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Politik

Kılıçdaroğlu: „Das größte Hindernis ist nicht die AKP, sondern Erdoğan“

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In Ankara ist die letzte Runde der Vorgespräche zur Regierungsbildung zu Ende gegangen. Die AKP gibt sich notgedrungen optimistisch, während die CHP schwere Vorwürfe gegen Präsident Erdoğan erhebt.

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In Ankara sind gestern am späten Abend die Gespräche zur Koalitionsbildung zwischen der AKP und der CHP zu Ende gegangen. Es handelte sich noch nicht um die finalen Koalitionsverhandlungen, sondern um die fünfte und letzte Runde der Vorgespräche, die die Ausdauer der Abgeordneten mit einer Dauer von sieben Stunden strapazierte. Die zwei Delegationen, die jeweils mit prominenten Mitgliedern beider Parteien besetzt sind, erörterten ihre Standpunkte und mögliche Kompromisse in den Themenbereichen Außenpolitik, Beziehungen zur EU und Bildungspolitik.

Auf der Grundlage der bisherigen Gesprächsrunden erarbeiten nun beide Delegationen Berichte für ihre Parteispitzen, denen sie diese voraussichtlich am Mittwoch vorlegen. Laut einem AKP-Delegierten habe man in den bisherigen Gesprächsrunden alle Themenfelder abdecken können, die man sich vorgenommen hatte und habe diese nun in drei Kategorien eingeteilt: solche, bei denen man sich einigen konnte; solche, bei denen man nicht auf einen Nenner kam und solche, bei denen die Entscheidung den Parteivorsitzenden überlassen bleibt. Diese treffen sich voraussichtlich im Verlauf der Woche, sollten die Berichte ihrer Meinung nach genug Spielraum für Koalitionsverhandlungen und eine folgende Regierungsbildung hergeben.

Selbstbewusster Optimismus auf Seiten der AKP, aber große Zweifel bei der CHP und Vorwürfe gegen Erdoğan

Der stellvertretende Premierminister Bülent Arınç gab sich optimistisch, dass eine Koalition gebildet werden kann, stellte jedoch umgehend heraus, dass man sich nicht auf die CHP angewiesen fühle: „Die andauernden Gespräche mit der CHP haben eine positive Phase erreicht. Ich glaube, dass die Punkte, die bisher negativ betrachtet werden, mit Herrn Kılıçdaroğlus [CHP-Vorsitzender, Anm. d. Red.] Hilfe ebenfalls gelöst werden können. Sollte jedoch der Tag kommen, an dem er sagt ‚Tut mir leid, aber wir bilden keine Regierung mit euch‘, dann werden wir Kurs auf die MHP nehmen.“

Besagter Kemal Kılıçdaroğlu zeigt sich bisher jedoch weit weniger optimistisch und hat laut einem an den Gesprächen Beteiligten, der mit der Tageszeitung Zaman sprach, mit seinen Äußerungen eine gereizte Stimmung bei den Treffen verursacht. Er hatte Staatspräsident Erdoğan vorgeworfen, entgegen seiner Kompetenzen Einfluss auf die Regierungsbildung zu nehmen und diese verhindern zu wollen, um Neuwahlen herbeizuführen. An Erdoğan gerichtet sagte er in einem Fernsehinterview am Sonntagabend: „Mein Freund, was bist Du eigentlich, Premierminister oder Staatspräsident? Warum mischst Du Dich in den Zuständigkeitsbereich des Premierministers ein? Premierminister Davutoğlu will aufrichtig eine Koalition gründen. Aber die Person, die auf dem Präsidentenstuhl sitzt, gibt dafür keine Erlaubnis. […] Er ist die Ursache aller Probleme. Um seinen eigenen Sitz zu retten, führt er das ganze Land ins Chaos.“

Mit dem letzten Satz bezog sich Kılıçdaroğlu über die weit verbreitete Annahme, dass die aktuelle Eskalation zwischen dem türkischen Staat, der kurdischen Terrororganisation PKK und dem IS ein politisches Manöver Erdoğans ist, um vor angestrebten Neuwahlen national gesinnte Wähler zurück zur AKP zu ziehen und die HDP weit genug zu schwächen, um sie unter die 10%-Hürde zu drücken.

Aktuelle Meinungsumfragen lassen kaum auf Verbesserung hoffen

Beistand erhielt Kılıçdaroğlu nicht nur von seinem Stellvertreter Utku Çakırözer, der gestern bekräftigte, dass die Chancen zur Bildung einer Koalition äußerst gering seien, sondern auch von jüngsten Umfragen. Das renommierte Gezici-Insitut hat neue Umfragewerte veröffentlicht, laut denen 70% der Bevölkerung die Bildung einer AKP/CHP-Koalition befürworten. Auch von den Befragten, die am 7. Juni die AKP gewählt haben, haben sich zwei Drittel dafür ausgesprochen, dass die AKP und CHP gemeinsam eine Regierung bilden. Auf die Frage, was denn der Grund dafür sei, dass immer noch keine Koalition zustande gekommen ist, antworteten demnach 56,8% der Befragten, dass Erdoğan die größte Hürde für die Regierungsbildung ist.

Der Präsident hält indes daran fest, klarzumachen, dass er nicht viel von einer Koalitionsregierung hält. Auf der Rückreise von seiner Ostasien-Tour bekräftigte er vor ausgesuchten Journalisten, dass eine Koalitionsregierung dem Land keine Vorteile bringe, es „aber möglich sei, eine Minderheitsregierung zu bilden, um vorgezogene Neuwahlen herbeizuführen“.

Dieselbe Gezici-Umfrage legt jedoch nahe, dass diese Strategie möglicherweise nicht aufgeht. Fast zwei Monate nach der Wahl hat sich nämlich an den Ergebnissen der einzelnen Parteien kaum etwas geändert. Die AKP legt zwar leicht zu und die HDP verliert leicht, jedoch in einem Ausmaß, das nichts an den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen im Parlament ändern würde. Stattdessen geht laut der Umfrage eine deutliche Mehrheit von 64,5% der Befragten davon aus, dass die derzeitige kritische Sicherheitslage bewusst von der Regierung herbeigeführt wurde, um nationalistische Wähler zurückzugewinnen und die politischen Gegner zu diskreditieren. Es sieht also im Moment noch danach aus, dass eine Neuwahl nichts ändern würde, außer die eigentlich unhaltbare momentane Situation zu verlängern, gegen zwei Feinde gleichzeitig militärisch vorzugehen, den Südosten des Landes an den Rand des Chaos zu bringen, während es nicht einmal mehr eine legitimierte Regierung gibt.