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Bildung & Forschung

Aus dem Mist von Sarrazin gewachsen: Junge Islam Konferenz feiert Jubiläum

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Gehört der Islam zu Deutschland oder nicht? Schafft Deutschland sich, wie Thilo Sarrazin einst provokativ formulierte, ab? Vor gut einem Jahrzehnt waren das zwei maßgebliche Fragen, über die gesprochen wurde. Über und weniger mit ihnen wurde und wird oftmals auch heute noch gesprochen, wenn es um Muslim:innen in diesem Land geht. Die Junge Islam Konferenz (JIK) nahm sich vor, das zu ändern und vor allem jungen Muslim:innen eine Stimme zu verleihen. Diese Woche feierte sie ihr zehnjähriges Bestehen. Leiterin Dr. Asmaa Soliman stand uns für ein Interview zur Verfügung.

DTJ: Herzlichen Glückwunsch zu zehn Jahren Junge Islam Konferenz. Wofür kann man die Plattform, außer für das Jubiläum, noch beglückwünschen, Frau Soliman? Welche Ziele haben Sie in dieser Zeit erreicht?

Soliman: Wir haben ein großes Netzwerk von jungen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen aufgebaut, die sich mit Hilfe unserer Empowerment-, Vernetzungs- und Coachingangebote in unterschiedliche Bereiche innerhalb der Gesellschaft einbringt und sich für Vielfalt, Chancengleichheit und Repräsentation einsetzen. Insbesondere mit Hinblick auf unsere Alumni freut es uns zu sehen, dass sie nun in wichtigen Positionen sitzen und durch ihre Teilhabe den Islamdiskurs mitgestalten. Gleichzeitig ist es schön zu sehen, dass junge Menschen sich durch unsere Empowerment-Räume unterstützt fühlen. Durch den Austausch im Netzwerk der Jungen Islam Konferenz wurde bei vielen jungen Menschen eine Selbstreflektion ausgelöst, die dazu geführt hat, dass sie sich stärker für von Rassismus betroffene Menschen einsetzen und sensibler mit dem Thema umgehen.

Hat sich im Laufe der Jahre der Schwerpunkt Ihrer Arbeit verändert?

Die JIK wurde ins Leben gerufen, um jungen Menschen eine Plattform zu geben und ihnen zu ermöglichen, den Islamdiskurs konstruktiv mitzugestalten. Sie ist in dem Kontext entstanden, in dem Thilo Sarrazins rassistisches Buch ‚Deutschland schafft sich ab‘ erschien und der Islamdiskurs in Deutschland sehr reaktionär geführt wurde. Gleichzeitig sollte die Deutsche Islam Konferenz um mehr junge Perspektiven ergänzt werden, damit die Erfahrungen junger Menschen sichtbar werden. An dem Ansatz hat sich bis heute wenig verändert.

Sie sind kein religiöses Projekt und kein Forum nur für Muslim:innen. Wie viele Nicht-Muslim:innen engagieren sich oder sind Teil der JIK?

Für uns ist es sehr wichtig, Teilnehmer:innen mit und ohne muslimischen Hintergrund dabei zu haben, denn wir glauben fest daran, dass Allianzen und Solidarität relevant sind und sich eben nicht nur Betroffene für Themen wie Antirassismus und Diversität einsetzen. Innerhalb unseres Netzwerks haben wir ca. ein Drittel nicht-muslimische Mitglieder, bei unseren Veranstaltungen achten wir auf eine paritätische Teilnehmer:innenschaft.

„Weiße Mitglieder für Rassismuserfahrungen sensibilisieren“

Im Kampf gegen Rassismus bleibt es oft bei guten Vorsätzen und Äußerungen. Die Zahl der islamfeindlichen Straftaten zum Beispiel liegt bei jährlich etwa 1.000. Viele Muslim:innen werden aber auch strukturell diskriminiert, zum Beispiel bei der Job- oder Wohnungssuche. Was sind Ihre Ansätze, um dagegen anzugehen?

Zum einen versuchen wir die Betroffenen zu stärken, indem wir ihnen Räume bieten, sich über ihre rassistischen Erfahrungen auszutauschen, sich gegenseitig zu stärken und sich trotz dessen nicht geschwächt zu fühlen. Zum anderen sensibilisieren wir weiße Mitglieder für Rassismuserfahrungen, die wiederum innerhalb ihrer Netzwerke und Kontexte rassismuskritischer agieren. Um aber auch die strukturelle Ebene zu erreichen, fördern wir unsere Teilnehmer:innen darin, die Gesellschaft auf allen Ebenen mitzugestalten. Wir führen Gespräche mit Stakeholdern und veröffentlichen Papiere, in denen wir Forderungen und Handlungsempfehlungen vorstellen.

