Connect with us

Politik

Ankara in Al-Qaida-Geiselhaft

Spread the love

In der Erwartung, das Thema Assad würde sich binnen weniger Monate erledigen, hat die Türkei selbst terroristische Gruppierungen der syrischen Opposition auf ihrem Territorium gewähren lassen. Dieses Wegsehen rächt sich nun. (Foto: dpa)

Published

on

Assad Anhänger und syrische Soldaten
Spread the love

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Türkei nicht selten weggesehen hat, wenn militante, mit Al Qaida sympathisierende Kämpfer türkisches Territorium nach Syrien überquerten, um gegen den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad und dessen Regime zu kämpfen. Einige Pressekanäle berichteten, dass der Inländische Geheimdienst (MIT) sogar half, diese Gruppen nach Syrien zu bringen. Es ist nicht auszuschließen, dass auch in diesen Berichten ein Fünkchen Wahrheit steckt.

Als jedoch die Welt immer stärker auf die Präsenz der Terroristen aufmerksam wurde, diese immer mehr Einfluss gewannen, immer brutaler vorgingen und internationale Organisationen anfingen, der Türkei zu unterstellen, sie würde Al Qaida helfen, wiesen türkische Autoritäten Anschuldigungen, die Kämpfer unterstützt zu haben, vehement zurück. Auch Nichtregierungsorganisationen, die beschuldigt wurden, Al Qaida dabei zu helfen, in Kontakt mit dem MIT zu bleiben, wiesen Behauptungen dieser Art zurück.

Wenn man jedoch die Stellungnahme der türkischen Autoritäten liest, fällt eine interessante Nuance auf: Während die Aktivitäten der Terrorgruppe „Islamischer Staat im Irak und Vorderen Orient“, hinter welchem man Al Qaida vermutet, stark verurteilt werden, reagieren sie nicht auf die gleichen Vorwürfe mit Blick auf die Al Nusra-Front. Dieses Detail wird klarer, wenn man im Gegensatz dazu Stellungnahmen jener Nichtregierungsorganisationen liest, die im Verdacht stehen, Al Nusra geholfen zu haben.

In diesem Fall beginnt man sich zu fragen, ob nicht vielleicht eine Unstimmigkeit über die Definition von Al Qaida zwischen türkischen und westlichen Beamten herrscht. Es ist eindeutig, dass die westlichen Sicherheitsorganisationen die Al-Nusra-Front als eine Organisation der Al Qaida klassifizieren.

Der gefährliche Geisteskranke als Hausgast

Wie auch immer: Es ist ein gutes Zeichen, dass türkische Beamte sich öffentlich von Al-Qaida-Aktivitäten distanzieren. Jedoch ist es faktisch nicht mehr so einfach für die Türkei, sich immer konsequent von den Terroristen fernzuhalten.

Sich fernzuhalten würde bedeuten, Al-Qaida-Mitgliedern nicht mehr zu erlauben, die Türkei auf dem Weg nach Syrien zu passieren. Allerdings gibt es noch nicht einmal Grenzkontrollen zwischen der Türkei und Syrien und wer die Geländeverhältnisse entlang der mehrere hundert Kilometer langen Grenze kennt, weiß, dass es unter den gegebenen Voraussetzungen für die Türkei faktisch unmöglich ist, sämtliche Al-Qaida-Mitglieder daran zu hindern, die Türkei auf dem Weg nach Syrien zu durchqueren.

Außerdem: Was will die Türkei tun, wenn ein verwundetes mutmaßliches Al-Qaida-Mitglied in ein türkisches Krankenhaus gebracht wird? Ihn abweisen oder verhaften?

Würde die Türkei sich dazu entschließen, mutmaßlichen Mitgliedern von Al Qaida bestimmte Formen humanitärer Hilfe vorzuenthalten, logistische Unterstützung, medizinische Versorgung etc., würde das Land dann nicht auch selbst am Ende ein Ziel der Al Qaida werden?

Tatsache ist, dass nach den öffentlichen Aussagen, die Türkei würde sich von Al Qaida distanzieren, Gruppen in Syrien bereits Drohungen ausgesprochen haben. In einem Fall wie diesem könnte es die Türkei mehr als es ohnehin schon der Fall ist zu einem möglichen Angriffsziel für Al Qaida machen.

Unter diesen Umständen wird die Türkei in eine Ecke gedrängt, in der sie die Bedrohung durch Al Qaida fürchten muss, gleichzeitig dem Assad-Regime nicht die Macht entziehen kann und in der sie realisieren muss, dass sie alleine nicht mehr aus dieser Situation herauskommt.

In die Sackgasse manövriert

Es ist wahr, dass die Türkei mit ihrer Syrien-Politik versagt hat, weil sie die Überlebensdauer des Assad-Regimes falsch eingeschätzt hat. Es war ein kompletter Reinfall für den MIT und das türkische Außenministerium. Die Türkei könnte sich noch problemlos aus dieser Situation winden, wenn sie sich lediglich hinsichtlich der Dauer des Assad-Regimes verschätzt hätte. Die Bürde dieses Fehlers wäre etwas, dass die Türkei tragen könnte. Immerhin hat dieser Fehler das türkische Volk nicht direkt in Gefahr gebracht.

Das größere Versäumnis der Türkei ist jedoch die – nennen wir es mal so – „freimütige Teilnahmslosigkeit“ in der Haltung gegenüber den Aktivitäten von Al Qaida. Die Türkei hat sich damit in eine Sackgasse manövriert, aus der es nun keinen Ausweg gibt. Würde die Türkei nun Militanten von Al Qaida verbieten, ihr Land als Brücke nach Syrien zu nutzen, werden diese die Türkei selbst ins Ziel nehmen und türkische Zivilisten töten. Den Terroristen ihre Aktivitäten durchgehen zu lassen, nur weil sie gegen den Feind Assad gekämpft hatten, hat die Türkei in eine Situation gebracht, in der sie auch den Partnern im Westen gegenüber einiges zu erklären hat.

Am schlimmsten ist jedoch, dass, egal was die Türkei getan hat, das Assad-Regime weiterhin an der Macht ist. Und so lange das der Fall ist, wird Al Qaida versuchen, dagegen anzukämpfen und daher die Türkei brauchen, um weiterhin seinen Kampf aufrechterhalten zu können.

Autoreninfo: Emre Uslu ist Sicherheitsexperte und Kolumnist. Er schreibt für die türkischen Zeitungen „Taraf“ und „Today’s Zaman“.