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Politik

Armenier-Resolution: Eine Nacht drüber geschlafen – doch alles halb so wild?

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Gestern noch klangen die Äußerungen der türkischen Führung, als ob Deutschland und der Türkei eine schwere Krise bevorsteht. Heute bereits sind aus Ankara versöhnlichere Töne zu hören. Auch die Bundesregierung setzt anscheinend darauf, dass die Resolution zu keinen nachhaltigen Verwerfungen in den deutsch-türkischen Beziehungen führt.

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Türkischer Botschafter Hüseyin Avni Karslıoğlu
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Während sich die türkischen Medien in ihrer Empörung über die Armenier-Resolution des Bundestages gegenseitig überbieten, beginnt die türkische Regierung, moderatere Töne anzuschlagen. Dem türkischen Premierminister Binali Yıldırım zufolge werde der gestrige Entschluss nicht zu einem völligen Bruch in den deutsch-türkischen Beziehungen führen. „Deutschland und die Türkei sind sehr wichtige Bündnispartner“, sagte Yıdırım nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu Ajansı (AA) am Freitag in Ankara.

„Niemand soll erwarten, dass sich mit dieser und mit ähnlichen Entscheidungen plötzlich unsere Beziehungen zu Deutschland vollständig verschlechtern“, so der AKP-Politiker. Natürlich werde die Türkei aber auf die Resolution reagieren. Nun würden von der Bundesregierung Maßnahmen erwartet, „potenziellen Schäden beheben“, die die Entscheidung angerichtet haben.

Auch der türkische Botschafter in Berlin, den die Regierung gestern abgezogen und „zu Beratungen“ nach Ankara beordert hatte, schlägt heute gemäßigte Töne an. Auch er erwarte nach der Annahme der Völkermord-Resolution im Bundestag keinen dauerhaften Schaden für die Beziehungen beider Länder. „Das ist eine bedauernswerte Entscheidung, eine emotionale Entscheidung“, sagte Botschafter Hüseyin Avni Karslıoğlu am Donnerstagabend in Ankara. Die Türkei werde darauf nicht emotional, sondern „mit unserem Verstand“ reagieren. „Natürlich wird die türkisch-deutsche Freundschaft und werden die tiefen Beziehungen zwischen dem deutschen und dem türkischen Volk bestehen bleiben“, so der Diplomat.

Darauf setzt auch die Bundesregierung: Man erwarte nach Abzug des Botschafters keine darüber hinausgehende Verschlechterung der Beziehungen zu Ankara. „Unsere Hoffnung ist, dass es nicht zu weiteren Reaktionen kommt“, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amts am Freitag in Berlin. Wann der türkische Botschafter nach Deutschland zurückkehre, sei aber nicht bekannt.

Ankara hatte am Donnerstag aber nicht nur seinen Spitzendiplomaten aus Berlin zurückbeordert, sondern auch den deutschen Gesandten in der türkischen Hauptstadt zu einem Gespräch einbestellt. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nannte diese Reaktionen „erwartungsgemäß“. „Ich hoffe, dass es uns gelingt, die nächsten Tage und Wochen miteinander so zu gestalten, dass es zu keinen Überreaktionen kommt“, betonte Steinmeier während seines Besuches in Argentinien. Für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte Regierungssprecher Steffen Seibert ähnlich wie Karslıoğlu die tiefen und freundschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei. In der Flüchtlingsfrage gebe es eine enge Zusammenarbeit im Sinne gemeinsamer Interessen. „Eine solche Art von Beziehung kann und wird auch Meinungsunterschiede aushalten“, sagte Seibert. Merkel, Steinmeier und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel waren der Abstimmung, offiziell aus terminlichen Gründen, ferngeblieben.

Gestern noch waren die Töne der türkischen Führung um einiges rauer. Präsident Recep Tayyip Erdoğan sprach von „ernsten Folgen“ für die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei. „Die Entscheidung, die das deutsche Parlament soeben getroffen hat, ist eine Entscheidung, die die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei ernsthaft beeinflussen wird“, sagte Erdoğan während eines Staatsbesuchs in Kenia. Bereits einige Tage vor der Abstimmung drohte, dass Deutschland „mit politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen“ rechnen müsse, sollte der Bundestag dem Antrag zustimmen. Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu warf Deutschland vor, mit der „haltlosen“ Parlamentsentscheidung von den „dunklen Seiten der eigenen Geschichte“ ablenken zu wollen.

Drei der vier im türkischen Parlament vertretenen Parteien sprachen der Resolution des Bundestags „jede historische und rechtliche Gültigkeit“ ab. In einer gemeinsamen Erklärung forderten Erdoğans AKP sowie die Oppositionsparteien CHP und MHP die Regierung auf, zur Wahrung der türkischen Interessen „die nötigen Maßnahmen und Entscheidungen“ zu treffen. Das Parlament sei zu jeder Unterstützung bereit.

Gestern hatte der Bundestag fast einstimmig die ResolutionErinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten in den Jahren 1915 und 1916″ verabschiedet und damit Wut und Empörung in der Türkei und bei einem großen Teil der deutsch-türkischen Bevölkerung ausgelöst. In beiden Ländern kam es zu organisierten und spontanen Protesten gegen die Resolution. In Istanbul musste die Straße vor dem deutschen Generalkonsulat nahe des Taksim-Platzes gesperrt werden, da sich mehrere hundert Türken vor ihr versammeln und protestieren wollten.

(mit Material von dpa)