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Bildung & Forschung

„Banane“ heißt „Was geht mich das an?“ – Türkischunterricht für Gastarbeiterkinder in den 80ern

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„Tschüss“ und „çüş“ klangen fast gleich. Für uns Gastarbeiterkinder damals der absolute Renner. Kindheitserinnerungen an den Türkischunterricht in einem Berliner Gastarbeiterviertel

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Als ich 9 Jahre alt war,  ging ich nach dem regulären Besuch der Berliner Grundschule zusätzlich zwei mal  pro Woche für wenige Stunden zum Türkischunterricht. Das war in den späten 80ern. Der Unterricht fand meist zwei mal pro Woche für zwei bisdrei Stunden am Nachmittag in den Räumen der  Rübezahl-Grundschule statt,  also da, wo wir sonst regulär zur Schule gingen.

All meine türkischen Freunde aus der Grundschule gingen zum Türkischunterricht. Also zog ich mit. Immerhin hatten sie lustige Geschichten erzählt und davon, wie viel sie lernten: Lesen und Schreiben, neben der Bedeutung von Atatürk wurden auch Geschichten von Nasrettin Hoca vorgetragen. Sie erfuhren viel über die Geographie des Landes, die Bezeichnung der Pflanzenarten und wo sie in der Türkei wuchsen. Dann gab es noch den Musik- und Kunstunterricht, worauf ich mich besonders freute. Gesungen wurde meist im Chor. Talentierte Kinder wurden dabei besonders gefördert:  Sie bekamen einen Soloauftritt bei offiziellen Anlässen oder ihre gemalten Bilder wurden bei nationalen Wettbewerben eingereicht und anschließend in Bonn, der damaligen Hauptstadt der BRD, ausgestellt. Es klang also alles spannend.

Meine Mutter lernte mit uns aus der Fibel Deutsch

Unsere Eltern begrüßten dies sehr. Auch wenn meine Schwester und ich zu Hause bis zur Einschulung ausschließlich Türkisch sprachen, blieben unsere Muttersprachkenntnisse begrenzt. Das hatte vor allem damit zu tun, dass wir nach der Schule nachmittags im Hort waren und weiterhin deutsch sprachen. Selbst zuhause gab unser Vater sein Bestes in Sachen deutscher Sprachvermittlung. Trotz seiner bedingten Sprachkenntnisse, brachte er uns einige Brocken bei, die er auf der Arbeit oder im Gespräch mit den Nachbarn gelernt hatte.

Dabei gab es keinen anderen Artikel außer „die“, ganz gleich ob es sich um Hund, Huhn oder Henne handelte. Auch der Satzbau war des Öfteren improvisiert. Wir lernten also zwar deutsch, aber „wischiwaschi“, wie es mein Vater ausdrückte, oder „unkorrekt“, wie es mein Kindergartenbetreuer im Wedding nannte. Das war dennoch nicht schlimm. Unsere Betreuer waren sehr aufmerksam. Sie bügelten die Fehler mit viel Geduld und Humor wieder glatt indem sie mit uns Lieder mit Gitarre oder auch Theaterstücke einstudierten. Sie wussten, dass spielerisches Lernen etwas bringt. Und wir lernten sehr schnell. Deutsch wurde dadurch zu unserer zweiten Muttersprache.

„Banane“ heißt auf Deutsch „Was geht mich das an?!“

Wir wiederum, also meine Schwester und ich, brachten unseren Eltern „anständiges“ Deutsch bei. Meine Mutter war dabei sehr ambitioniert. Sie konnte damals noch kein Deutsch, lernte mit uns aber aus der Fibel lesen und schreiben. Sie lernte auch, dass „Banane“ eine Frucht ist. Denn „Bana ne?!“ heißt auf türkisch „Was geht mich das an?!“

Wir machten also gemeinsam Hausaufgaben. Dennoch: Je besser und sicherer wir die Sprache beherrschten, desto mehr Schwierigkeiten hatten wir, uns auf Türkisch auszudrücken. Meine Eltern begrüßten daher die Idee sehr, dass ich am Türkischunterricht teilnehme. Wir Kinder sollten den Bezug zur „Heimat“ nicht ganz verlieren, auch wenn diese ja eigentlich in Deutschland war.

