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Gesellschaft

„Beate Zschäpe ist ein glücklicher Mensch“

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Extremisten wollen nicht gerettet werden und sind mit sich selbst im Reinen. Ihr Ziel ist immer eine Monokultur. Im Interview mit DTJ spricht Astrid Bötticher über das Persönlichkeitsbild von Menschen, die aus politischen Motiven morden.

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Extremisten wollen nicht gerettet werden und sind mit sich selbst im Reinen. Ihr Ziel ist immer eine Monokultur.
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Als der norwegische Massenmörder und Autor eines islamkritischen Manifests, Anders Behring Breivik, im Sommer 2011 in Oslo und auf der Ferieninsel Utoya 77 unschuldige Menschen tötete war die Fassungslosigkeit groß. Durch seinen Auftritt im Gerichtssaal wurde sie nicht geringer, im Gegenteil: Er zeigte sich auch vor dem Gericht noch als ein zufriedener Mensch und mit sich selbst im Reinen.

Ähnliches ist in München zu beobachten. Auch Beate Zschäpe, die einzige Überlebende des Terrortrios mit dem Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“, kurz NSU, macht einen alles andere als unsicheren Eindruck. Dabei hat sie der Anklage zufolge zehn Menschenleben auf dem Gewissen. Sie tritt im Gerichtssaal gepflegt auf, sagt nicht aus, trägt nichts zur Aufklärung bei – bis jetzt jedenfalls. Von Reue keine Spur.

Stellt sich die Frage: Warum eigentlich? Wie kann ein Massenmörder, der die Leben unschuldiger Menschen auf dem Gewissen hat, so zufrieden aussehen? Und: Was sind das für Menschen?

Über diese und ähnliche Fragen haben wir mit Astrid Bötticher gesprochen. Sie ist Politikwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Extremismus-Forschung. Zusammen mit Mareslow Mares hat sie das Buch „Extremismus“ herausgebracht. Zurzeit promoviert sie an der Universität Leiden in den Niederlanden.

Welchen Eindruck haben Sie von Beate Zschäpe?

Sie wirkt sehr glücklich. Sie ist nicht traurig.

Sie wird also dann auch keine Reue zeigen?

Ich glaube, sie wird auch niemals bereuen.

Wie kann jemand mit solchen Taten glücklich sein?

Sie hatte als Kind einen sehr schlechten Start. War von ihren Eltern nicht akzeptiert. Dann kommt sie in diese rechtsextremistischen Kreise. Sie hatte den Vorteil, dort eine der wenigen Frauen zu sein. Sie hatte einen speziellen Sonderstatus. Hat zwei Männer gehabt.

Erklärt das ihre Gefühle?

Extremisten sehen sich als Helden, sie wollen etwas retten. Die RAF wollte alle armen Menschen retten, indem sie Menschen ermordete. Die NSU wollte im Grunde genommen Deutschland retten. Es ist irrational für uns, aber sie selbst sehen sich als gute Menschen. Der Extremist denkt immer, er ist altruistisch und rettet die Welt. Es muss eine große Sache sein, für die er bereit ist, sich aufzugeben. Extremismus verspricht Unsterblichkeit. Extremisten glauben ganz oft, die Gesamtgesellschaft wäre ganz dumm und nur sie wären klug.

Beate Zschäpe sieht im Gefängnis eigentlich gepflegter aus als draußen. Wie kommt das denn?

Ich nehme an, die Sachen werden ihr von den Anwälten gebracht. Ich glaube auch, dass sie im Gefängnis ihre Fan-Gruppe hat. Wir können davon ausgehen, dass sie Fanbriefe bekommt. Es gibt viele, die das toll finden, was sie gemacht hat. Sie will eine Heldin sein.

Sollte ihr das gestattet sein?

Ich verstehe auch nicht, warum ist nicht der Generalbundesanwalt der Ankläger ist und warum der Prozess in München stattfindet? Wir haben ein Spezialgefängnis für Terroristen in Stuttgart-Stammheim. Wir könnten dafür sorgen, dass sie isoliert wird.

Der Begriff Extremismus scheint ja auch ein Kampfbegriff zu sein. Man versucht damit unliebsame Personen und Kreise zu diskreditieren. Wie definieren sie denn den Begriff Extremismus?

Extremismus ist zunächst einmal eine Monokultur. Diese Kultur möchte alle anderen Kulturen um sich herum auslöschen. Es ist egal, welche Ideologie dahintersteht. Extremisten möchten nicht, dass Menschen anders sind als sie und anders leben. Die Radikalen haben auch diese Struktur, aber Radikale können mit anderen zusammenleben. Der Radikale möchte sie überzeugen. Er wird sie vielleicht anrufen, ihnen zehn Briefe schreiben, ihnen lästig werden. Der Extremist wird sie hingegen irgendwann angreifen, wenn er kann.

