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Politik

AKP gegen Atatürk: Parlamentspräsident fordert Abschaffung des Laizismus

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Der Laizismus Atatürks gilt vielen Türken als eine heilige Kuh der Republik. Allein sich gegen ihn auszusprechen hat Generationen von Türken in Schwierigkeiten gebracht. Nun fordert der AKP-Parlamentspräsident, laut Verfassung der dritthöchste Staatsmann des Landes, erstmals öffentlich: Im Rahmen geplanten Präsidialsystems solle eine „religiöse Verfassung“ eingeführt werden, der Laizismus habe darin keinen Platz.

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Ismail Kaharaman
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Der türkische Parlamentspräsident und stellvertretende Premierminister Ismail Kahraman hat sich öffentlich für die Abschaffung des Grundprinzips des Laizismus in der türkischen Verfassung ausgesprochen. Auf der „Konferenz zur Neuen Türkei“ der „Union der Schriftsteller und Akademiker islamischer Länder“ (İslam Ülkeleri Akademisyen ve Yazarlar Birliği, AY-BİR), die gestern in Istanbul stattfand, sprach er in einer Rede von der Notwendigkeit, die Verfassung zu ändern und dabei grundlegende Prinzipien über Bord zu werfen.

„Die neue Verfassung muss den Menschen in den Mittelpunkt rücken“, sagte der AKP-Politiker und verwies darauf, dass die derzeitige Verfassung, die 1982 von den Militärs geschrieben wurde, keinen Gottesbezug hat. Dennoch sei sowohl die Verfassung von 1982 als auch die Vorgängerverfassung von 1961 nicht laizistisch, sondern glaubensbasiert. „Warum? Das Opferfest und das Ramadanfest sind staatliche Feiertage. Religionsunterricht ist verpflichtend und ihre Struktur basiert auf Glaubensinhalten. Also ist sie nicht säkular, sondern religiös. Daher sollte der Laizismus in einer neuen Verfassung keinen Platz haben“, so Kahraman.

Die Väter der türkischen Verfassung von 1961 nahmen sich als Vorbild das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, sie gilt als die liberalste Verfassung, die die Türkei je hatte. Das Grundgesetz hat einen Gottesbezug: Seine Präambel beginnt mit der Zeile „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen (…)“.

Laut dem Juristen sei die Türkei neben Frankreich und Irland das einzige Land, in dem das Prinzip des Laizismus in der Verfassung festgeschrieben ist. In der Türkei interpretiere den Laizismus jeder nach seinem Gutdünken, „Und das darf nicht sein. Unsere Verfassung darf sich nicht davor fürchten, eine religiöse zu sein. Sie sollte von Religion sprechen… Sie sollte eine neue und religiöse Verfassung sein.“ Zugleich sprach er sich für ein Präsidialsystem aus, wie es auch Staatspräsident Erdoğan seit langem fordert. İsmail Kahraman ist ein altgedienter Politiker des politischen Islam in der Türkei. Er entstammt der Milli Görüş-Bewegung, war Mitglied der Refah Partisi und der Fazilet Partisi und bereits Minister im Kabinett des islamistischen Premierministers Necmettin Erbakan 1996-97. Die AKP hat lange vorgegeben, sich von dieser Tradition gelöst zu haben und für eine Verbindung der Werte des politischen Islams und westlicher Demokratie zu stehen.

Kahramans Äußerungen haben heftigen Widerstand hervorgerufen. So äußerte sich der Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu über Twitter: „Der Sumpf im Nahen Osten ist das Werk von Politikern wie euch, die die Religion für politische Zwecke missbrauchen. Den Laizismus gibt es, damit alle ihre Religion frei ausüben können, İsmail Kahraman.“ Außerdem halte er die Debatte für unangebracht: „Jeden Tag verlieren wir Märtyrer, Raketen regnen über unseren Grenzen herab und ihr redet von Laizismus! Benutzt die Religion nicht, um eure dreckigen Rechnungen zu begleichen!“, schrieb der CHP-Politiker.

Der Laizismus, also die strikte Trennung von Staat und Religion, ist eines der fünf Grundprinzipien der Republik, die ihr Gründer Mustafa Kemal Atatürk festgeschrieben hat und gilt als ein Prinzip, das sich die Militärs zu verteidigen beauftragt sehen. Lange Jahre war es eines der zentralsten Streitpunkte der türkischen Gesellschaft und Politik, so beispielsweise in der Frage nach der Zulässigkeit des Kopftuchs an Universitäten und öffentlichen Gebäuden. Der AKP wird seit ihrem Bestehen vorgeworfen, das Verfassungsprinzip des Laizismus zu unterminieren und abschaffen zu wollen.