Immerhin gab es nachmittags im Hort Eier in Senfsauce, was ich übrigens bis heute noch liebe und gelegentlich selbst koche, am Abend dann Tee mit Börek, gefüllt mit Spinat und Käse. Unsere Eltern achteten sehr darauf, dass wir mit beiden Kulturen vertraut waren. Wir bekamen zum Bayramfest Süßigkeiten, und zu Weihnachten Geschenke. Die lagen zuhause unter dem selbstgeschmückten kleinen Tannenbaum, den unsere Eltern auf den Beistelltisch gepackt hatten.  Wir sollten den anderen Kindern in der Schule in nichts nachstehen.

Unser Lehrer konnte kein Deutsch. Das war erwünscht und gut so

An meinem ersten Tag im Türkischunterricht musste ich mich auf Türkisch vorstellen. Das ist mir nicht leicht gefallen. Immer wieder mischte ich deutsche Worte in den Satz, manchmal waren es sogar eher deutsche Sätze mit türkischen Wortfetzen. Ich war es nicht gewohnt, ausschließlich türkisch zu sprechen. Das hatte auch der Türkischlehrer bemerkt. Er runzelte die Stirn und lächelte dabei. Er verstand nichts.

Denn er war, wie so viele Lehrer, ohne deutsche Sprachkenntnisse direkt aus der Türkei gekommen. Die Regierung hatte diese Lehrer gezielt für die Schulung der Gastarbeiterkinder in türkischer Sprache eingesetzt. Damals hatte das  Bildungsministerium in Deutschland die Sprachvermittlung der Muttersprache gefördert und ausgebildete Lehrer aus der Türkei besonders in den 80ern angeworben und in Regionen mit hohem Migrationsanteil eingestellt. Dazu gehörte auch der Berliner Wedding.

Deutsch konnte unser Lehrer also nicht. Das war erwünscht und auch gut so: Denn Kinder wie wir, die bereits ihre eigene „Kreolsprache“ erfunden hatten, sollten nun lernen, sich gepflegt und vor allem konsequent in einer Sprache auszudrücken. Ein türkischer Lehrer ohne Deutschsprachkenntnisse war da perfekt.

Die Nationalhymne zu singen, wurde nicht als patriotisch empfunden. Es war halt Teil der Kultur

Zu Beginn des türkischen Unterrichts im neuen Schuljahr mussten wir  die türkische Hymne singen. Das gehörte zur Allgemeinbildung und wurde im Lehrprogramm großgeschrieben. Der Lehrer stand mit dem Holzstock an der Tafel und gab den Takt an. Es war ein lustiger Anblick, wenn der Stock zitterte. Dieses Zittern und Schwingen drückte soviel aus: die Emotion und den Enthusiasmus des Lehrers einerseits, während wir die Hymne sangen. Es war aber auch so etwas wie der verlängerte mahnende Finger, der uns Schüler davor bewahren sollte, aus der Reihe zu tanzen. Im Takt bleiben war wichtig. Die Hymne sangen wir solange, bis alle Schüler sie auswendig konnten. Danach wurde sie nur noch ab und an zur Auffrischung gesungen.

Damals war das weder für uns Kinder, noch für die Erwachsenen, also für die Eltern oder die Lehrer an den deutschen Schulen ein Problem. Die Hymne zu singen wurde nicht gleich als patriotisch, nationalistisch oder sonstiges gesehen. Es war ein Teil der Kultur. Migrantenkinder, die in Deutschland aufwuchsen, sollten  in der Lage sein, die Nationalhymne singen zu können; wie Kinder anderer Nationalitäten auch. Das war die Auffassung. Heutzutage wäre diese Forderung an solchen Schulen undenkbar. Damals war es sehr entspannt und dadurch vor allem lustig.

