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Politik

Die Armenier-Resolution widerspricht dem Versöhnungsgedanken Hrant Dinks

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Cem Özdemir im Bundestag
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KOMMENTAR Der Bundestag hat heute mit einer „bemerkenswerten Mehrheit“ (Bundestagspräsident Lammert) von lediglich einer Gegenstimme und einer Enthaltung über die viel diskutierte Armenier-Resolution entschieden und die Massaker von 1915 als Völkermord eingestuft. Dabei hat er auf die warnenden Worte aus der Türkei keine Rücksicht genommen. Dass sich Ankara und Berlin in einer historische Frage, in der sie eine gemeinsame Verantwortung tragen, nicht auf eine gemeinsame Vorgehensweise einigen konnten, ist nicht der einzige Makel der Resolution. Gerade das aber wäre die Aufgabe türkischstämmiger deutscher Politiker wie Cem Özdemir gewesen, die sich seit Jahren für die Sache der Armenier einsetzen.

Die Massaker an und Deportationen der Armenier hätten ohne die Mitwirkung der Deutschen so nicht stattgefunden, aber auch Engländer und Russen spielten eine entscheidende Rolle. Armenische Guerillakämpfer arbeiteten mit dem Zarenreich zusammen, um in Anatolien – damals wie heute ein Gebiet mit multiethnischer Bevölkerung – einen eigenen Nationalstaat zu gründen. Der deutsche Historiker Götz Aly, der sich dagegen wehrt, die Massaker von 1915 an den Armeniern mit dem Genozid an den Juden während des Zweiten Weltkrieges gleichzusetzen, hat recht: Es waren die europäischen Großmächte, die spätestens seit der Konferenz von Wien 1815 an einer Demontage des Osmanischen Reiches arbeiteten und dazu die christlichen Minderheiten im Reich instrumentalisierten.

Den Osmanen selbst ist der Umbau des Reiches in einen modernen Nationalstaat nicht gelungen. Die nationalistischen Jungtürken um das Triumvirat von Enver, Talat und Cemal Pascha haben mit ihrem Größenwahn und ihrer falschen Kriegspolitik nicht nur das Reich, in dem Armenier und Türken über Jahrhunderte friedlich zusammenlebten, zerstört. Sie haben mit den Zwangsdeportationen der jungen Republik ein schweres Erbe hinterlassen. Dass sich die Türkei seit nunmehr über 100 Jahren weigert, sich konstruktiv mit diesem tragischen Erbe auseinanderzusetzen, und nur reagiert, wenn in irgendeinem Land der Welt gerade mal eine Resolution zur Abstimmung steht, zeigt nicht nur ihre Konzeptlosigkeit, sondern auch ihre politische Schwäche.

Auch heute findet man wie damals auf allen Seiten Doppelmoral und Heuchelei. Es ist keine ehrliche Debatte und keine aufrichtige Anteilnahme am Leid der Opfer. Weder wird ernsthaft versucht zu verstehen, warum der überwiegende Teil der Türken sich auch nach 100 Jahren weigert, die Ereignisse als Völkermord anzuerkennen, noch gibt es in der türkischen Gesellschaft die Offenheit und den Mut, das Thema zu enttabuisieren. Denn das wäre notwendig, damit Türken und Armenier in einen Dialog eintreten und sich in der Einschätzung der Ereignisse von 1915 näherkommen können.

Darin sah der türkisch-armenische Intellektuelle Hrant Dink, der 2007 in Istanbul ermordet wurde, die große Chance. Dink sprach genauso wie Götz Aly von Völkermord, wenn von 1915 die Rede war. Dennoch war er vielleicht der einzige Intellektuelle, dem es gelungen ist, eine Sprache zu entwickeln, über die sich Türken und Armenier verständigen konnten. Ihm war klar, wie schädlich die Wirkung der großen Tragödie sowohl für Türken als auch für Armenier auch nach Jahrzehnten immer noch ist: „Wir – Türken und Armenier – sind zwei kranke Gesellschaften. Die Armenier sind im Bezug auf die Türken traumatisiert und die Türken verhalten sich gegenüber den Armeniern paranoid.“ Ihm war klar, dass das Problem nicht dadurch gelöst wird, sich dem Dialog zu verweigern. Er warb für eine Versöhnungskultur. Denn nicht die Parlamente der Welt werden uns von dieser Krankheit heilen, sagte er: „Wir Armenier und Türken müssen der Arzt des jeweils anderen sein.“

Die geschichtlichen Ereignisse zu klären und zu einer Einigung zu gelangen sah er als Aufgabe von Armeniern und Türken. Durch Parlamente verabschiedete Resolutionen, in denen per Mehrheitsbeschluss die Interpretation der Geschichte festgelegt wird, lehnte Dink ab, so beispielsweise die des niederländischen Parlaments im Jahr 2004. Derartige Resolutionen führen zu Trotzreaktionen und verhärteten Fronten, nicht zu ausgestreckten Händen.

Die Mörder von Hrant Dink und die Hintermänner der Tat haben mit ihrer schrecklichen Tat nicht nur einen wichtigen Intellektuellen der Türkei getötet. Sie haben auch eine wackelige Dialogbrücke, die vielleicht die wichtigste Voraussetzung für eine Aussöhnung zwischen Türken und Armeniern ist, zerstört. Wie sehr uns diese Brücke fehlt und wie schwer es ist, dass Persönlichkeiten hervortreten, denen es nicht um Politik und Profilierung, sondern um eine gemeinsame Zukunft von Armeniern und Türken geht, sehen wir in diesen Tagen.

Die Resolution des Bundestages wird vielleicht der Tatsache gerecht, dass das deutsche Parlament seine historische Schuld an den Ereignissen eingesteht. Wenn das deutsche Parlament aber diesen Ansatz nicht weiterverfolgt und auch die Massaker an den Herrero und Nama als Völkermord anerkennt, wird es an Glaubwürdigkeit einbüßen. Diese Glaubwürdigkeit braucht es aber, wenn es in Zukunft eine Rolle bei der Aussöhnung von Armeniern und Türkei spielen will.