Connect with us

Politik

„Bayern hat seinen Erfolg dem Bund zu verdanken“

Spread the love

Am 15. September wählt Bayern einen neuen Landtag, eine Woche vor der Bundestagswahl. Umfragen sehen die CSU zur absoluten Mehrheit zurückkehren. Die SPD will dennoch die Flinte nicht ins Korn werfen und setzt auf den Wechsel. (Foto: B. Aydın)

Published

on

„Bayern hat seinen Erfolg dem Bund zu verdanken“
Spread the love

Markus Rinderspacher, 43 Jahre alt, ist Fraktionsvorsitzender der SPD im bayerischen Landtag und Abgeordneter aus München-Ost, wo der Migrantenanteil hoch ist. Dort leben über 8 000 türkischstämmige Bürger. Rinderspacher pflegt nach eigener Aussage regen Kontakte mit ihnen und ist der Meinung, dass ihre Interessen bei der SPD ganz gut aufgehoben sind. Er stand dem DTJ für ein Interview zur Verfügung.

Sehr geehrter Herr Rinderspacher, die aktuellen Umfragen sehen die CSU auf dem direkten Weg zurück zur absoluten Mehrheit. Macht da der Wahlkampf überhaupt noch Spaß?

Wir wollen zusammen mit Grünen und FW erstmals seit 1956 die CSU in die Opposition schicken. Das ist realistisch. Es ist Zeit für einen Regierungswechsel. Der Stimmenabstand zwischen dieser Koalition und der aktuellen Koalition ist sehr gering. Wenn SPD, Grüne und FW noch ein paar Pünktchen zulegen und CSU ein paar Pünktchen verliert, dann haben wir es geschafft. Die Bürger sollen deshalb Wahlprogramme der Parteien genau anschauen.

Mit Christian Ude haben wir in Bayern sehr gute Wahlchancen und werden nach der Wahl die Möglichkeit haben, die Regierung zu bilden. Laut Umfragen ist unser Spitzenkandidat Christian Ude in allen Regierungsbezirken in Bayern sehr beliebt und gilt als besonders glaubwürdiger Politiker.

Sie stellen Themen wie Bildung und Studium in den Mittelpunkt Ihrer Wahlkampagne. Dabei gilt Bayern als das Bundesland mit der erfolgreichsten Bildungspolitik. Was stört Sie an der derzeitigen Politik?

Studiengebühren, die eine Barriere darstellten, haben wir erst nach einem erbitterten Kampf gegen die CSU über ein Volksbegehren abschaffen können.

In Bayern herrscht zudem immer noch keine Bildungsgerechtigkeit vor. In keinem der Bundesländer hängt der Bildungserfolg von Kindern so sehr vom Geldbeutel der Eltern ab wie in Bayern. Hier haben wir Nachholbedarf. Laut den Studien steht Bayern im Bereich Bildung gut da, aber vor allem Kinder aus Arbeiterfamilien und weniger kaufkraftstarken Familien haben geringere Bildungschancen und das können wir so nicht lassen.

Was wollen Sie konkret dagegen unternehmen?

Wir sind für eine verlängerte gemeinsame Schulbildung, die Trennung nach der vierten Klasse ist einfach zu früh. Deshalb sind wir für Gemeinschaftsschulen. Ein dreigliedriges Schulsystem in Bayern ist leider kein Ausdruck von Fortschritt. Wir wollen kleinere Klassen mit mehr Lehrern.

Wie schätzen Sie denn in diesem Zusammenhang die Bildungschancen von Migrantenkindern ein?

Für diese Gruppe müssen wir bessere Bildungschancen schaffen. Wir müssen schon in den Kindergärten das Erlernen der deutschen Sprache fördern. Lehrer sollen sich besser auf die veränderten soziokulturellen Verhältnisse in der Gesellschaft einstellen. In ihrer Ausbildung sollen sie interkulturelle Kompetenz erwerben.

Viele Eltern von Einwandererkindern halten es aber für wichtig, Ihren Kindern erst mal die türkische Sprache beizubringen. Sie wollen nicht, dass ihre Bande in die Türkei abreißen, zumal die wirtschaftliche Verflechtung zwischen der Türkei und Deutschland eher größer als kleiner wird.