Einmal hatte der Lehrer einen Liebesbrief abgefangen, den ein Junge an seine Angehimmelte im Unterricht weiterreichen ließ. Das war fatal für ihn.

Wir waren eine Art „Hababam sınıfı“, das Pendant dazu wäre wohl die „Fliegenklasse“ mit Uschi Glas. Ständig Flausen im Kopf, gegenseitiges Necken, Abgucken vom Nachbarn bei Diktaten wenn der Lehrer nicht hinguckte. Dabei waren wir solidarisch untereinander: Wir tauschten die Ergebnisse der Hausarbeiten untereinander aus oder schrieben für andere mit, wenn die mal schwänzten. Andere Male kamen wir kollektiv zu spät von der Pause zurück. Zur Strafe mussten wir zuhause Texte vier mal abschreiben statt wie üblich nur einmal. Das übernahmen dann einige Mitschüler, die das Schreiben sehr mochten und erledigten die Hausarbeiten für andere. Im Gegenzug bekamen sie Süßigkeiten oder kleine Geschenke wie Schlüsselanhänger, Buntstifte oder einen Flummi. Die Lehrer bemerkten es, wenn wir mogelten. Immerhin kannten sie unsere Handschriften. Dennoch sagten sie nichts oder ermahnten höchstens in einem Ton, den wir nicht immer ernst nahmen konnten. Unsere Lehrer gaben vor, streng zu sein, dabei waren sie gütig, verständnisvoll und nahmen sich selbst meist nicht ganz ernst. Die meisten Lehrer waren sehr lustig, es ging immer sehr spaßig zu.

Einmal hatte der Lehrer einen Liebesbrief abgefangen, den ein Junge im Unterricht an seine Angehimmelte durch die Reihen weiterreichen ließ. Das war fatal für ihn. Der Lehrer fing sie auf der Route ab, holte den Jungen nach Vorne, bat ihn den diktierten Brief an die Tafel zu schreiben. Als wäre dies nicht genug, musste die Klasse hinterher die Fehler aufzeigen und der Junge musste sie mit  gelber Kreide korrigieren. Die Meisten hatten vor Lachen Bauchschmerzen.

Für den Jungen war es weniger lustig. Er ist über beide Ohren rot angelaufen, das betreffende Mädchen auch. Sie ist anschließend raus gelaufen, weil es ihr peinlich war. Aber nach einer Woche war alles verdaut. Schließlich wurden die beiden dann ein Paar. Auch wenn das Liebesbekenntnis unfreiwillig in offizieller Form stattgefunden hatte, so blieb es vor dem Lehrer dennoch ein Geheimnis.

Schule im Berliner Wedding in den Achtzigern

Diese Zeiten liegen mittlerweile mehr als 20 Jahre zurück. Es sind schöne Erinnerungen, die ich an meinen Türkischunterricht habe: engagierte, menschliche Lehrer, die im Dialog mit uns Kindern standen. Tolle Schulkameraden hatten wir, ganz gleich ob Sunnit, Alevit, Kurde, religiös erzogen oder nicht. Wir waren ein Team und hatten immer viel Spaß miteinander. Gelernt haben wir dabei allemal über die türkische Kultur und landeskundliche Kenntnisse, die uns die Vielfalt unseres fernen „Heimatlandes“ vermittelten, uns aber auch zu vielseitigen Persönlichkeiten aufwachsen ließen. So geht es vielen meiner Generation.

Diesen Lehrern haben wir sehr viel zu verdanken. Aber auch der deutschen Regierung, die uns diese Bildung ermöglicht und sie unterstützt hat. Unsere deutschen Lehrer und Betreuer vom Kindergarten begrüßten diese Maßnahmen ebenfalls und lernten sogar einige Wörter, die sie häufiger von uns ausländischen Kindern aufschnappten, wie beispielsweise „Bana ne?“ Durch uns wissen unsere Betreuer, dass nicht immer alles gleich „Banane“ ist, was nach Banane ausschaut.