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Bildung & Forschung

„Als Kind habe ich mit meinem Taschengeld ein Mikroskop gekauft“

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Im Dezember erhielt der an der Ruhr-Universität Bochum tätige türkische Hirnforscher Onur Güntürkün das deutsche Pendant zum Nobelpreis. Für ihn ist der Preis ein Anreiz, weiter zu forschen, um „Fragen beantworten zu können“. (Foto: Marion Nelle,RUB)

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„Als Kind habe ich mit meinem Taschengeld ein Mikroskop gekauft“
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Von Fatih Aktürk, Düsseldorf
Der 1958 in Izmir geborene Güntürkün ist an Preise und Auszeichnungen gewöhnt. Vor dem Gewinn des „Leibniz-Preises“ (das DTJ berichtete) erhielt er 1993 den Gerhard-Hess-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft, 2006 die Wilhelm-Wundt-Medaille der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, 2007 den großen Spezialpreis der TÜBITAK (das türkische Äquivalent zur DFG), mit dem jährlich ein international hochrangiger türkischer Wissenschaftler ausgezeichnet wird. Güntürkün ist zu einem Mittler zwischen der türkischen und der deutschen akademischen Kultur geworden. Trotz der vielen Auszeichnungen richtet er seinen Fokus weiterhin auf die Forschung. Das DTJ sprach mit dem Biopsychologen über die kürzlich erfolgte Auszeichnung.

Wie haben Sie davon erfahren, dass Sie zu den Preisträgern gehören? Was haben Sie gemacht, nachdem Sie von dieser Nachricht Kenntnis erlangt hatten?

Ich habe einen Anruf von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bekommen, dem eine E-Mail-Benachrichtigung vorausging. Ich habe mich riesig gefreut und zuallererst meine Frau angerufen und ihr von der Nachricht erzählt.

Sie haben neben dem wichtigsten deutschen Preis auch andere, z.T. internationale Preise erhalten. War der Preis dennoch eine Überraschung für Sie?

Natürlich. Der Leibniz-Preis ist der höchstdotierte Preis in Europa für Wissenschaftler und ist sehr kompetitiv. Bei den Personen, die für den Preis vorgeschlagen werden, handelt es sich ausschließlich um exzellente Wissenschaftler. Überhaupt zu diesem erlauchten Kreis dazuzugehören, ist eine große Ehre. Unter diesen exzellenten Wissenschaftlern dann auch noch ausgesucht zu werden, ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Ich habe natürlich gehofft, dass ich ihn bekomme und wusste auch, dass ich nominiert war, aber ich habe nicht ernsthaft damit gerechnet, weil die Wahrscheinlichkeit, unter so vielen tollen Forschern ausgewählt zu werden, nicht sonderlich groß ist.

Sie haben viele Jahre in Deutschland und der Türkei verbracht. Wie war die Resonanz auf Ihren Preis? Haben sich auch Menschen aus der Türkei bei Ihnen gemeldet?

Es haben sich wahnsinnig viele Leute aus aller Welt gemeldet, natürlich schwerpunktmäßig aus Deutschland und der Türkei, aber auch aus Kanada oder aus Australien. Neben Medienvertretern waren es sehr viele Freunde und Kollegen von verschiedenen Universitäten. Aber auch ganz viele Menschen, die ich vorher nicht kannte und die von meinem Preisgewinn in den Medien erfuhren, haben mir geschrieben. In den ersten Tagen waren es geschätzte 500 Gratulationen, die ich via E-Mail und auf anderen Wegen erhielt. Die Menschen haben einfach ihrer Freude Ausdruck gegeben. Das ist wirklich ein wunderbares Gefühl.

Gibt es einen Preis, den Sie demnächst unbedingt erhalten wollen?

Ich glaube, der Leibniz-Preis ist eine ganz besondere Auszeichnung. Wenn man ihn erhält, bedeutet dies, dass ich mit meiner Wissenschaft im Wissenschaftssystem hoch anerkannt bin und das ist fantastisch. Und er gibt mir vor allem die Möglichkeiten und die Motivation, viele Dinge in der Wissenschaft, die mir wichtig sind, weiter zu erforschen.

