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Ramadan

„Am meisten fehlt mir in diesem Ramadan meine Freiheit“

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Kadir Sancı leitet seit 2011 das interreligiöse Dialog im Berliner "Forum Dialog".
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Im Gespräch mit DTJ-Online erklärt Imam Kadir Sancı die Besonderheiten des Ramadan und was ihm beim Fasten in Zeiten von Corona zu schaffen macht. Außerdem gibt er Nicht-Muslim:innen Tipps im Umgang mit Fastenden.

Herr Sancı, wie haben Sie die ersten Tage des Ramadan überstanden? 

Ich versuche auch außerhalb der Fastenzeit dieses Gebet der Enthaltsamkeit regelmäßig auszuführen. Der ehrenwerte Prophet Muhammad – Frieden und Segen seien mit ihm – hatte empfohlen, zu gewissen Zeiten, so auch montags und donnerstags, regelmäßig zu fasten. Das ist tatsächlich zu empfehlen, denn somit bleibt der Körper geübt im Fasten. Daher hatte ich, mit Gottes Segen, auch an den ersten Tagen des Ramadan keine Schwierigkeiten mit dem Fasten.

Was hat Ihnen an den ersten Tagen denn am meisten gefehlt?

Meine Freiheit. Denn Ramadan bedeutet neben Enthaltsamkeit auch Solidarität und Teilen. Ramadan ist eine lebendige Zeit, in der man viel Zeit mit Menschen verbringt, die einem sehr am Herzen liegen. In Zeiten von Corona fühle ich mich eingeengt und sehne mich nach der wertvollen Freiheit, die wir vor der Pandemie hatten.

Ist es eigentlich leichter oder schwieriger im Lockdown zu fasten?

Die geistige Anstrengung raubt mir persönlich viel mehr Energie als eine ausgewogene körperliche Anstrengung. Während des Lockdowns arbeite ich hauptsächlich von zuhause aus. Daher fehlen mir die mentalen Pausen im Alltag. An gewöhnlichen Zeiten konnte ich mich zwischen den Terminen erholen. Jetzt finden digitale Termine nacheinander statt, sodass ich eine zusätzliche Belastung verspüre. Letzten Endes ist es für mich im Lockdown eine größere Herausforderung zu fasten als an normalen Zeiten.

Viele Nicht-Muslim:innen kennen lediglich die Aspekte des Fastens im Ramadan. Ist das tatsächlich alles? Können Sie uns mehr zur Bedeutung des Monats sagen?

Zusammengefasst ist Ramadan als die intensive Zeit zu verstehen, in dem die Muslim:innen ihre Beziehung zu dem Schöpfer neu überdenken und pflegen. Zugleich ist Ramadan die besondere Zeit, in der Muslim:innen ihr Verhältnis zu ihren Mitmenschen überprüfen, sich über ihre soziale Verantwortung bewusst werden und durch Teilen Solidarität üben. Die Beziehung zu Gott wird durch Fasten, Koranlesungen, Lobpreisungen, Tarawih-Gebeten, also durch zusätzliche Ramadan-spezifische Tagesgebete, und durch weitere nächtliche Gebete gepflegt. Mit dem Teilen einer Mahlzeit und durch Spenden wird das gesellschaftliche Miteinander gestärkt.

Geht es beim Fasten auch bzw. insbesondere um das Nachempfinden mit den „Ärmeren“? Dieser Aspekt wird nämlich immer wieder hervorgehoben. 

Der Ramadan ermöglicht uns, vernachlässigte Verantwortungen wieder aufzunehmen und weitere zu vertiefen. Fehlt aber der persönliche Kontakt im Ramadan, kann diese wichtige Aufgabe in Vergessenheit geraten. Daher nutzen wir virtuelle Veranstaltungen, Gebete und Online-Beiträge des Forum Dialog, um diesem Problem entgegenzuwirken. Wir haben Muslim:innen, Freund:innen, die in vergangenen Jahren an unseren Fastenbrechen-Abenden teilnahmen, zu einer Hilfsaktion aufgerufen. Mit der Aktion „Spende eine Mahlzeit“ soll für jede verpasste gemeinsame Mahlzeit in Zeiten von Corona eine Spende betätigt werden. Die Spenden sollen an Bedürftige, Obdachlose und an unter Corona-Umständen extrem leidenden Menschen in Afrika gehen.

