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Politik

Türkei: Die Zukunft heißt Berufsarmee

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Die türkische Regierung offenbarte letzte Woche einen im Vorfeld lang debattierten Plan, die Dauer der Wehrpflicht für Nichtakademiker von 15 auf 12 Monate zu reduzieren. Westliche Militärexperten halten das Vorhaben für nicht ausgereift. (Foto: cihan)

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Ein türkischer Soldat in Uniform
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Die Entscheidung, den Wehrdienst zu reduzieren, fiel zeitlich mit den Bemühungen zusammen, das jahrzehntealte Problem des Terrorismus mithilfe nicht militärischer Mittel zu beenden.

Momentan müssen alle männlichen Staatsbürger ohne einen nach mindestens vier Jahren des Studiums erworbenen Universitätsabschluss für 15 Monate als Gefreite dienen, währenddessen diejenigen mit einem solchen oder einem höheren Abschluss entweder 12 Monate lang als Reserveoffiziere oder sechs Monate als Kurzzeit-Gefreite dienen müssen. Deren Fristen werden nicht verändert. Die Dienstzeit der Nichtakademiker wird jenen der Akademiker nun hinsichtlich der 12 Monate angeglichen. Die Wehrpflicht gilt für alle hinreichend gesunden männlichen Bürger im Alter von 20-41 Jahren.

Die türkischen Streitkräfte (TSK) sind mit derzeit 439 421 Männern die zweitgrößten innerhalb der NATO nach der US-amerikanischen Armee, wobei die Generalkommandantur der Gendarmerie, der Führungsstab der Küstenwache und die Zivilisten nicht mitgerechnet sind.

Die Frage, die an diesem Punkt gestellt werden muss, ist jedoch, wie eine Reduzierung des Wehrdienstes sich auf ebendieses zweitgrößte NATO-Land auswirkt. Eine in Ankara ansässige westliche Quelle erklärte: „Wir haben noch nichts seitens des Militärs darüber gehört, was eine Reduzierung der Dienstzeit auf 12 Monate rechtfertigen würde oder was diese zu bedeuten hätte. Kleinere Truppen? Die gleiche Größe durch mehr Aufnahmen erreichen, damit man auf die gleiche Anzahl von Wehrpflichtigen kommt? Ein Schritt in Richtung Professionalität? Die Kosten senken, damit man sie in die Ausrüstung investieren kann?”

Selbst der Generalstabschef kann offene Fragen nicht klären

Der Türkische Chef des Generalstabs, Necdet Özel, der am 1. Oktober während eines Presseempfangs im Parlament Fragen beantwortete, schloss indessen jegliche Debatten hinsichtlich einer Beendigung der Wehrpflicht aus. Weder er noch die Regierung hätten derzeit Antworten auf die Fragen, welche die eben genannte militärische Quelle stellte.

Die Reduzierung des Wehrdienstes würde bedeuten, dass die Zahl der Wehrpflichtigen um ein Fünftel sinken würde. Da wir keine zufriedenstellenden Antworten auf die oben gestellten Fragen haben, spekulieren wir, dass die Zahl der Wehrpflichtigen zurückgehen wird, so lange die Aufnahmen nicht erhöht werden.

Unsere westliche militärische Quelle sagt zudem: „Würde man alle drei Monate 100 000 Männer mit 15 Monaten Dienstzeit einberufen, hätte man eine Schleife mit 500 000 Soldaten. Mit der Neuregelung hätte man 400 000 (alle Zahlen sind nur Schätzungen). Das bedeutet, wenn man weiterhin 500 000 will, müsste man alle drei Monate 125 000 Männer einziehen… Ein beachtlicher Anteil junger türkischer Männer vermeidet aber den Wehrdienst auf unterschiedlichste Weise und jetzt schon werden jedes Jahr um die 700 000 Männer 20 Jahre alt.“

Ohne die Zustimmung der Regierung, die Anzahl der Wehrdienstleistenden (und die Größe der Armee) zu erhöhen, bliebe als einzige Alternative übrig, wirklich jeden einzuziehen, den Wehrdienst auf 6 Monate zu reduzieren und alle drei Monate 200 000 Männer aufzunehmen. Über ein Jahr hinweg hätte man dann Platz für 800 000 Menschen. Jedoch werde die männliche Bevölkerung eines Tages so groß sein, dass viele niemals ihre Wehrpflicht antreten würden, fügte die Quelle hinzu.

Die Türkei braucht die Armee nicht länger für die Staatsbildung nach innen. Das Militär ist nicht länger die einzige modernisierende Kraft in der türkischen Gesellschaft.

Berufsarmee wäre mobiler und effektiver

Eine Reduzierung der Dauer des Wehrdienstes ohne jeglichen Kontext ist hingegen unverständlich. Daher sollte die Türkei lieber der Wehrpflicht ein Ende setzen, anstatt diese zu verkürzen und eine kleinere, jedoch mobilere und effektivere Armee zusammenstellen. Wehrpflichtigenarmeen gelten ohnehin als ineffektiv.

Die Gesamtzahl der Fachleute in der TSK beträgt 124 031 – Generäle, Offizieren, Unteroffiziere [NCOs], Vertrags-NCOs und Obergefreite -, während die Gesamtzahl der Wehrdienstpflichtigen bei 315 390 Personen liegt.

Die Gesamtzahl der Belegschaft in der TSK liegt bei 439 421 (ausgenommen Zivilisten):

Armee – 326 985 (mit ungefähr 265 000 Wehrdienstpflichtigen)
Marine – 54 112 (mit 25 000 Wehrdienstpflichtigen)
Luftwaffe – 58 324 (mit ungefähr 25 000 Wehrdienstpflichtigen)
Wehrdienstpflichtige insgesamt (TSK und Jandarma) – ungefähr 453 440*

Die Informationen wurden zusammengestellt von NATO-, OSCE- und TSK-Quellen. Die TSK hat begonnen, offizielle Angaben hinsichtlich der Stärke der TSK zu veröffentlichen. Jedoch stellen sie nicht die Aufteilung der Zahlen im Einzelnen zur Verfügung.

Der Wehrdienst in der türkischen Armee ist für viele junge Deutsch-Türken ein wichtiger Beweggrund, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Denn wer seinen türkischen Pass abgibt, muss nicht zum Militär. Der obligatorische Dienst an der Waffe ist unter den meisten türkischen Jugendlichen nicht sonderlich beliebt, da bis 2012 Wehrpflichtige  in Kampfoperationen in den ländlichen Gebieten im Osten und Südosten der Türkei gegen die PKK eingesetzt wurden.

Außerdem wurden in jüngerer Vergangenheit Fälle bekannt, wonach junge Rekruten auf Grund der schlechten Behandlung während ihrer Dienstzeit Suizid begehen, was in der Türkei Anfang 2013 eine Debatte über die Gewalt in der Armee auslöste.

*Die Aufschlüsselung der TSK-Zahlen wurde aus folgendem Artikel zitiert: „Who will benefit from shortened military service?”; Lale Kemal, Today’s Zaman vom 13. Mai 2013.