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Panorama

Soma: Erdoğan vergleicht Türkei mit dem England des 19. Jahrhunderts

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Die Türkei trauert um die Opfer des verheerenden Bergbau-Unglücks. Während der Premierminister sein Land mit dem England des 19. Jahrhunderts vergleicht, protestieren in mehreren Städten Menschen. Die Zahl der Opfer steigt. (Foto: reuters)

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Der türkische Premierminister Erdogan besuchte zusammen mit dem Energieminister Taner Yildiz die Zeche Soma einen Tag nach dem schweren Unglück.
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Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan hat die schlechte Sicherheitsbilanz der Kohlebergwerke in seinem Land mit einem Vergleich aus dem 19. Jahrhundert heruntergespielt. „Solche Unfälle passieren ständig“, sagte Erdoğan am Mittwoch nach einem Besuch an der Zeche Soma, bei der es am Dienstag zu einem schweren Unglück gekommen war. „Ich schaue zurück in die englische Vergangenheit, wo 1862 in einem Bergwerk 204 Menschen starben.“ Der Regierungschef zählte weitere Grubenunglücke in England, den USA und in anderen Ländern aus längst vergangenen Jahren auf. „Liebe Freunde, in China sind 1960 bei einer Methangasexplosion 684 Menschen gestorben.“

Mindestens 245 Menschen sind beim weltweit schwersten Grubenunglück seit mehr als zwei Jahrzehnten ums Leben gekommen. Noch rund 120 Kumpel seien unter Tage eingeschlossen, sagte Erdoğan am Mittwochnachmittag laut der Nachrichtenagentur Anadolu. Wie der Premier am Ort der Katastrophe erläuterte, wurden mindestens 80 Menschen bei dem Brand in dem Kohlebergwerk verletzt. Gewerkschaften sprachen von „Massenmord“ in der Zeche Soma. Sie kritisierten die Arbeitsbedingungen.

Energieminister Taner Yıldız (Foto, links neben Erdoğan) sagte in Soma, die Hoffnung schwinde, noch Überlebende zu retten. „Es ist schlimmer, als zunächst erwartet.“ Zum Zeitpunkt des Unglücks am Dienstagnachmittag seien 787 Arbeiter in der Zeche gewesen. Möglicherweise werde die Katastrophe zum schlimmsten Grubenunglück in der Geschichte der türkischen Republik. Weltweit äußerten sich Politiker zum Unglück und drückten ihr Beileid aus.

Medienberichten zufolge hatte ein Defekt in der Elektrik zunächst eine Explosion und dann den Brand verursacht, der nach Angaben von Yıldız in 150 Metern Tiefe ausbrach. Wegen des Unglücks rief die Regierung eine dreitägige Staatstrauer aus. Im ganzen Land und an den Vertretungen im Ausland wurden die Flaggen auf halbmast gesetzt.

In mehreren türkischen Städten kam es zu Protesten. In der Hauptstadt Ankara ging die Polizei mit Tränengas und Wasserwerfern gegen mehrere Hundert Demonstranten vor, die zum Energieministerium marschieren wollten. Die Sicherheitskräfte hätten über Megafon auf die von der Regierung verfügte Staatstrauer für die Opfer der Katastrophe hingewiesen. Aus den Reihen der Demonstranten seien Molotow-Cocktails und Steine geworfen worden.

Mehrere Gewerkschaften haben für die kommenden Tage zu Protesten aufgerufen. Der größte türkische Gewerkschaftsbund Türk-İş rief seine Mitglieder zur Arbeitsniederlegung an diesem Donnerstag auf. Gewerkschafter sollten der toten Bergleute gedenken, teilte Türk-İş mit.

Bergmann: Zahl der Toten könnte auf 400 steigen

Der Bergmann Sami Kılıç, der neun Jahre in der Zeche arbeitete und bei den Rettungsarbeiten half, sagte dem Sender CNN-Türk, bei einer Explosion unter Tage funktioniere die Stromversorgung nicht mehr. Ventilatoren könnten nicht mehr arbeiten, der Luftstrom werde unterbrochen. „Auch wenn die Männer Masken haben sollten, wird eine Rettung schwierig.“ Die Masken reichten für 45 Minuten Frischluft. „Aber innerhalb von 45 Minuten kann man nicht die eineinhalb Kilometer nach oben kommen.“

Kılıç sagte, er rechne mit bis zu 400 Toten. Mehr als 18 Stunden nach dem Grubenunglück waren am Mittwochmorgen noch sechs Überlebende geborgen worden.

Ministerpräsident Erdoğan und Staatspräsident Abdullah Gül sagten wegen des Unglücks Auslandsreisen ab. Medienberichten zufolge hatte die Regierungspartei AKP habe im vergangenen Monat Forderungen der Opposition zurückgewiesen, die Sicherheitsvorkehrungen an der Zeche Soma zu überprüfen. Die Bergwerksgesellschaft teilte mit, die letzten Sicherheitsüberprüfungen habe es vor zwei Monaten gegeben. (dpa/dtj)