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Gesellschaft

Argumentieren Sie nicht rassistisch, Herr Schuster?

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Josef Schuster hat sich für eine Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen ausgesprochen. Vor allem mit den vielen Arabern würde man Antisemitismus importieren. Der wiederum sei ein ethnisches Problem. Schon ein bisschen rassistisch, oder?

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Ist Josef Schuster ein Christdemokrat? Oder ein christlich-sozialer Unionist? Dem Namen nach könnte er beides sein. Ist er aber nicht. Josef Schuster ist Präsident des Zentralrats der Juden. Als solcher ist er aber mit einem Vorschlag an die Öffentlichkeit getreten, der vielen Christdemokraten und Christsozialen aus der Seele spricht.

Er fordert eine Obergrenze für Flüchtlinge, die aus muslimischen Ländern kommen und ethnische Araber sind. Denn sie kommen aus „Kulturen, in denen der Hass auf Juden und die Intoleranz ein fester Bestandteil sind“. Auch die Lage von Frauen und Homosexuellen sei problematisch. Schuster meint, es sei weniger ein religiöses als ein ethnisches Problem, also eher eines mit den Arabern, als mit den Muslimen an sich. Mit steigender Zahl an Arabern in Deutschland würde auch die Integration schwieriger werden. Dies sei auch für die Juden ein Thema.

Der Zentralrat der Juden wird als eine Art Instanz des Gewissens angesehen. Und dessen Vorsitzender macht nun mit einer Bemerkung und Forderung auf sich aufmerksam, die man der Wortwahl nach als rassistisch bezeichnen könnte.

Was hat der Hass auf Juden mit der Ethnie zu tun? Darf der Mann so reden? Ist es nicht unmenschlich und egoistisch, Menschen, die in Not geraten sind und eine Zuflucht suchen, mit dem Argument des eigenen Wohlbefindens entgegenzutreten? Wie könnte man es für ethisch vertretbar halten, eine Obergrenze für Angehörige einer bestimmten Herkunft einzuführen, weil man der Meinung ist, dass unter den Mitgliedern dieser Ethnie eine bestimmte verwerfliche Einstellung besonders präsent ist? Sollen ab Erreichen dieser Obergrenze alle abgewiesen werden, weil man ihnen pauschal unterstellen muss, dass sie Antisemiten sind? Wäre das angesichts der Fluchtursachen moralisch vertretbar?

Vor dem Antisemitismus in der Region darf man die Augen nicht verschließen

Die Argumentation von Josef Schuster bereitet Bauchschmerzen. Andererseits wissen wir aber auch: Die Lage ist nicht so einfach. Auf der Welt gibt es nicht nur schwarz und weiß, sondern unendlich viele Grautöne. Hohe ethische Standards zu fordern, ist ehrenhaft; zugleich ist die Welt aber nicht nur von Mutter Teresas und Dalai Lamas bevölkert.

Ein Problem wie Intoleranz mit einer Religion oder Ethnie zu verbinden, mutet rassistisch an. In einem anderen Zusammenhang mit anderen Menschen hätte vermutlich auch ein Josef Schuster bei so einer Argumentation laut ‚Rassismus‘ geschrien.

Antisemitismus ist eine Realität in der Region. Intoleranz ebenso. Aber eben nicht nur bei den Arabern. Wenn in einer Umfrage des amerikanischen Instituts Pew acht Prozent der Türken sagen, sie hätten Sympathien für den IS, 19 Prozent angeben, sei hätten dazu keine Meinung, dann ist das ein Problem. Über ein Viertel der Türken sieht also im Treiben des IS entweder kein Problem oder hat sogar Sympathien dafür. Wenn Menschen eine solche Haltung sogar mit einem höheren ethischen Anspruch verbinden, gerne mal den Westen kritisieren, von Selbstkritik keine Spur zeigen… dann kann man das nur verurteilen.

Auch in der Türkei gehört unverhohlener Antisemitismus zur politischen Kultur und das nicht erst seit die AKP an der Macht ist (aber seitdem in immer erschreckenderem Ausmaß). Das Wort ‚Jude‘ oder die Attribute ‚jüdisch‘ und ‚israelisch‘ werden nicht selten als Schimpfwörter benutzt. Und das nicht nur vom dumpfen Mob, sondern auch von Spitzenpolitikern. Man denke nur an den damaligen Premierminister Recep Tayyip Erdoğan, der einen Passanten, welcher ihn nach der Tragödie von Soma Vorwürfe machte, als „israelische Brut“ („İsrail dölü“) beschimpfte.