Ich bin dafür, dass der muttersprachliche Türkischunterricht wird wieder in Schulen eingeführt wird. Die Türkei ist ein Zukunftsmarkt, daher sollen wir Türkisch als Fremdsprache an bayerischen Schulen ermöglichen. Auch der Islamunterricht ist leider immer noch unterentwickelt. Er wird nicht überall angeboten.

Bayern steht auch wirtschaftlich von allen Bundesländern am besten da. Wie soll da Ihrer Ansicht nach eine Wechselstimmung aufkommen?

Wirtschaftlich geht es Bayern sehr gut, das ist aber auf die sozialdemokratische Politik im Bund zurückzuführen. Hier denke ich an die Konjunkturpakete von Frank Walter Steinmeier und Peer Steinbrück. Ich denke an das Kurzarbeitergeld von Olaf Scholz. Nichtsdestotrotz haben wir in Bayern knapp 250 000 Menschen, die für Stundenlöhne unter 5 Euro arbeiten. Jeder fünfte Beschäftigte arbeitet in Bayern unter dem Mindestlohn von 8,50 Euro. Daher wollen wir als SPD einen gesetzlichen Mindestlohn einführen. Die Leiharbeit müssen wir regulieren und wir wollen für gleiche Arbeit gleichen Lohn ermöglichen. Die Kluft zwischen Reich und Arm wird grösser, deshalb brauchen wir eine sozialdemokratische Politik in Bayern.

Welcher Anteil an der wirtschaftlichen Situation in Bayern kommt denn Ihrer Einschätzung nach den türkischen Einwanderern zu?

Türkischstämmige Migranten haben einen unglaublichen Anteil an unserem wirtschaftlichen Erfolg. Türkischen Gründer haben in den vergangenen 50 Jahren in ganz Deutschland mehr als 80 000 Unternehmen aufgebaut und beschäftigen 420 000 Arbeitnehmer. Sie zahlen ihre Steuern und tragen ihren Anteil zum wirtschaftlichen Erfolg sowie zum Sozial- und Rechtsstaat bei. Ich beobachte es mit großem Bedauern, dass viele gut ausgebildete türkische Migranten zurück in die Türkei gehen, weil es in Bayern und in Deutschland keine ausreichend ausgeprägte Willkommenskultur gibt.

Wie würden Sie denn dieser Situation begegnen, sollte die SPD nach dem 15. September im Freistaat mit an der Regierung sitzen?

Die Zahl der Beschäftigten mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst ist zu erhöhen, das brauchen wir als eindeutige Zielsetzung. Es ist zwingend geboten, dass Migrantenfamilien in öffentlichen Verwaltungen als Lehrer, Polizisten etc. vertreten sind. In Bayern haben wir über 560 000 muslimische Bürger, deren Zahl steigt. Sich dessen bewusst zu werden, gehört auch zur Willkommenskultur.

Auch was die Frage der Staatsbürgerschaft angeht, sind viele Einwanderer mit der gegebenen Situation unzufrieden…

Wir sind für die doppelte Staatsangehörigkeit, weil wir von Optionspflicht nichts halten. Wir brauchen für Bürger aus Nicht-EU-Staaten ein kommunales Wahlrecht, denn sie sind zum Teil seit 30 oder 40 Jahren hier, haben aber immer noch kein Kommunalwahlrecht.

Obwohl der NPD und der „Freiheit“ nur geringe Chancen bei den Wahlen eingeräumt werden, bleibt auch Bayern nicht gänzlich von rassistischen und faschistischen Bestrebungen verschont. Was würde mit der SPD anders, wenn es um das Vorgehen gegen Nazis geht?

Die SPD hat in Bayern den NSU-Untersuchungsausschuss im Landtag auf den Weg gebracht. Die Thematik wurde von manchen Parteien jahrelang unterschätzt. Je nach Weiterentwicklung der Erkenntnisse im NSU-Prozess ist möglicherweise eine neue NSU-Kommission im Landtag notwendig. Für den Kampf gegen Rechtsextremismus will Ude eine neue Stelle direkt in der Staatskanzlei einrichten. Damit macht er den Kampf gegen Rechtsextremismus zur Chefsache. Dieses Thema hat bei der amtierenden Regierung nicht ausreichend Aufmerksamkeit gefunden.