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Gesellschaft

„Armenien ist unser Vaterland, die Türkei unser Mutterland“

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Der armenisch-orthodoxe Erzbischof Aram Ateşyan machte jüngst in einer Fernsehsendung Aufsehen erregende Angaben über die Anzahl verdeckter Armenier, die heute offiziell als Muslime in der Türkei leben. (Foto: aa)

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„Armenien ist unser Vaterland, die Türkei unser Mutterland“
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Der armenisch-orthodoxe Erzbischof und Vikar des armenischen Patriarchen, Aram Ateşyan, hat in der Sendung „Analiz“ mit Erkam Tufan auf Bugün TV kürzlich einige wichtige und aufrüttelnde Ausführungen über die Zahl verdeckter Armenier in der Türkei von sich gegeben. Wir dokumentieren sie auf diesem Wege. Die Fragen stammen von Erkam Tufan.

Sie sagten, in der Türkei gebe es mehr als Hunderttausend verdeckte Armenier?

Wenn ich unsere Großmütter und -väter dazurechne, sind es mehr als 1 Million. Es gibt über hunderttausend Armenier, die selbst sich als Muslime ausgeben, doch deren Eltern Armenier sind, Armenisch sprechen und ein Kreuz um den Hals tragen.

Sind denn Hunderttausend nicht eine ziemlich große Anzahl? Das ist kaum bekannt, haben Sie denn mit den Betreffenden Kontakt im Namen der Kirche?

Nicht im Namen der Kirche, doch individuell schon.

Warum nicht im Namen der Kirche? Weil sie sonst aufgedeckt werden könnten?

Würden sie die Kirche besuchen, würde ihre Identität offenbar, all ihre Nachbarn würden erkennen, wer sie in Wirklichkeit sind. Doch einige kommen trotzdem, ohne ihre Identität bekanntzugeben, um die Kirche zu besuchen. Zum Beispiel haben wir Ostern in Istanbul gefeiert. Eine Woche später habe ich in Diyarbakır ein Ritual abgehalten und es kamen ungefähr 400 Leute.

Waren das die verdeckten Armenier, die Sie meinen?

Davon sind 200 rein muslimische Brüder und die anderen 200 armenischer Herkunft.

Auch meine Verwandten sind Krypto-Armenier. Doch diejenigen, die Krypto waren, sind gekommen und haben sich dort an dem Ritual beteiligt. „Nun entlarven wir unsere Identität“, sagten sie.

Doch sie kehren nicht zurück zum Christentum. Denn wenn sie zurückkehren und beispielsweise in einem öffentlichen Amt tätig sind, könnten sie entlassen werden. Die Nachbarn könnten sich stören. All dies hat man erlebt, meine Familie lebt dort immer noch unter muslimischer Identität. In Diyarbakır-Silvan habe ich eine Schwester, einige ihrer Kinder sind zu ihren Wurzeln zurückgekehrt. Diese wurden in den 1950ern zwangsislamisiert. Meinem Schwager wurde gesagt, dass sie ihn töten, wenn er nicht zum Muslim wird und er wurde somit zwangsweise zum Muslim gemacht. Ich bin 1954 zur Welt gekommen und als ich 4-5 Jahre war, ist meine Schwester zum Islam übergetreten.

Ich würde gerne erfahren, was für ein Erstaunen entsteht, wenn ein Armenier seine Identität bekannt macht – haben Sie solche Erfahrungen in ihrer Umgebung erlebt? Welche Reaktionen ruft es hervor, wenn jemand sagt, dass er für sieben Generationen Armenier, Christ war, doch gezwungen ist, sich als Muslim zu zeigen?

Überhaupt keine. Es gibt aber auch welche, die Reaktionen erlebt haben. Mein zurückkehrender Neffe, genauer gesagt, die Kinder meines Neffen, wurden zum Beispiel angegriffen. Sogar von armenisch Abstammenden, mit der Begründung „Warum bist du wieder zum Christentum konvertiert?“ Mein Neffe hat tagelang geweint, als ob eine Zugehörigkeit zu einer anderen Religion eine Straftat wäre.

Und wann geben die verdeckten Armenier ihre wahre Identität ihren Kindern preis?

Bevor sie ihren letzten Atemzug machen. Die Großeltern teilen das immer erst in ihren letzten Tagen mit, dass sie Armenier sind.

Das wird immer noch erlebt? In welchen Städten eher?

Es gibt in vielen Städten Familien mit christlicher Identität. Zum Beispiel in Diyarbakır gibt es 3-4 Familien. Doch gibt es insgesamt etwa 50-60 Familien mit armenischen Wurzeln. Wenn wir nur meine Neffen, die Enkelkinder meiner Schwester aufzählen, haben wir schon 25 Leute.

Bieten Sie im Namen der Kirche Dienste an, um deren religiöse Motivation zu stärken?

Wir können ihnen keine Dienste anbieten, was können wir ihnen denn anbieten, sie sind keine Christen, offiziell sind sie keine Christen und ich kann ihnen keine Dienste anbieten! Außer im Rahmen individueller Verwandtschaften kann ich ihnen nicht dienen. Nur wenn sie sich taufen lassen, ihre Identität ändern, zu Christen werden, kann ich ihnen dienen.

Es wird behauptet, dass in der Umgebung von Tunceli eine hohe Anzahl von Krypto-Armeniern leben würde, stimmt das? Manche behaupten, 90 % der Bevölkerung von Tunceli wären Armenier.

Das ist wahr. Wenn Sie fragen, warum: Einst ist ein 30 Jahre junger Mann zu mir gekommen und hat behauptet, er hätte armenische Wurzeln, doch ich habe es nicht akzeptiert. Doch hat er darauf bestanden und ist immer wieder gekommen. Später hat sein Vater angerufen und meinte, dass er als Amtsperson arbeite und wenn er in Rente gehe, werde er auch kommen und konvertieren. 90 % der Bevölkerung dort wären Armenier. Danach habe ich das akzeptiert. Der junge Mann wurde gelehrt, getauft und zu einem Mitglied unserer Kirche.

Was bedeutet es für die türkischen Armenier, in Armenien zu studieren? Was für einen Sinn hat das?

Armenien hat für uns die Rolle eines Vaters und die Türkei die einer Mutter. Denn Armenien nennen wir Vaterland und die Türkei Mutterland. Wir türkischen Armenier sind wie die Kinder, die zwischen dem Vater und der Mutter, die sich streiten, gefangen geblieben sind und weinen. Mit großer Sehnsucht warten wir darauf, dass sich unsere Eltern, egal unter welchen Umständen, vertragen.