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Politik

Armenier-Gedenken: Deutschland bereitet sich auf „Genozid“ vor

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Im Vorfeld des für Freitag geplanten Armenier-Gedenkens im Bundestag zeichnet sich eine Allparteienkoalition für den „Völkermord“-Vorwurf an die Türkei ab. Union und SPD haben ihren Entschließungsentwurf noch einmal „nachgebessert“.

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Frank-Walter Steinmeier
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Eigentlich hat die deutsche Bundesregierung am 21.08.2012 in ihrer Antwort (17/10481) auf eine Kleine Anfrage (17/10407) der Fraktion Die Linke ja alles Nötige ausgesagt, könnte man meinen. Die Konvention vom 9. Dezember 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes gelte demnach nicht rückwirkend. Auf historische Ereignisse, die vorher stattgefunden haben, könne sie daher nicht angewendet werden.

Konkret heißt es seitens der Bundesregierung: „Bewertungen historischer Ereignisse unter Anwendung völkerrechtlicher Bestimmungen, die im Zeitpunkt der Ereignisse weder für die Bundesrepublik Deutschland noch für irgendeinen anderen Staat in Kraft waren, werden von der Bundesregierung nicht vorgenommen.“ Was die historischen Fakten betreffe, so seien diese Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung.

In der Kleinen Anfrage der Linken ging es damals um den Vorwurf, das Deutsche Reich habe als Kolonialmacht in Namibia (ehem. Deutsch-Südwestafrika) Anfang des 20. Jahrhunderts einen Genozid an den Volksgruppen der Herero und Nama begangen – und damit möglicherweise den ersten des 20. Jahrhunderts, das in weiterer Folge eine beispiellose Blutspur durch die Weltgeschichte ziehen sollte.

Von dem damaligen Schutztruppenkommandeur Lothar von Trotha ist in diesem Zusammenhang in einem Dokument des Deutschen Bundesarchivs die Aussage dokumentiert: „Die Herero sind nicht mehr deutsche Untertanen. […] Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen.“ Ein ähnlich eindeutiges Dokument oder eine gleichartige Aussage vonseiten politisch oder militärisch Verantwortlicher im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs ist bis dato nicht bekannt.

„Schicksal der Armenier steht beispielhaft für Geschichte der […] Völkermorde“

Dennoch wollen Union und SPD im Bundestag die Massaker an den Armeniern vor 100 Jahren nun doch mit dem Begriff des „Völkermordes“ in Verbindung bringen. Die Fraktionsspitzen legen ihren Abgeordneten dazu am Dienstag einen Formulierungsvorschlag vor, wie Unionsfraktionsvize Franz Josef Jung (CDU) am Montag in Berlin mitteilte. Zuerst hatte die „Saarbrücker Zeitung“ darüber berichtet.

In dem Text heißt es, 1915 habe das damalige türkische Regime im osmanischen Konstantinopel mit der planmäßigen Vertreibung und Vernichtung von mehr als einer Million Armenier begonnen. „Ihr Schicksal steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen und der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist“, soll es bald in einer Entschließung des Deutschen Bundestages zur 100. Wiederkehr des Jahrestages der Ereignisse von 1915/16. Zunächst war in dem Text der Begriff Völkermord vermieden worden.

Im Entwurf der Bundesregierung für die Gedenkstunde am Freitag war zwar von einer „Vernichtung der Armenier“ die Rede, der Begriff „Völkermord“ wurde jedoch – offensichtlich mit Rücksicht auf das Verhältnis zur Türkei – nicht verwendet. Nach armenischen Angaben kamen bei der Vertreibung der Armenier im Ersten Weltkrieg bis zu 1,5 Millionen Menschen ums Leben. Die Türkei bestreitet diese Darstellungen jedoch und hält diese Zahl für überhöht. Darüber hinaus seien infolge der Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen im Zusammenhang mit Kriegshandlungen im Ersten Weltkrieg sowohl Türken als auch Armenier in Ostanatolien zu Opfern von Gräueltaten geworden.

Ähnlich wie im Europaparlament, wo in der Vorwoche mit 554 zu 13 Stimmen bei 44 Enthaltungen eine Resolution angenommen wurde, in der die Türkei aufgefordert worden war, die Ereignisse von 1915/16 als „Genozid“ anzuerkennen, zeichnet sich auch im Deutschen Bundestag ein Allparteienkonsens hinsichtlich der Verwendung des Begriffes „Völkermord“ im Zusammenhang mit diesen ab.