Ich möchte aber eines klarstellen: Für mich ist es wichtig, Fragen beantworten zu können. Wenn man „zusätzlich“ den Leibniz-Preis bekommt, ist das natürlich etwas außerordentlich Besonderes. Aber im Kern arbeite ich selbstverständlich nicht für diese Preise, sondern dafür, dass ich bestimmte Fragen, die ich an die Natur stelle, auch beantworten kann. Das ist die eigentliche Genugtuung. Das heißt: Für mich ist es viel wichtiger, eine Funktionsweise des Gehirns verstehen zu können, als einen Preis zu bekommen. Aber Preise sind dennoch wichtig, denn sie dienen als Mechanismus, diese Fragen beantworten zu können. Deshalb ist es ein fantastischer Beruf, Wissenschaftler zu sein.

Der Preis ist mit 2,5 Millionen Euro dotiert. Haben Sie schon konkrete Pläne, was sie mit dem Geld machen wollen?

Das Preisgeld geht nicht privat an mich, sondern ist eine Forschungsförderung, über die ich frei bestimmen kann. Das heißt, dass ich mit diesen 2,5 Millionen Euro Forschung betreiben kann, aber selbstverständlich gegenüber der DFG über jeden einzelnen Cent Rechenschaft ablegen muss. Die DFG verlangt von mir konkrete Nachweise, für welche Projekte ich warum das Geld verwende. Konkret bedeutet das, dass ich mir über die Feiertage einige Strategien überlegen werde, wie ich über die nächsten sieben Jahre hinweg dieses Geld optimal für meine Forschung einsetze.

Apropos Forschung: Sie erforschen die neuronalen Grundlagen des Denkens. Wie würden Sie Ihr Forschungsthema und auch Ihre bisherigen Ergebnisse einem Laien erklären?

In einfacher Form bedeutet das, dass Sie beispielsweise jetzt meine Worte hören und dieses Gehörte in Bedeutung umwandeln. Diese Bedeutung führt dazu, dass Sie verstehen, was ich meine und sich in Ihrem Gehirn eigene Gedanken formen, aus der Sie dann Ihre Schlussfolgerung ziehen und mir eine Gegenfrage stellen. Dieser Vorgang kann zur Folge haben, dass sie sich morgen noch an unser Gespräch erinnern werden. Dieser Prozess spielt sich in Ihrem Gehirn ab und ist Teil Ihrer geistigen Welt. Ich möchte verstehen, wie diese Funktionen im Gehirn funktionieren.

Hatten Sie eigentlich auch schon als Kind den Traum, eines Tages mal Forscher zu werden?

Schon als kleines Kind habe ich kleine Käfer gefangen, diese mit Labyrinthen konfrontiert und geguckt, wie sie mit ihnen zurechtkommen. Ich habe geschaut, ob meine Aquarienfische Farben sehen können und habe versucht, das auf der Grundlage von Experimenten herauszufinden. Für kleine Tätigkeiten im Haus gab mir meine Mutter immer ein bisschen Taschengeld. Dieses Geld habe ich angespart und mir ein Mikroskop gekauft. Damit habe ich mir die Dinge angesehen, die ich mit dem normalen Auge nicht sehen konnte. Das Gesehene habe ich dann in Zeichnungen festgehalten. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich jemals etwas anderes gemacht habe, als das, was ich jetzt mache. Jetzt mache ich es nur professioneller. Das ist der einzige Unterschied.

Wenn Sie während Ihrer Vorlesungen in den Saal schauen, sind Sie dann mit der Zahl von Studierenden mit türkischem Hintergrund zufrieden?

Nein, ich bin und kann nicht zufrieden sein. Menschen mit türkischem Hintergrund stellen einen wesentlichen Anteil an der Bevölkerung in Deutschland. Das schlägt sich nicht nieder in der Anzahl dieser Menschen in den Hörsälen. Und je höher es in der akademischen Hierarchie geht, desto mehr nimmt die Zahl der Menschen mit einem türkischen Hintergrund ab. Damit kann niemand zufrieden sein. Wir müssen in der Bundesrepublik Deutschland daran arbeiten, dass sich das ändert.