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Politik

Aleviten in der Türkei: Vor Gericht erfolgreich, in der Politik nicht

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Die Aleviten in der Türkei wollen Gleichberechtigung. Vor dem EGMR waren sie bereits erfolgreich, nur werden die Urteile nicht umgesetzt. Anfang der Woche stand ein Treffen mit dem Justizministerium an, aber nicht mal das klappt problemlos.

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In der Türkei hat die AKP-Regierung Staatsbediensteten ermöglicht, freitags am Freitagsgebet teilzunehmen und bekam dafür reichlich Beifall. Diese Verordnung hat sie als weiteren Schritt in Richtung Religionsfreiheit in der Türkei dargestellt. Doch es gibt auch religiöse Gruppen im Land, die mit dem derzeitigen Stand der Religionsfreiheit sowie mit den Entwicklung nicht zufrieden sind. Zu diesen Gruppen gehören die Aleviten.

Die Zahl der Aleviten in der Türkei wird auf 15 Millionen geschätzt. Sie sind eine heterogene Gruppe. Teile von ihnen sehen sich als eine Konfession innerhalb des Islams, andere Teile sehen sich außerhalb des Islams und verstehen das Alevitentum als eine eigenständige Religion. Das Verhältnis zwischen sunnitischer Mehrheit und alevitischer Minderheit ist seit jeher wechselhaft, von Zeiten friedlichen Miteinanders bis zu Zeiten von Pogromen (wie 1978 in Kahramanmaraş, 1980 in Çorum oder 1993 in Sivas). Der sunnitischen Konfession gleichgestellt war das Alevitentum in der Türkei jedoch nie. Am Montag und Dienstag sollten Vertreter  der Aleviten mit dem Minister für Justiz in der Türkei zusammenkommen und über Fragen sprechen, die den Aleviten unter den Nägeln brennen.

Probleme im Vorfeld des Treffens

Doch es sind Probleme aufgetreten, noch bevor das Treffen stattfand. So hat das Justizministerium entschieden, dass daran nicht der Minister selbst, sondern nur der stellvertretende Staatssekretär im Ministerium teilnehmen soll. Außerdem soll es kein Treffen mit Vertretern aller alevitischen Gruppen sein, sondern verschiedene Vertreter der Aleviten werden zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingeladen. So hätte am Montagmorgen ein Treffen mit Repräsentanten der Alevi-Bektaşi-Föderation angestanden, am Mittag mit Vertretern der Cem-Stiftung und am Dienstag mit Vertretern der Föderation Alevitischer Vereine.

Vertreter muslimischer Verbände in Deutschland hatten über lange Zeit geklagt, dass der deutsche Staat sie nicht ernst nehme und ihre Anliegen mit einer Hinhaltetaktik verschleppe. Es ist bezeichnend, dass auch der türkische Staat mit religiösen Minderheiten nicht besser umgeht.

Gabi Kaplan, Vorsitzender des Pir Sultan Abdal Kultur-Vereins stellt fest, dass die Aleviten stattdessen nach dem Kriterium ‚Haltung zur Regierung‘ in drei Gruppen unterteilt wurden und vermutet: „Offenbar wollte man nicht, dass die staatsnahen Aleviten durch unsere Forderungen verwirrt würden.“ Als Reaktion wollen die Aleviten an dem Treffen nicht durch die Vorsitzenden vertreten werden, sondern Repräsentanten unterer Positionen in ihren Einrichtungen entsenden.

Baki Düzgün von der Alevi Bektaşi-Föderation unterstreicht, dass die alevitischen Gruppierungen im Wesentlichen die gleichen Forderungen haben und es zwischen ihnen diesbezüglich keine Unterschiede gibt. Düzgün dazu: „Es gibt gemeinsame Forderungen von uns Aleviten, die wir unter dem Stichwort ‚gleichgestellter Bürger‘ formulieren. Unsere Forderungen lauten: Aleviten sollen als Religion anerkannt werden, den Cem-Häusern soll der gesetztliche Status als Gebetsräume zuerkannt werden, Madimak (das Hotel in Sivas, in dem bei einem Anschlag auf eine alevitische Veranstaltung 1993 insgesamt 37 Menschen gestorben sind, d. Red.) sollte ein Museum werden, obligatorischer Religionsunterricht sollte an den Schulen aufgehoben werden und der Assimilationspolitik gegenüber den Aleviten ein Ende gesetzt werden.“

Urteile des EGMR warten noch auf Umsetzung

Ginge es nach dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und würden seine Urteile in der Türkei umgesetzt, so wäre die Lage der Aleviten bedeutend besser. So werden in der Türkei beispielsweise die Stromkosten von Moscheen und anderen Gebetshäusern vom Staat übernommen. Alevitische Cem-Häuser gehören aber nicht dazu. Dagegen hatte die Cem Vakfı beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 2010 geklagt und Recht bekommen. Der Gerichtshof stellte in ihrem Urteil fest, dass die Aleviten in dieser Frage diskriminiert werden.

Ferner klagte die Cem Vakfı wegen des sunnitisch geprägten Ethik- und Religionsunterrichts, da er den alevitischen Glauben nicht ausreichend berücksichtige. Auch in der Frage gab der Gerichtshof in seinem Urteil vom September 2014 Aleviten Recht und stellte eine Diskriminierung fest. In diesem Fragen tut sich aber nicht viel, unter anderem weil die Aleviten – deren große Mehrheit säkular eingestellt ist – für die Regierung als Wähler mehrheitlich kein relevantes Klientel sind.

Es stimmt, dass die türkische Regierung hauptsächlich um die Belange der sunnitischen Mehrheit kümmert. Aber auch die Minderheiten und anderen Oppositionellen erzeugen bisher den Eindruck, als interessierten sie sich allein für die Anliegen ihrer jeweiligen Gruppen, anstatt sich zusammen zu tun und gemeinsam für Minderheitenrechte einzusetzen.