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Politik

Auf Kosten der Demokratie: „Wir können nicht immer nur auf dem moralischen Sockel sitzen“

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Nach der Türkei-Reise der Kanzlerin bleibt die Zusammenarbeit mit Ankara in der Flüchtlingsfrage heiß umstritten. Wahlkampfhilfe für ein autoritäres Regime, schimpfen die Grünen. Notwendige Kompromiss-Suche, meint der Innenminister.

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Zur Senkung der Flüchtlingszahlen verstärken die Bundesregierung und die EU die Zusammenarbeit mit der Türkei. Dort liegt nach Auffassung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière der „Hauptschlüssel“ zur Lösung der Krise, „weil von dort ganz viele Menschen kommen“. Es gelte einen Interessenausgleich zu finden zwischen europäischen, deutschen und türkischen Interessen, sagte er am Sonntagabend in der ARD.

Kritik an den Gesprächen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem türkischen Regierungschef Ahmet Davutoğlu und Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan wies der Innenminister zurück: „Wir können nicht immer nur auf dem moralischen Sockel sitzen und alle Welt belehren über Menschenrechtszustände.“ Ähnlich äußerte sich SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi. „Auch wenn die Voraussetzungen außenpolitisch und in der türkischen Innenpolitik höchst schwierig sind, führt kein Weg an der Zusammenarbeit mit der Türkei vorbei“, sagte sie der „Bild“-Zeitung (Montag). Schließlich gehe es darum, die Situation der Flüchtlinge zu verbessern.

Kein Wort von Merkel zur schwierigen Lage der Medien

Kritiker warfen der Kanzlerin vor, Erdoğan und die Regierungspartei AKP mit dem Besuch zwei Wochen vor der Parlamentswahl aufzuwerten. Gespräche Merkels mit türkischen Oppositionsvertretern waren nicht vorgesehen. Auch äußerte sich die Kanzlerin nicht zur schwierigen Lage der freien Medien. In den vergangenen Wochen gab es mehrere Eingriffe der AKP-Regierung in die Pressefreiheit. So wurden etwa sieben kritische Sender aus Pay-TV-Paketen ausgeschlossen und gegen die der Hizmet-Bewegung nahestehenden Sender Samanyolu und Mehtap TV Anklagen wegen „Unterstützung des Terrors“ erhoben.

Grünen-Chef Cem Özdemir sagte im ARD-„Bericht aus Berlin“: „Dazu muss man wissen, Herr Erdoğan lässt ihre Berufskollegen Journalisten in der Türkei einsperren. Von seinen Häschern werden sie zusammengeprügelt, Büros von Oppositionsparteien werden angezündet. Das ist die Realität gegenwärtig in der Türkei.“ Erdoğan müsse klargemacht werden, „die Türkei braucht Demokratie, sie braucht Meinungsfreiheit, sie muss ihre religiöse Vielfalt, übrigens auch für die Christen in der Türkei, endlich akzeptieren und gewährleisten“, sagte der Grünen-Vorsitzende weiter.

In Aussicht gestellt, mehr nicht

Für Hilfe in der Flüchtlingskrise hatte Merkel der Türkei bei ihrem Besuch am Sonntag finanzielle Hilfen und eine erleichterte Einreise ihrer Bürger in die EU in Aussicht gestellt. Im Gegenzug erwarte sie von Ankara eine schnellere Einführung des Rückübernahmeabkommens, sagte die Kanzlerin in Istanbul.

Merkel sagte, die Türkei habe bislang wenig Unterstützung bekommen für ihre große Leistung. „Deshalb werden wir uns finanziell stärker engagieren.“ Sie verstehe, dass die Türkei zusätzliches Geld möchte.

CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt betonte in der Zeitung „Die Welt“ Montag: „Wir dürfen aber der Türkei nicht zu viele Zugeständnisse machen: ein EU-Beitritt steht nicht auf der Tagesordnung. Es gibt erhebliche Defizite beim Umgang mit den wesentlichen Grundrechten, insbesondere bei Meinungs- und Pressefreiheit.“ Es gelte aber: „Wenn wir nicht mit unseren Nachbarn reden und eng zusammenarbeiten, werden wir es nicht schaffen, den Menschen in ihrer Heimat eine Bleibeperspektive zu geben.“

Die Türkei hat nach offiziellen Angaben aus Ankara 2,2 Millionen Schutzsuchende alleine aus Syrien und dem Irak aufgenommen. Die Türkei hat drei Milliarden Euro für die Versorgung der Menschen im Land gefordert – sechsmal so viel wie von der EU bisher angeboten. (dtj/dpa)