Politik
Aufgeheizte Debatte wegen Doppelpass und Türken: Parteien greifen CDU an
Angela Merkel will das Votum ihrer CDU gegen den Doppelpass nicht umsetzen – doch der Parteitagsbeschluss steht. SPD, Linke und Grüne sehen darin eine Ausgrenzung vor allem von Türken. Selten wird im Bundestag so emotional und in freier Rede um ein Thema gerungen.
Die CDU von Kanzlerin Angela Merkel ist im Bundestag für ihren Parteitagsbeschluss zur Einschränkung der doppelten Staatsbürgerschaft von allen anderen Fraktionen massiv kritisiert worden. In einer aufgeheizten Debatte warfen der Koalitionspartner SPD sowie die Oppositionsfraktionen von Linken und Grünen der Union vor, damit vor allem Türken ausgrenzen zu wollen. Die Union werde nach der Bundestagswahl 2017 keinen demokratischen Koalitionspartner finden, der das mitträgt, hieß es übereinstimmend. Es kam vor allem zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen CDU und Grünen.
Seit einer Vereinbarung der schwarz-roten Koalition 2014 müssen sich in Deutschland geborene Kinder von Ausländern nicht mehr im Alter von 18 bis 23 Jahren zwischen der deutschen und der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern entscheiden. Das trifft vor allem auf viele Türken zu. Die CDU – und auch deren Schwesterpartei CSU – wollen das nun rückgängig machen. Merkel war bei dem Parteitag in Essen vorige Woche mit ihrer Auffassung knapp unterlegen, an dem sogenannten Doppelpass festzuhalten. Sie will den Beschluss aber nicht umsetzen. An der von den Grünen beantragten Aktuellen Stunde nahm sie nicht teil.
Merkel will keinen Wahlkampf gegen den Doppelpass
Die meisten Abgeordneten hielten ihre von Emotionen geprägten Reden frei. Die Redner von CDU und CSU machten wie der Parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Günter Krings (CDU), deutlich, dass der Kompromiss mit der SPD nicht mehr in dieser Wahlperiode aufgekündigt werde – in dem Parteitagsbeschluss ist auch kein Datum gesetzt. Klar wurde aber, dass ein großer Teil von CDU und CSU Wahlkampf gegen den Doppelpass machen will – auch das lehnt Merkel ab. Der Grünen-Politiker Volker Beck sagte, die CDU habe ihrer Vorsitzenden einen „Tritt in die Kniekehle“ verpasst. Die Gesellschaft würde bei einer Umsetzung des Beschlusses gespalten.
CDU-Generalsekretär Peter Tauber warf wiederum vor allem den Grünen vor: „Fahne doof, Hymne doof, Sprache doof. Das ist Ihr Bild von Deutschland.“ Es brauche ein Bekenntnis zu diesem Land.
Der CDU-Mann Helmut Brandt bedauerte allerdings, dass sich der Grünen-Politiker Özcan Mutlu von ihm beleidigt fühlte. Brandt hatte in Mutlus Richtung von „Ihrem Präsidenten“ Recep Tayip Erdoğan gesprochen. Mutlu sagte, er sei Deutschland treu, und könne wie alle aus der Türkei stammenden Bundestagsabgeordneten derzeit nicht in die Türkei reisen, weil es quasi ein Einreiseverbot des Staatschefs für sie gebe. Es machte deutlich, wie es ihn kränkte, dass Brandt Erdoğan und nicht Joachim Gauck als seinen Präsidenten beschrieb.
Deutscher mit Migrationshintergrund: „Ich wollte aber immer nur ein Mensch sein in diesem Land“
Die Linke-Abgeordnete Sevim Dağdelen sagte, der CDU-Beschluss bedeute Ausgrenzung. Vor allem Türken seien betroffen. Damit spiele die CDU dem „Diktator“ Erdoğan die ganzen Menschen in die Hände. Das sei Gift und das Gegenteil von Integration. Ende der 1990er Jahre habe der spätere CDU-Ministerpräsident Roland Koch mit seinem Nein zum Doppelpass den „geschmacklosesten und gefährlichsten Wahlkampf“ in Hessen geführt. Wähler hätten gefragt: „Wo kann ich gegen Ausländer unterschreiben?“ Der jetzige CDU-Beschluss sei nichts anderes als „Roland Koch reloaded“. Die CDU verfolge eine „fiese und miese“ Strategie. „Das ist ein Weg in die Vergangenheit.“
SPD-Generalsekretärin Katarina Barley sprach von einem Signal der Spaltung. Barley, die die deutsche und die britische Staatsbürgerschaft hat, rief an die Adresse der Union mit Blick auf die Bundestagsabgeordneten mit doppelter Staatsbürgerschaft: „Was bringt es einem von Ihnen, dass wir unseren zweiten Pass abgeben? Seien Sie froh, dass es Brücken gibt zwischen zwei Staaten.“ Der SPD-Abgeordnete Josip Juratovic sagte, er sei heute Deutscher mit Migrationshintergrund. „Ich wollte aber immer nur ein Mensch sein in diesem Land.“ (dpa/dtj)