiumsdiskussion veranstaltet, bei der auch kritische Stimmen und Erdoğan-Anhänger ihre Fragen stellen konnten.

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Die Hizmet-Bewegung (auch Gülen-Bewegung genannt) will sich in Deutschland weiter der Öffentlichkeit präsentieren. Dazu gab die Kooperationsplattform der vier Dialogvereine in Nordrhein-Westfalen, dialog.nrw, den offiziellen Startschuss. So versammelten sich vergangenen Donnerstag mehr als 130 Gäste in der Volkshochschule der Landeshauptstadt Düsseldorf, um an der Podiumsdiskussion zum Thema „Die Gülen-Bewegung (Hizmet) in NRW“ teilzunehmen. Moderiert wurde der Abend von Islamwissenschaftlerin und WDR-Journalistin Marfa Heimbach. Das Podium der Veranstaltung war prominent besetzt. Als kritische Stimme wurde Volker Siefert, Journalist beim Hessischen Rundfunk. Mit dem Bildungsforscher Prof. Dr. Heiner Barz von der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf wurde die Bildungsarbeit der Bewegung näher beleuchtet. Zudem stand Ercan Karakoyun als offizieller Vertreter der Hizmet-Bewegung in Deutschland auf dem Podium.

Auch AKP-Anhänger stellten kritische Fragen

Der Andrang war groß. Die anmeldepflichtige Veranstaltung, mit einer gesamten Sitzkapazität von etwa 100 Personen, wurde mit mindestens 30 weiteren Gästen auf den Stehplätzen ausgelastet. „Mit solch einem Andrang haben wir nicht gerechnet. Sonst hätten wir gerne auch einen größeren Saal angemietet. Wir mussten deshalb vielen Leuten absagen“, so Genç Osman Esen, Projektleiter von dialog.nrw.

Unter den Gästen waren auch Kritiker der Hizmet-Bewegung und Befürworter der Regierung des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan anwesend. Es entwickelte sich eine vielfältige und interessante Debatte. Allerdings gab es vor und während der Veranstaltung auch Personen, die nicht angemeldet waren und trotz überfülltem Saal unbedingt teilnehmen wollten. Schließlich mussten die Veranstalter Sicherheitskräfte wegen Störung des Hausfriedens heranrufen. „Inakzeptabel“ nannte Esen dieses Verhalten.

Der Bildungsexperte Barz erklärte bei seinem Impulsreferat über seine Befunde über die von Gülen-Anhängern gegründeten Bildungseinrichtungen, dass „zahlreiche Studien belegen, dass Kinder mit Migrationshintergrund nicht dieselben Chancen haben, wie Kinder ohne Migrationshintergrund“. Dabei fehle oftmals die interkulturelle Wertschätzung. Barz weiter: „Genau hier setzen die Hizmet-Schulen an und bieten eine Förderung, nicht nur, aber insbesondere von türkischstämmigen Schülerinnen und Schülern an“. Ferner zitierte der Professor auch erste empirische und wissenschaftlich belastbare Befunde der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die seit mehreren Jahren bereits in den Wohngemeinschaften der Hizmet-Bewegung forschen. Dabei seien die forschenden Wissenschaftler bislang zu dem vorläufigen Fazit gekommen, dass in diesen Wohngemeinschaften und auch den religiösen Hauskreisen – auch bekannt als die „Sohbets“ – keine Indoktrination stattfinde. 

Karakoyun: „Die Bewegung ist im Wandel“

Der Journalist Volker Siefert allerdings bemängelte an der Bewegung, dass er bei seiner Recherche über sie keine klaren Ansprechpartner gefunden und auf unbefriedigende Transparenz gestoßen sei. Zudem sei er oftmals über Texte irritiert, die auf Gülen zurückzuführen seien, die ihm seine türkisch-sprachigen Quellen gelegentlich oder bei Bedarf übersetzen. Dennoch sei Siefert in Bezug auf die Bewegung mit dem Begriff der Sekte unglücklich. „Ich mag diesen Begriff in Zusammenhang mit der Hizmet-Bewegung nicht. Ich sehe aber durchaus sektenartige Merkmale, z.B. eine strikte Hierarchie und der unkritische Umgang mit Gülen“. Dennoch seien seine Kritiken keinesfalls als persönliche Angriffe gedacht, sondern vielmehr kritische Anstöße, die letztlich der Bewegung selbst helfen könnten. Dass die Bewegung seit 2013 die druckwellenförmigen Angriffe aus der Türkei dazu genutzt hat, um sich im Sinne größerer Transparenz zu verändern und als Resultat dessen der Bewegung in der Person von Ercan Karakoyun ein Gesicht und eine Telefonnummer gegeben hat, findet Siefert in der journalistischen Zusammenarbeit sehr hilfreich.

In der nordrhein-westfälischen Hizmet-Gemeinde nimmt man diese Ansätze an. Dazu Genc Osman Esen: „Diese Kritikpunkte nehmen wir ernst. Ohne Kritik von Außenstehenden können wir uns nicht verbessern. Insofern finde ich es richtig, dass Herr Siefert diese Punkte ansprach.“

Auch Ercan Karakoyun, Vorsitzender der Stiftung Dialog und Bildung, die als Ansprechpartner für Fragen rund um die Hizmet-Bewegung gilt, nimmt Kritiken ernst. Insbesondere nach dem Putschversuch am 15. Juli sei dies in den Vordergrund gerückt: „Die Bewegung hat einen großen Wandel erlebt. Sie wird transparenter. Hierzu gehört auch, dass die Hierarchiestrukturen für Außenstehende eindeutig sein müssen“, so Karakoyun in Bezug auf die Ausführungen Sieferts. Karakoyun erzählte weiter, dass die mittlerweile 50-jährige Bewegung unter vielen Putschs in der Türkei gelitten habe und jedes Mal sich den neuen Bedingungen entsprechend transformieren musste.

Inwiefern sie sich dieses Mal verändern wird, bleibt abzuwarten.