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Politik

Ägypten: Ist der politische Islam tot?

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Nach dem Putsch in Ägypten werden die Doppelstandards offenbar, wenn Muslime durch Säkulare genau jenen Misshandlungen ausgesetzt werden, welche diese zu bekämpfen vorgeben. Nutznießer sind die radikalen und antidemokratischen Salafisten. (Foto: rtr)

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Ägypten: Ist der politische Islam tot?
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Ein aktuelles Bild, das aus Ägypten kommt, zeigt eine große, betende Gruppe in der Stadt Al-Arisch. Als diese zu Boden geht, um sich zum Gebet niederzuknien, eröffnen die Sicherheitskräfte das Feuer, verletzen und töten dabei mehrere Menschen. Noch viel jünger ist das Ereignis, im Zuge dessen die Sicherheitskräfte in eine betende Gruppe schießen, die sich gerade zum Abendgebet in der Stadt Kairo niederkniet, wobei mindestens 30 Menschen getötet und Hunderte verletzt werden. Die selbsternannten großen demokratischen Revolutionäre in Ägypten und der Welt reagieren weder beleidigt, noch sind sie empört. Was schockierend und beschämend zugleich ist: Sie schweigen.

Nach dem militärischen Putsch in Ägypten überschlagen sich viele Kommentartoren dabei, zu verkünden, dass dem politischen Islam der Gnadenstoß versetzt worden wäre, von dem sich solche Bewegungen nicht mehr erholen werden können. Das würde möglicherweise stimmen, wenn Mursi an den Wahlurnen besiegt worden wäre oder wenn er gezwungen worden wäre, aufgrund andauernden und nachhaltigen zivilen Ungehorsams diverser Bewegungen abzudanken. Jetzt, nachdem die ägyptische Armee die lang gepflegte Tradition einer gehorsamen Gesellschaft von Untertanen wiedererrichtet hat, indem sie eine gewählte, zivile Regierung stürzte, veränderte sich das Bild dramatisch. Jetzt, wo die Straßen Ägyptens wieder einmal im Blut von Zivilisten getränkt werden und die Gefängnisse voll von Andersdenkenden sind, müssen Gewinner und Verlieren in einer ganz anderen Vorgehensweise bestimmt werden.

Menschenrechte als Lippenbekenntnis

Die Realität zeigt, dass die Muslimbruderschaft an den politischen Prozess glaubte und versuchte, dessen Regeln einzuhalten. Wie die Islamische Heilsfront der Algerier vor ihnen glaubten sie, dass die Demokratie und der Islam vereinbar seien und dass es möglich sei, einen gemeinsamen Konsens mit Nicht-Muslimen zu schaffen. Die Muslimbruderschaft wurde immer wieder beschuldigt, auszugrenzen und einer Mentalität anzuhängen, die sie nur die Interessen ihr nahestehender Gruppen vertreten ließe. Komischerweise pflegen ihre Gegner einen nicht weniger ausschließenden politischen Diskurs, indem sie die Muslimbrüder als faschistisch und Nazis bezeichneten – eine Anschuldigung, die aus Sicht radikaler Säkularisten in etwa genauso schlimm ist wie die Bezeichnung als Ungläubiger und Verdammter für einen entschiedenen Muslim. Während die Muslimbrüder zeigten, dass sie keine Engel sind und in gleicher Weise der Fehlerhaftigkeit unterliegen wie ihre politische Konkurrenz, zeigten die ägyptischen Säkularen einmal mehr, dass ihr Bekenntnis zu Menschenrechten und bürgerlichen Werten bestenfalls eine Schönwetterangelegenheit ist.

Die ägyptischen Säkularen waren empört, als der Komiker Bassam Youssef von der Regierung Mursi bedrängt wurde, aber totenstill, als die einzige Fernsehstation, die der Muslimbruderschaft gehörte, ohne einen Rechtsgrund oder ein rechtsstaatliches Verfahren geschlossen wurde.