Einheitsmeinung von der Linken bis hin zur AfD

Vor allem die CDU zeigte sich dabei als treibende Kraft. „Der Tod Hunderttausender Armenier in der Endphase des Osmanischen Reiches war weder Unfall noch Zufall, sondern Völkermord“, sagte CDU-Vize Julia Klöckner der „Welt am Sonntag“. „Auch wenn es diplomatisch unklug sein mag und wir in Deutschland aufgrund unserer Geschichte anderen nicht überheblich ihre Geschichte vorhalten sollten, können wir dennoch das Kind beim Namen nennen.“

Der Armenien-Berichterstatter der Unionsfraktion, Christoph Bergner (CDU), kündigte an, er werde dafür eintreten, „dass der Begriff Völkermord in den Antrag aufgenommen wird“. Zwar verstehe er es, wenn Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) „um angemessene Formulierungen“ ringe. Aber „die Beweise, dass es sich um einen Genozid handelt, liegen in den Archiven des Auswärtigen Amts“. Das Osmanische Reich und das Deutsche Kaiserreich waren im Ersten Weltkrieg Bündnispartner.

Auch führende Vertreter von Grünen und Linken forderten die schwarz-rote Koalition auf, die Massaker klar als „Völkermord“ zu benennen. „Die Bundesregierung ist mit ihrer Haltung unglaubwürdig und knickt vor der Türkei ein“, sagte der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter der Deutschen Presse-Agentur.

Grünen-Chef Cem Özdemir sagte der „Welt am Sonntag“: „Die CDU/CSU muss sich gut überlegen, auf welcher Seite sie in dieser historischen Debatte steht. Ich glaube nicht, dass die Partei Konrad Adenauers und Helmut Kohls an die Seite von Völkermordleugnern gehört.“

Der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger verlangte von der Bundesregierung, die „systematisch geplante und organisierte Vernichtung der armenischen Bevölkerung als Völkermord nach der UN-Konvention“ anzuerkennen.

Gauck als Hoffnungsträger der „Völkermord“-Protagonisten

Im Europaparlament hatten auch Politiker von FDP und AfD für die Verwendung des Begriffes „Völkermord“ gestimmt. Einzig der Abgeordnete von DIE PARTEI, Martin Sonneborn, hatte die Geschäftigkeit seiner deutschen Politikerkollegen mit einem sarkastischen Eintrag auf Facebook aufs Korn genommen, in dem es hieß: „Natürlich war es ein Völkermord; ich bin Deutscher und kenne mich mit so etwas aus…“

Die Hoffnungen derer, die sich – bei gleichzeitigem Stillschweigen über türkische Opfer der Kriegsereignisse – „deutliche Worte“ gegenüber der Türkei wünschen, ruhen einmal mehr aber auch auf Bundespräsident Joachim Gauck, dessen Ansehen in der Türkei und auch in der türkischen Einwanderercommunity in Deutschland nie in den Himmel gewachsen war und der diesbezüglich kaum etwas zu verlieren hätte.

Gauck spricht am Donnerstag bei einer Gedenkveranstaltung der Kirchen im Berliner Dom. „Ich würde mir wünschen, dass der Bundespräsident sich deutlicher äußert“, sagte Grünen-Fraktionschef Hofreiter. „Ich mag ihm aber keine Vorschriften machen.“

Kirchen erweitern den Kreis „Genozid“-Opfer

Dies wäre möglicherweise auch gar nicht nötig. Die Kirchen wollen einen Gottesdienst zur Erinnerung an den angeblichen „Völkermord“ veranstalten. In diesem Zusammenhang erklären sie jedoch nicht mehr nur die aus dem Osmanischen Reich vertriebenen Armenier, sondern gleich alle christlichen Gruppen von „Pontos-Griechen“ bis zu „Aramäern“ zu Genozid-Opfern.

Aus Kreisen türkischer Politiker und Historiker ist einmal mehr die Rede von einer „politischen Instrumentalisierung“ der Ereignisse von 1915/16. „Es geht um eine Verurteilung und nicht um die Wahrheit“, äußerte die Vizechefin der Brüsseler Vertretung der in der Türkei regierenden Adalet ve Kalkınma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung; AKP), Asiye Bilgin. Ziel sei es, dem muslimischen Osmanischen Reich einen „Völkermord an Christen“ anzuhängen.

Die Türkei schlug bereits mehrfach der armenischen Seite vor, eine gemeinsame Historikerkommission zum Zwecke der Aufarbeitung und Bewertung der Ereignisse zu bilden. Armenien und die armenische Diaspora lehnen dies bis heute kategorisch ab. Sie verlassen sich offenbar darauf, dass europäische Politiker und Parlamentarier einem möglichen Ergebnis, zu dem Historiker kommen könnten, vorgreifen. (dpa/dtj)