Sie sind ein Mann des interreligiösen Dialogs und hatten zu gewöhnlichen Ramadan-Zeiten viele Iftar-Abende mit Juden, Christen und Atheisten. Fehlt Ihnen das derzeit? Wie führen Sie den Dialog in diesen schwierigen Zeiten?

Ich vermisse vieles, gebe aber nicht so schnell auf. Wir, das Forum Dialog, haben gemeinsam mit weiteren Kooperationspartnern in Berlin unsere Gemeinden ermutigt, trotz der Pandemie Fastenbrechen-Abende weiterhin mit Nachbarn, alten und kranken Menschen, Studierenden und alleinlebenden Menschen zu feiern. Wir haben sie gebeten, mehr zu kochen, andere mit Essen zu beliefern und somit diese Tradition des gemeinsamen Fastenbrechens am Leben zu erhalten. Bei dieser Solidaritätsaktion wollen wir unsere Gemeinden wie immer ermutigen, Mitmenschen unabhängig von ihrer religiösen oder weltanschaulichen Zugehörigkeit teilhaben zu lassen. Auch wenn man nicht an einem Tisch sitzen kann, kann man dennoch das Essen miteinander teilen.

Wie können Nicht-Muslim:innen mit dem Fasten der Muslim:innen am besten umgehen, z.B. auf der Arbeit?

Ich sage immer, verhaltet euch ganz normal. Sie brauchen sich um die Gesundheit ihrer Freund:innen nicht zu sorgen. Zum einen sind Muslim:innen im Fasten geübt und wissen, worauf man bei der Ernährung vor dem Fastenbeginn achten muss. Des Weiteren sind schwangere, kranke und reisende Menschen und auch Kinder theologisch geschützt. Beispielsweise gibt es für chronisch kranke Menschen theologisch geregelte Alternativen zum Fasten. Sie spenden für jeden Tag, an dem sie nicht fasten können, an Bedürftige. Außerdem gibt es das Kinderfasten. Kinder entscheiden selbst, wann, in welcher Form und wie lange sie fasten wollen. Somit werden sie nicht vom Fasten ausgeschlossen, aber auch nicht gesundheitlich überfordert. Zudem dürfen Nicht-Muslim:innen in Gegenwart von Muslim:innen selbstverständlich in gewohnter Weise Essen und Trinken. Das ist keine Haltung von Respektlosigkeit.

Haben Sie besondere Tipps z.B. für das Sahur? Wie kann man sich am besten für die lange Fastenzeit von ca. 16 Stunden wappnen?

Es ist wichtig, auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung zu achten. Viel Gemüse hilft auf alle Fälle. Außerdem sind vor allem Lebensmittel mit hohem Wassergehalt zu empfehlen. Auf diesem Weg können Fastende reichlich Flüssigkeit für den Tag im Körper speichern. Lebensmittel wie Gurken, Wassermelone, Kopfsalat oder Tomaten sind daher zu empfehlen. Daneben helfen uns Früchte wie Datteln, reichlich Energie zu speichern. Man sollte vor dem Fastenbeginn außerdem verarbeitete Lebensmittel mit hohem Salzgehalt  möglichst vermeiden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Kadir Sancı leitet seit 2011 die Arbeitsgruppe „Interreligiöser Dialog“ im Berliner „Forum Dialog“. Der künftige Imam des multireligiösen Gebetshauses „House of One“ ist außerdem akademischer Mitarbeiter am Institut für Jüdische Studien und Religionswissenschaft der Universität Potsdam. 

Äußerungen unserer Gesprächspartner:innen geben deren eigene Auffassungen wieder.

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