Sie waren entsetzt, als Mursi gegen die nichtexistierende Integrität und Unabhängigkeit des obersten ägyptischen Gerichtes verstoßen haben soll, aber sie blieben völlig ruhig, als das Militär eine Verfassung abschaffte, die eine Volkabstimmung (mit 63% Zustimmung) und die Hände der Exekutive, Legislative und der Judikative bis zu einem Richter passierte, der mit einer langen Karriere in den Diensten des autoritären Regimes Mubaraks prahlt. Das Schlimmste aber ist, dass ägyptische Säkulare immer dann empört waren, wenn ein Anti-Mursi-Demonstrant verletzt oder getötet wurde, allerdings jedes Mal die Ruhe in Person bleiben, wenn das gleiche Schicksal einen Muslim oder Mursi-Anhänger trifft.

Säkularisten als Spiegelbild der Islamisten

Was nach dem ägyptischen Putsch tatsächlich den Gnadenstoß bekommen hat, ist der gemäßigte Islamismus. Was ebenfalls einen Gnadenstoß versetzt bekam und zur Lachnummer gemacht wurde, ist die Idee der Menschenrechte in Ägypten. Die sogenannten liberalen Säkularen zeigten wieder einmal ihr wahres Gesicht und dass sie mehr denn je dazu bereit sind, erhabene Grundsätze zu vergessen, wenn es darauf ankommt, ihre „islamistischen“ Gegner schachmatt zu setzen.

Die sogenannten liberalen Säkularen nutzen die Sprache der Demokratie und der Menschenrechte auf dieselbe Art aus wie die Muslimbrüder die Symbole des Islams und der Scharia. Beide predigen etwas, das sie nicht praktizieren, aber beide verhalten sich so, dass sie ihre Predigten unterlaufen.

Wer geht also als Gewinner in Ägypten hervor? Die Menschen? Wohl nicht. Nach dem Putsch wurden bereits viele verletzt, getötet und inhaftiert und viele, viele mehr werden noch dazukommen. Auf Gewalt folgt Gegengewalt und Willkür und Gewaltherrschaft haben eine außergewöhnliche Weise, Metastasen zu bilden wie eine tödliche Krebserkrankung. Das Militär nützt dabei seine traditionellen Privilegien und seine gesamte Macht. Die abscheulichen und unzivilisierten Sicherheitskräfte Ägyptens sind es, die erst mal als Gewinner hervorgehen.

Wahhabiten mit Saudi-Unterstützung als Krisengewinner

Traurigerweise sind es die liberalen Säkularen selbst, die den Sicherheitskräften die Steigbügel dafür halten, indem sie jetzt wegschauen, wenn getötet, verhaftet und gefoltert wird. Plötzlich reden die Säkularen Ägyptens nicht mehr über die Polizeigewalt, die einst diese Revolution an allererster Stelle vorangetrieben hatte. Keiner redet über die Rechte von Khaled Said und der anderen, die zu Tode gefoltert wurden. In der Tat trugen die großen Revolutionäre während der Mursi-Demonstrationen die Beamten von der Amn Al-Dawla (ägyptische Geheimpolizei) auf ihren Schultern und jubelten schadenfroh darüber, dass die Massen und die Polizei eine Einheit seien.

Vielleicht haben manche schon gemerkt, dass eine Gruppe von Muslimen es ablehnt, Mursi zu unterstützen. Es ist dieselbe Interessensgruppe, die von Saudi-Arabien unterstützt wird und die von Bin Laden aufgebaut wurde. Saudi-Arabien setze alles daran, eine Regierung zu zerstören, die daran glaubte, dass der Islam mit der Demokratie vereinbar sei. Aber die Muslime, die unbeschadet davon gekommen sind und nun wachsen werden, sind wahhabitische Muslime, die nicht an Demokratie und an bürgerliche und Menschenrechte glauben. Sie sind Extremisten, die weiterhin daran arbeiten werden, in Ägypten einen Gottesstaat im Saudi-Style zu verankern.

Autoreninfo: Khaled Abou El Fadl (geb. 1963 in Kuwait) ist Jura-Professor an der UCLA School of Law in Los Angeles. Seine Gebiete umfassen Internationale Menschenrechte, islamische Jurisprudenz, Recht und Terrorismus, Islam und Menschenrechte, politisches Asyl und politische Verbrechen und Rechtssysteme. Er schreibt regelmäßig Fachartikel, die u.a. auf Aljazeera erscheinen.