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Kolumnen

Türkei, Frankreich, Deutschland: Ausnahmezustand allerorten

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Türkei, Frankreich und zuletzt Deutschland: Gescheiterter Putsch da, Terroranschläge hier, Ausnahmezustand überall. Müssen wir uns auf Ausnahmezustand als Normalzustand gewöhnen? Ein Blick über die Grenzen hinaus.

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Während man die Rhetorik von Recep Tayyip Erdoğan und Francois Hollande kaum noch unterscheiden kann, ist man geneigt zu fragen, was da abgeht in Europa. Die Nagelprobe auf die viel beschworenen Werte besteht derzeit kaum jemand: Ausnahmezustände und Diskussionen über die Todesstrafe zeigen, wie dünn der Grat ist, die für sich selbst beanspruchten Rechtsgrundsätze für andere nicht gelten zu lassen. Hier hat vor allem die langjährige anti-Islam-Rhetorik Vorschub geleistet mit der vermeintlich plausiblen Redewendung „keine Toleranz der Intoleranz“. Wer sich diesem Dogma unterwirft, hat schon verloren. Dann gibt es nichts mehr zu verteidigen. Dann sind alle gleich im Aberkennen der Rechte des jeweiligen Gegenübers – und das entspricht ja auch der weltpolitischen Gesamtlage. Dabei sind die Entrechteten zumeist auch die Armen.

Bei aller Anteilnahme an den Schrecken hier in unserer gefühlten Nähe, bleibt die Lage in anderen Gegenden der Welt um einiges schlimmer – und das liegt auch an unserer Politik: „Ressourcensicherung“, wie es in Schriften von NATO & Co. heißt, expandierende Militärgüterexporte überall hin, das Knebelkreditwesen von Weltbank, IWF und nun auch der EU, das die Polarisierung zwischen Arm und Reich verschärft und Kriege und Fluchtbewegungen anheizt…. So kann es eigentlich nicht weitergehen.

Aber die Terrorangst und der vermeintlich starke Staat am Ende der Symptomkette mögen von solchen Zusammenhängen ablenken und den letzten Todeskampf der ohnmächtigen Politikerkaste noch etwas verdecken. Helfen wird das alles nicht. Im Gegenteil: Die jetzt wieder aus der Schublade gezogenen Überwachungsmaßnahmen können auch gegen Demonstranten gerichtet werden, die sich kritisch gegen TTIP und CETA stellen oder andere Missstände anprangern wollen. Wir sitzen also alle tatsächlich im selben Boot, nur scheint das Mitgefühl für die weniger Privilegierten zu fehlen.

Sonst würden wir einen Ausnahmezustand wie den in Afghanistan und seinen Nachbarländern nicht übersehen, der nur beispielhaft für viele andere Regionen im Nahen Osten, in Afrika und noch anderswo ist. Wenn jetzt über die Nationalität des jungen Axt-Attentäters in einem Regionalzug bei Würzburg diskutiert wird, zeigt das gleich mehrere Probleme. Für die Situation vor Ort besteht offensichtlich kein Verständnis, denn sie scheint kaum bekannt. Der östliche Paschtu-Dialekt des jungen Afghanen könnte nicht nur auf eine pakistanische Staatsbürgerschaft hindeuten, sondern auch auf ein Aufwachsen in einem der unzähligen und elenden Flüchtlingslager, die Afghanen seit langem in Pakistan behausen (müssen).  Dort ist der Ausnahmezustand Normalität und wird von uns auch nicht in Frage gestellt. Der Reflex, die Ursachen für diese Zustände lokalen Größen wie den Taliban oder dem sogenannten IS zuzuschreiben, greift zu kurz, wenn man die historische Verantwortung ernst nimmt, die etwa der US-Stratege Zbigniew Bzrezinski übernommen hat. In Bezug auf die Destabilisierung Afghanistans fand er seine Strategie der Aufrüstung der Mudschaheddin zur Zerschlagung der Sowjetunion gerechtfertigt. Ob er heute auf die gleiche Frage auch mit „Ja, berechtigt – hat sich gelohnt“ antworten würde, wenn man die Folgen des „globalen Dschihad“ mit einbezieht und den heimkehrenden Krieg in Form von Terror mit einbezieht?