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Politik

Arbeitskräftemangel der besonderen Art

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Die zwischen Mauertaktik und allzu offenherzigem Umgang mit Akten und Daten schwankende Informationspolitik der Inlandsgeheimdienste gegenüber dem NSU-Untersuchungsausschuss ruft bei den Ämtern Nachwuchssorgen hervor. (Foto: dpa)

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Arbeitskräftemangel der besonderen Art
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Nach Berichten der Nachrichtenagentur „Reuters“ klagen Führungspersönlichkeiten der Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern, sie stünden vor schwerwiegenden Problemen bei der Suche nach künftigen Undercover-Informanten.

Die Intensität der Recherchen des Untersuchungsausschusses zur Terrorserie des „Nationalsozialistischen Untergrundes“, der für mindestens zehn rassistisch motivierte Morde in der Zeit zwischen 2000 und 2007 verantwortlich sein soll, berge nach Auffassung der Inlandsgeheimdienste die Gefahr der Enttarnung derzeit für die Behörden tätiger Informanten und V-Mann-Führer in sich.

Bereits jetzt hätte die Aufarbeitung der Mordserie zur Folge gehabt, dass V-Leute aufgeflogen wären, abgeschaltet werden mussten und dadurch als Quellen verloren gingen. In regelmäßigen Abständen seien geheime Dokumente an die Öffentlichkeit gelangt. Der in besonderem Maße in die Bredouille geratene Verfassungsschutz in Thüringen habe die Flucht nach vorne angetreten und dabei auch ohne zuvor eingeholte Erlaubnis Erkenntnisse anderer Ämter weitergegeben. Insgesamt hätte das Amt dem Ausschutzvorsitzenden Sebastian Edathy zufolge insgesamt 1.500 ungesichtete und ungeschwärzte Aktenordner übermittelt. Der Thüringer Verfassungsschutz bestreitet, dass aus dem Material die Identitäten von V-Leuten abgeleitet werden könnten. Amtskollegen aus anderen Ländern bezweifeln dies. Die Behörden befürchten sogar mögliche Schadensersatzforderungen gegen Bund und Länder.

Keiner will mehr V-Mann werden

Vor allem aber werde ein Vertrauensverlust befürchtet, der es unmöglich machen könnte, künftig Rechtsextremisten für eine Konfidententätigkeit zu Gunsten des Inlandsgeheimdienstes zu gewinnen. „Im Moment haben wir 100 Prozent Absagen“, wird ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes hinsichtlich der derzeitigen Situation bei der Akquise von V-Leuten zitiert. Dabei seien für die Geheimdienstarbeit Informanten dringend nötig. „Wenn uns diese menschlichen Quellen wegbrechen, dann fehlen uns einfach Informationen. Dann können wir nur noch im Dunkeln tappen.“
Im Vorfeld der Informationsoffensive hatten Ausschussmitarbeiter und Opferanwälte mehrfach beklagt, die Verfassungsschutzämter hätten wichtige Akten vernichtet, verschwinden lassen oder der parlamentarischen Kontrolle entzogen. Mutmaßliche Ermittlungspannen und offene Fragen konnten nicht aufgeklärt werden, in Einzelfällen kam es sogar zu Rücktritten von Verfassungsschutzpräsidenten oder Innenministern.

Nach Auffassung von Beobachtern dürfte auch die Informationsoffensive aus Thüringen nichts am Grundproblem der heimischen Sicherheitsarchitektur ändern. Bereits im Juli 2012 äußerte der Berliner NSU-Opferanwalt Mehmet Gürcan Daimagüler gegenüber dem Magazin „Cicero“: „Wenn man sich allein die schiere Zahl an Geheimdiensten anschaut – das MAD, der BND, das Bundesamt für Verfassungsschutz und die 16 Landesämter, dann das Zollkriminalamt – und die Bundes- und die Landeskriminalämter decken mit ihren Staatsschutzabteilungen ähnliche Aufgaben wie die Verfassungsschutzämter ab. In der Summe sind das fast 40 Einheiten! Es ist durchaus sinnvoll, diese Komplexität zu reduzieren und die Sicherheitsarchitektur insgesamt zu überarbeiten.“

Legale Waffen für Nazis in NRW?

In NRW prüfen nach Angaben des Landesinnenministers Ralf Jäger die Polizeibehörden derzeit in jedem Einzelfall, ob Neonazis eine zuvor erteilte Waffenerlaubnis nach geltendem Recht wieder entzogen werden kann. Das Waffengesetz biete dafür Möglichkeiten.

„Wer sich aktiv gegen die Verfassung stelle, dürfe legal keine Schusswaffen besitzen“, wird Jäger auf dem Nachrichtenportal e110.de zitiert. In Nordrhein-Westfalen gäbe es momentan 99 Personen, die dem rechtsextremistischen Spektrum in NRW zugeordnet würden und die im Besitz eines Waffenscheins oder einer Waffenbesitzkarte seien.

Die Frage nach der Sinnhaftigkeit des derzeitigen Aktionismus wird indessen nicht einheitlich bejaht. Die Morde der NSU wurden bisherigen Erkenntnissen zufolge nicht mithilfe legaler Waffen begangen. Auch sonst scheint die Loyalität gewaltbereiter Rechtsextremisten im Hinblick auf waffenrechtliche Vorschriften enden wollend zu sein: So seien im Rahmen einer Großrazzia in den Räumen von drei rechten Kameradschaften in Nordrhein-Westfalen Ende August 147 Waffen vorgefunden worden sein. Für nur drei Waffen hätte eine Erlaubnis vorgelegen.