Wie wird man zum Extremisten? Gibt es da einen typischen Weg? Es gibt psychologische Erklärungen, soziale und politische, ökonomische Erklärungen, Stichwort „relative Deprivation“…

Von psychologischen Zugängen halte ich sehr viel; von Stufenmodellen hingegen nicht. Die sind viel zu allgemein und erklären nicht tiefgründig. Die Menschen sind Individuen. Die Extremisten sind oft Narzissten. Sie haben Gewalt erlebt. Ökonomische Modelle andererseits sind gescheitert.

Inwiefern…?

Sehen Sie sich die armen Länder der Welt an. Dort müsste es eigentlich nach dieser Erklärung sehr viele Extremisten geben. Gibt es aber nicht. Ich halte dies für eine armutsfeindliche Erklärung. Die armen Menschen sind in der Regel ganz nette Leute. Ich glaube es hat mehr mit Beschäftigung als mit Armut zu tun. Menschen, die nichts zu tun haben, frustriert zu Hause sitzen, diese sind es, die zum Extremismus neigen. Auch Jugendliche neigen zu extremistischen Tendenzen. In der Gruppe der Menschen im Alter zwischen 14 und 25 gibt es überdurchschnittlich viele Extremisten.

Kann man den Extremisten rational begegnen?

Extremisten sind in der Regel gefährlich. Diese Leute wollen nicht gerettet werden. Was wir tun sollen als Gesamtgesellschaft, ist, auf uns achten. Vielleicht können wir mit ihnen reden. Wir dürfen aber nicht erwarten, dass die Leute sich ändern. Vielleicht werden sie sogar noch härter. Extremisten wollen anders sein. Oft haben sie keine eigene Familie. Oder sie wenden sich ab und suchen sich eine neue Struktur. Sehen Sie sich den NSU an: Die waren wie eine Familie. Sie genießen es, von den anderen gehasst zu werden.

Und wie sehen sie die Chancen auf Überwindung des Extremismus?

Extremismus kann man nicht vollständig besiegen. Wir können zwar versuchen, diese Strukturen kurzfristig zu beseitigen. Aber das heißt nicht, dass die Übriggebliebenen aufhören, Extremisten zu sein. Das hat etwas zu tun mit der Persönlichkeitsstruktur, mit der Gesamtgesellschaft. Wir können Extremismus nur kontrollieren, wir können ihn nicht komplett zerstören. Menschen wollen besser sein als andere. Menschen, die versagen, neigen zu Rassismus. Es geht auch um das unser Selbstwertgefühl. Extremismus ist auch gut für das Selbstwertgefühl. Der Extremist mag sich selbst in der Regel ganz gerne.

Gibt es denn einen normalen Pegel an Extremisten, der natürlicherweise in jeder Gesellschaft in der gleichen Stärke vorkommt?

Da kommt es auf die Extremismus-Definition an. Ich würde schätzen, dieses Problem betrifft 20 Prozent der deutschen Bevölkerung. Jede Gesellschaft hat ihre Probleme mit Minderheiten. In Tschechien sind es Sinti und Roma. In Österreich geht der meiste Hass gegen Schwarze und Muslime. Bei uns in Deutschland sind es die Türken. Die Türken sind die meistgehasste Gruppe in Deutschland. Danach kommen die Italiener. Jedes Land hat ihre eigene Minderheit, die speziell verhasst ist.

Bei den Extremisten trifft man auch sehr oft auf Verschwörungstheorien…

Ja, das stimmt. Es gibt Extremisten, die glauben, es gäbe eine jüdische Weltverschwörung in der Wallstreet und diese regiere die ganze Welt. Dabei dürfte es in einer Verschwörung nicht mehr als fünf Leute geben und die müssten alle kennen.

Warum?

Weil danach Verschwörungen nicht mehr verbindlich sind. Mit jedem zusätzlichen Miteingeweihten nimmt die Verbindlichkeit ab, es nicht mehr zu weiterzusagen.

Es gab ja mal auch diese Kampagne des Bundesinnenministeriums mit dem Titel „Vermisst“, die nach Protesten wieder eingestampft wurde. Wie haben Sie das beurteilt?

Es gibt Rechtsextremismus, Linksextremismus, Islamismus und auch andere. Man darf das eine nicht gegen das andere ausspielen. Aber unsere Islamismus-Politik finde ich problematisch, weil sie auch unerwünschte Nebenwirkungen hat. Wir haben mit unseren Islamismus-Programmen erreicht, dass die Leute Angst haben vor Muslimen. Man muss fragen: Begünstigt diese Politik die Islamophobie? Wir haben ja heute auch keine Angst vor der SPD, weil es Linksextremismus, oder vor Konservativen, weil es Rechtsextreme gibt.