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Kolumnen

„Bei uns wird zuhause kein Deutsch gesprochen“

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Es ist nicht lange her, dass Aydan Özoğuz für den Satz „Ich bin meinen Eltern dankbar dafür, dass wir zu Hause nur türkisch gesprochen haben“ ausgebuht wurde. Die Meinungen gehen auseinander: Welche Sprache sollte ein Kind zuerst erlernen? (Foto:dpa)

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„Bei uns wird zuhause kein Deutsch gesprochen“
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Vor kurzem entschied ich mich, mit meiner dreieinhalb Jahre alten Tochter eine Fastfood-Kette aufzusuchen, damit sie etwas essen und anschließend dort am Klettergerüst spielen konnte. Denn Kinder wollen und brauchen Bewegung. Währenddessen wollte ich meinen Kaffee trinken und sie beim Spielen beobachten.

Am langen Tisch gegenüber dem Klettergerüst saß eine Familie mit zwei Kindern, einem Mädchen und einem Jungen. Vermutlich 6-7 Jahre alt. Meine Tochter, ein Einzelkind, freute sich über die Begegnung mit den beiden Kindern. Schließlich musste sie nicht alleine spielen und konnte ihrem Bewegungs- und Spieldrang mit den beiden anderen freien Lauf geben.

Als Mutter freute ich mich umso mehr, denn durch das Spielen und die Kommunikation mit anderen Kindern ergab sich für meine Tochter die Gelegenheit, ihre kognitiven und sozialen Fähigkeiten zu entdecken und zu stärken.
Gäbe es da nicht das vermeintliche Sprachproblem.
Denn entgegen in Deutschland verbreiteten Ratschlägen wird bei uns zu Hause kein Deutsch gesprochen.

Mein Ehemann und ich sind türkischer Abstammung. Wir hatten uns schon kurz nach der Geburt unseres Kindes den Kopf darüber zerbrochen, wie es wohl die deutsche Sprache erlernen würde. Sollten wir beide Deutsch sprechen und die türkische Sprache gänzlich unter den Tisch fallen lassen? Oder sollten ein Elternteil Deutsch und der andere Teil Türkisch sprechen?

Also recherchierte ich Ansichten der Experten. Es herrschte damals schon ein reger und unendlicher Meinungsstreit. Und ein Ende ist heute noch nicht in Sicht. Deshalb mussten mein Mann und ich uns für eine Ansicht entscheiden.

Meiner Entscheidungsgrundlage lagen meine eigenen Erfahrungen hinsichtlich des Erwerbs von Deutschkenntnissen, jene meines Mannes und meine Beobachtungen im türkischen Umfeld zugrunde.

Ich kenne mich und meine Kindheit. Als Kind wurde in meiner Familie nur Türkisch gesprochen. Ich besuchte eine Grundschule mit einer ausschließlich aus Türken bestehenden Klasse. Erst auf der Oberschule lernte ich die deutsche Sprache, ich machte Abitur und studierte anschließend.
Ich kenne meinen Ehemann. Er kommt aus der Türkei, er erlernte in Deutschland die deutsche Sprache und studierte ein Jahr lang, damit ihm sein Studium aus der Türkei hier anerkannt werden konnte.

Ich kenne türkischstämmige Menschen, die kaum Türkisch sprechen können. Ihre Eltern wollten kein Türkisch sprechen, damit ihre Kinder die deutsche Sprache besser erlernen würden.
Ich kenne türkischstämmige Menschen, die weder sehr gut Deutsch noch Türkisch sprechen. Ihre Sprache basiert auf dem Vermischen der beiden – im Endeffekt sprechen sie eine neue Sprache, die weder Deutsch noch Türkisch ist.

Bei unserer Tochter entschieden wir uns dafür, sie früh in den Kindergarten zu schicken und dafür mit ihr in den Anfangsjahren nur Türkisch zu sprechen. Unser Ziel ist es nicht, dass sie entweder die türkische oder die deutsche Sprache erwerben sollte, sondern dass sie die Muttersprache beherrscht, welche die Grundlage für den Erwerb von anderen Sprachen darstellt. Ich stelle es mit der Grundstücksfläche eines Hauses gleich. Nur sie stellt die solide Basis für den Bau eines Hauses dar. Wenn die Basis nicht stabil ist, wird das Haus – selbst wenn es noch so gut gebaut werden sollte – nicht die erforderliche Stabilität aufweisen können.

Der deutsche Junge in der Fastfood-Kette spielte mit einem Jungen und das deutsche Mädchen mit meiner Tochter. Als der Junge seinen Spielkameraden mit „mein Freund“ ansprach, betitelte meine Tochter ihre Spielkameradin mit „meine Freundin“. Mit „Guck Mal“ stellte sie ihrer neuen Freundin ihr Spielzeug vor. Die beiden Mädchen spielten miteinander und unterhielten sich mit kurzen, aber herzlichen Sätzen. Worte wie „komm spielen“, „ich kann auch“, „schön“ verließen den Mund meiner Tochter.

Während ich die Kinder und deren Unterhaltung bewunderte, dachte ich an Frau Özoğuz, die im Willy-Brandt-Haus beim Talk über Buschkowskys Buch ausgebuht wurde, weil sie sich bei ihren Eltern ausdrücklich dafür bedankte, dass in ihrer Familie in ihrer Kindheit Türkisch gesprochen wurde.

Ich hätte mir gewünscht, die Anwesenden im Willy-Brandt-Haus hätten die Spielfreundschaft und die gegenseitige Akzeptanz der Kinder gesehen, weit weg von Integrationsdebatten, Vorurteilen, Sarrazins und Buschkowskys Thesen. Nicht nur Kinder lernen von Erwachsenen, sondern auch Erwachsene von Kindern.

Würde man von den halbgaren Meinungen ausgehen, nur die deutsche Spracherziehung von den ersten Jahren an führe dazu, dass das Kind Deutsch lernt und sich in Deutschland integriert, so hätte meine Tochter ihrer „neuen“ Freundin den Rücken kehren müssen und kein Deutsch sprechen dürfen.

Hätte, hätte, hätte. Konjunktiv, eine Möglichkeitsform.
Ein vermeintliches Sprachproblem also, dessen Nährboden Spekulationen sind.
Ein vermeintliches Sprachproblem, das nur in der Theorie existiert.
Die Praxis ist anders. Und nur die hat Bestand.