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Politik

Bedeutet Baransu-Verhaftung das Ende des Balyoz-Prozesses?

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Paukenschlag im Zusammenhang mit dem Balyoz-Prozess. Mit der Verhaftung des Journalisten Mehmet Baransu könnte eines der bedeutsamsten Verfahren der jüngeren türkischen Geschichte vor seinem endgültigen Ende stehen.

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Mehmet Baransu
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Am Montag wurde gegen den zuvor festgenommenen Baransu ein Haftbefehl erlassen. Die Anti-Terror-Polizei hatte ihn im Zuge einer Operation festgesetzt, in der es um CDs ging, die im berühmten „Balyoz“-(Vorschlaghammer-) Prozess als Beweismittel verwendet wurden. Die Sicherheitskräfte hatten am Sonntag zehn Stunden lang das Domizil des Journalisten durchsucht und eine Reihe von Dokumenten beschlagnahmt.

Am 21. September 2012 wurden 331 von 365 Angeklagten dieses Verfahrens schuldig gesprochen und drei frühere Generäle der türkischen Armee zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt, weil sie einen Putsch gegen die gewählte Regierung geplant haben sollen. Die lebenslangen Haftstrafen wurden später auf 20 Jahre reduziert, da dem Berufungsgericht zufolge der Putschversuch nicht vollendet worden wäre.

Nun wird Baransu vorgeworfen, eine „kriminelle Vereinigung“ gebildet zu haben. Zudem hätte er Dokumente, die „in- und ausländische Interessen des Staates berühren“, hergestellt, publiziert und zerstört.

Baransu, ein Journalist der Tageszeitung „Taraf“, hatte im Januar 2010 in Istanbul einen mit Dokumenten gefüllten Koffer zur Staatsanwaltschaft gebracht. In diesem befanden sich CDs, Tonbänder, Ausdrucke von Dokumenten und handgeschriebene Notizen, die einen Putschplan beweisen sollen. Es war der Auftakt zum Balyoz-Verfahren.

Den Unterlagen zufolge soll es sich bei Balyoz um einen 2003 ausgearbeiteten Putschplan von Armeeangehörigen gegen die erst im Jahr zuvor an die Regierung gewählte Adalet ve Kalkınma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung; AKP) handeln. Dabei sollten durch das Militär selbst mittels False-Flag-Operationen Unruhen geschaffen werden, die der Armee eine Grundlage schaffen sollten, um gegen die Regierung zu putschen.

Im Balyoz-Plan wurde Strategie der Spannung umschrieben

In diesem Zusammenhang sollten unter anderem Bombenanschläge auf zwei größere Moscheen in Istanbul verübt werden, Personen, die als religiöse Extremisten verkleidet wären, sollten ein Militärmuseum überfallen und mittels des fingierten Abschusses eines türkischen Militärjets, der Griechenland in die Schuhe geschoben werden sollte, wäre geplant gewesen, auch an dieser Front Spannungen zu schaffen. Am Ende sollte die Armee demnach über mehrere Städte das Kriegsrecht verhängen und die AKP-Regierung stürzen.

Das Balyoz-Urteil vom September 2012 galt als Meilenstein der türkischen Rechtsgeschichte. Erstmals in der Geschichte mussten sich Generäle, die in der Zeit zwischen 1960 und 1997 vier Mal durch einen Putsch gewählte Regierungen beseitigt hatten und noch 2007 durch entsprechende Drohungen versuchten, eine Präsidentenwahl zu beeinflussen, vor einem zivilen Gericht für undemokratische Machenschaften verantworten.

Im Juni 2014 jedoch ordnete der Verfassungsgerichtshof die Freilassung aller 236 auf Grund des erstinstanzlichen Urteils inhaftierter Verdächtiger an, nachdem er in einer Entscheidung über ein Rechtsmittel der Überzeugung Ausdruck verliehen hatte, dass die Angeklagten bezüglich der digitalen Daten und der Zeugenaussagen, die als Beweismittel ausgewertet worden waren, in ihren Rechten verletzt worden wären. Am 3. November des Vorjahres wurde das Verfahren wiederaufgenommen.

Gutachten über gefälschte Beweismittel belasten Baransu

Am 15. Dezember 2014 wurde ein Gutachten veröffentlicht, in dem es hieß, entscheidende Beweismittel wären fabriziert worden, so etwa auf CDs gebrannte Notizen, die mit einer Maschine geschrieben worden wären und nicht die Handschrift des angeklagten Generals Süha Tanyeri aufwiesen.

Ein weiteres, am 17. Februar veröffentlichtes Gutachten sprach von noch weiteren Beweismitteln aus dem Verfahren, die sich als Fälschungen erwiesen hätten. Demnach seien zusätzliche Ordner und Dokumente auf einer als Beweismittel zugelassenen Hard Disk aufgetaucht, die erst nachträglich hinzugefügt worden wären und nach dem 28. Juli 2009, dem Tag, als die Beweismittel in die Verfügungsgewalt des Journalisten gekommen wären, eingefügt worden sein müssten.

Mehmet Baransu hatte bereits mehrfach die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich gezogen, stets auf Grund kontroverser Tweets. Acht Mal wurde er festgenommen, in keinem der bisherigen Fälle wurde jedoch ein Haftbefehl ausgestellt. Baransu bestreitet alle Anschuldigungen. Bereits im Zusammenhang mit der Wiederaufnahme des Balyoz-Verfahrens hatte er angedeutet, es könne eine ungeschriebene Abmachung zwischen der Regierung und der Armeeführung geben, sich an der für Investigativjournalismus bekannten, regierungskritischen Zeitung zu rächen. Bereits im Dezember 2014 waren mehrere Journalisten, unter anderem „Zaman“-Chefredakteur Ekrem Dumanlı, verhaftet worden.

Früherer „Taraf“-Chefredakteur: „Stellt mir die Fragen“

Ahmet Altan, früherer Chefredakteur von „Taraf“, verurteilte die Verhaftung Baransus scharf. Er habe entschieden, die Balyoz-Pläne zu veröffentlichen und trage als Chefredakteur somit die rechtlichen Konsequenzen. Wenn es jemanden gäbe, der zur Rechenschaft zu ziehen wäre, dann sei das er.

„Sie sagen, die Pläne seien gefälscht. So frage ich sie, wo sind dann die echten Dokumente?“, erzürnte sich Altan in einem in der „Cumhuriyet“ veröffentlichten Artikel.

„Wenn ich jemanden nicht leiden kann, dann sind es Diebe und Putschisten. Jetzt gehen sie Hand in Hand und versuchen sich gegenseitig reinzuwaschen“, schrieb der langjährige Journalist und kritisierte die AKP-Regierung, die damals alles dafür getan habe, die Generäle verurteilen zu lassen, jetzt allerdings mit ihnen gemeinsame Sache mache.