Generell sind Themen im Zusammenhang mit dem Islam oft negativ behaftet – Stichwort „einseitige Berichterstattung“. Inwiefern erschwert das Ihre Arbeit?

Es ist natürlich kein neutraler Kontext, in dem wir agieren. Unsere Arbeit wird dadurch erschwert, dass wir nicht bei 0, sondern bei -5 anfangen und uns erstmal damit beschäftigen müssen, Stereotype, Feindbilder und Vorurteile zu dekonstruieren. Aber das ist eine Aufgabe, die wir wichtig finden, auch wenn sie aufwendig ist. Wir wirken aber auch in die Öffentlichkeit hinein, versuchen eigene, vor allem junge Narrative zu etablieren. So coachen wir beispielsweise unser junges Netzwerk aktuell in einer Medienakademie darin, Medienbilder fern der Stereotypisierungen selbst zu gestalten.

Multiple Identitäten als Mehrwert

Der Islam in Deutschland bzw. Europa ist nach wie vor stark mit den Herkunfts- bzw. Ursprungsländern der hier lebenden Gläubigen verknüpft. Das trifft insbesondere auf die Türkei zu. Beobachten Sie ein Bestreben bei der jungen Generation, das zu ändern?

Wir leben in einer globalisierten Welt und in von Migration geprägten Gesellschaften, in der multiple Identitäten zur Normalität geworden sind. Daher ist es wichtig und richtig, wenn junge Menschen sich sowohl mit dem Herkunftsland ihrer Eltern als auch ihres Landes verbunden fühlen. Nicht alle jungen Menschen haben eine starke Verbindung zu dem Herkunftsland ihrer Eltern oder Großeltern, das muss auch nicht immer der Wunsch sein, da jedes Individuum unterschiedliche Identifikationen hat und sich auch diese innerhalb der Jahre verändern können. Bei vielen kann man aber zumindest ein Interesse an der eigenen Herkunftsgeschichte beobachten. Diese multiplen Identitäten sehen wir als Mehrwert und wollen dafür plädieren, dass das auch in der Gesamtgesellschaft anerkannt wird.

Was sind Ihre Erwartungen an die Politik, damit in Deutschland alle Menschen, egal mit welchem Hintergrund, ähnliche Chancen haben, etwas aus Ihrem Leben zu machen?

Wir wollen, um es einfach zu fassen, dass das demokratische Versprechen eingehalten wird. Das heißt konkret Chancengerechtigkeit, Teilhabe, Repräsentation sowie Anerkennung aller gesellschaftlichen Gruppen.

Welche Impulse erhoffen Sie sich von Ihrer Jubiläumsfeier für die Zukunft?

Ein wichtiger Impuls ist anzuerkennen, dass es nicht mehr darum geht, ob der Islam zu Deutschland gehört oder ob wir eine Einwanderungsgesellschaft sind, sondern wie wir eine inklusive und diverse Gesellschaft gestalten können, um sie insbesondere für marginalisierte Gruppen, die immer wieder benachteiligt werden, fair und respektvoll zu entwickeln. Und wie wir einer jungen, postmigrantischen Generation die Türen öffnen können für eine lebhafte Demokratie, in der alle mitreden.

Vielen Dank für die Antworten, Frau Soliman!

Dr. Asmaa Soliman leitet die Junge Islam Konferenz, die ein Projekt der Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa ist. Die Sozialwissenschaftlerin hat in Maastricht und in London studiert, wo sie auch promovierte. Hieraus entstand ihr Buch European Muslims Transforming the Public Sphere, worin sie das Engagement junger Muslim:innen in der Öffentlichkeit untersucht. Sie hat zu ihren Schwerpunkten Islam in Europa, Diversität und interkulturelle Verständigung sowohl geforscht und gelehrt als auch Projekte koordiniert. Sie leitet die JIK mit dem Ziel, die Bereiche Peer Education und den Europa-Fokus noch weiter voranzubringen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner:innen geben deren eigene Auffassungen wieder. 

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