Erst gestern veröffentlichte das extremistische Revolverblatt Yeni Akit einen Artikel, in dem vermeintlich der Frage nachgegangen wird, ob der designierte Galatasaray-Trainer Mustafa Denizli insgeheim Jude ist. Grund: Er ist ein gefragter Mann und in seiner Karriere würden sich die Anzeichen häufen, dass es eine „schützende geheime Hand“ gibt, die ihn protegiert und an seine Posten bringt. Es wird mit dümmsten antisemitischen Klischees gearbeitet, bis es so absurd wird, dass man es als aufgeklärter Leser nicht mehr ernst nehmen kann. Das Hassblatt bleibt seiner Linie treu: Verschwörungstheorien und antisemitischer Dreck. Umfragen, die sich mit antisemitischen Einstellungen in der türkischen Bevölkerungen beschäftigen, kommen ebenso regelmäßig zu erschreckenden Ergebnissen. Nochmal: Es ist kein rein arabisches Problem.

Mustafa Denizli-Yeni Akit

… genauso wenig wie vor dem deutschen Antisemitismus

Mit Blick auf Deutschland und seine Flüchtlinge gilt darüber hinaus auch schlichtweg: Es ist ein deutsches Problem. Es ist ein Problem der Menschen, die hier leben. Und das kann man nicht mit einer Schelte gegen Flüchtlinge bestimmter Herkunft lösen, sondern man braucht dazu zivilgesellschaftliche Arbeit. Straftaten mit antisemitischem Hintergrund werden beinahe ausschließlich von „Biodeutschen“ begangen, laut dem Antisemitismusbericht des Bundestages liebäugeln 20% der Deutschen mit antisemitischem Gedankengut. Dazu braucht es keine Flüchtlinge.

Man kann niemandem, der vor Tod und Zerstörung flieht, unter der Prämisse, dass er oder sie eine verwerfliche Einstellung in sich trägt, das Asylrecht verweigern. Aber man muss den Leuten auf den Zahn fühlen und versuchen, was geht, um zu verhindern, dass sich antisemitische Ressentiments weiter in die Mitte der Gesellschaft fressen. Ob dabei jemand aus Aleppo im Nahen Osten kommt oder aus Zwickau im ganz nahen Osten, sollte nicht der ausschlaggebende Punkt sein.

Das Statement von Josef Schuster ist problematisch. Aber die Realität ist es auch. Wenn es als ein Plädoyer für genaues Hinsehen und gegen einfache Rezepte gemeint sein sollte, könnte man es sogar unterstützen. Es hätte ein Statement werden können, das dazu aufruft, genau hinzusehen und problematische Punkte wie antisemitische Einstellungen unter Flüchtlingen anzusprechen und ihnen entgegenzutreten, bevor es zu spät ist. Man muss dem Problem mit Prävention, Aufklärung und Dialog entgegentreten, anstatt diese Leute einfach – im wahrsten Sinne des Wortes – auszuschließen.

Bedrückend ist auch ein anderes Detail: Als Präsident des Zentralrats der Juden sollte ihm die Geschichte des 20. Jahrhunderts doch gegenwärtig sein. Natürlich, der Holocaust ist ein singuläres Ereignis in der Menschheitsgeschichte und nicht mit dem gleichzusetzen, was momentan im Nahen Osten geschieht. Aber müsste Josef Schuster beim Gedanken an die heutige Debatte über eine Obergrenze für Flüchtlinge nicht eine Parallele zur tragischen Geschichte des jüdischen Volkes auffallen, die eine gewisse Empathie weckt?

Es ist doch einer der dunkelsten Schandflecken der britischen Geschichte, dass das Vereinigte Königreich während und nach dem Zweiten Weltkrieg Hunderttausenden jüdischen Flüchtlingen die Einreise in sein damaliges Mandatsgebiet Palästina verweigert hat. Selbst angesichts des Schlachtens in Europa weigerten sich die Briten, weitere jüdische Flüchtlinge aufzunehmen.

Die vorher festgelegte Obergrenze war nämlich erreicht.