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Wirtschaft

Akademiker, 61 Bewerbungen, nur Absagen

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Abitur, Studium, Universitätsabschluss – das Arbeitsleben kann beginnen. Doch so einfach ist es nicht. Gerät man einmal in den Strudel von Jobcentern und Bundesnetzagenturen, ist es sehr schwer, dort wieder herauszukommen, wie der folgende Fall schildert.

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Der Vordruck für eine Anonyme Bewerbung ohne Foto, Name und Alter der Person liegt am 08.11.2010 in Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern) auf Zeitungsseiten mit Stellenangeboten.
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Ich* möchte mich hiermit bezüglich Ihres Artikels „Über den Sinn der staatlichen Arbeitsvermittlung – Fachkräftemangel im Jobcenter“ an Sie wenden. Auf Ihren Beitrag bin ich durch die am 27. Februar veröffentlichten Hinweise des Tages der Nachdenkseiten aufmerksam geworden. Ich kann – aus eigener Erfahrung – nur bestätigen, dass die sogenannten Jobcenter vielmehr an einer Kosmetik der Arbeitslosenzahlen und Sozialleistungskürzungen als an einer adäquaten Vermittlung arbeitsuchender Akademiker interessiert sind. Hierauf möchte ich im Folgenden eingehen.

Mein Masterstudium der Volkswirtschaftslehre habe ich im Oktober 2014 sehr erfolgreich abgeschlossen, wobei ich mich jedoch schon seit Mai letzten Jahres – erfolglos – bewerbe. Die zunächst konsultierte „Karriereberatung“ an der Universität hat mir statt der versprochenen „konkreten Stellenangebote und Arbeitgeberkontakte“ nur eine Vielzahl von Bewerbungsbroschüren und entsprechenden Ratgebern eingebracht.

Die einschlägigen Karrieremessen hingegen werden von den potentiellen Arbeitgebern als reine PR- Plattformen genutzt, auf denen die Präsenz des eigenen Unternehmens oder der eigenen Behörde demonstriert wird. Die Entgegennahme der Bewerbungsunterlagen wird jedoch meist – mit Verweis auf die „aktuell angespannte Geschäftslage“ – abgelehnt. Den potentiellen Bewerbern wird vielmehr geraten, sich „in ein oder zwei Jahren“ nochmals zu melden. Auch wird gerne auf die firmeneigenen Stellenportale im Internet verwiesen, auf denen der Bewerber dann später vergeblich nach Vakanzen sucht. Auf die gleiche Weise wird man jedoch auch von jenen Unternehmensvertretern abgewiesen, die im Rahmen von Vorträgen an der Universität den Fachkräftemangel beklagen. Schließlich reagieren auch diese sehr reserviert, wenn sie anschließend nach konkreten Beschäftigungsmöglichkeiten in ihren Unternehmen gefragt werden.

Wirtschaftswissenschaftler mit gynäkologischen Kenntnissen gesucht

Bei der Stellensuche ist man also vornehmlich auf Online-Jobbörsen (wie etwa jene der Bundesagentur für Arbeit) angewiesen. Die in den Stellenausschreibungen aufgelisteten Anforderungen an die Bewerber sind aber bewusst so hoch angesetzt, dass eine Bewerbung schon im Vorhinein aussichtslos erscheint. So werden selbst für einfache Stellen mehrjährige Berufserfahrung „in vergleichbarer Position“, Führungs- und Auslandserfahrung oder gleich mehrere Abschlüsse gefordert. Es wurde dabei sogar schon ein „Wirtschaftswissenschaftler mit gynäkologischen Kenntnissen“ gesucht.

Dennoch habe ich schon eine Vielzahl von Stellenausschreibungen gefunden, deren Anforderungen ich vollumfänglich erfülle, da ich aufgrund meiner Qualifikation flexibel einsetzbar bin. Zudem habe ich mich auch schon auf Jobangebote beworben, für die ich mit meinem Masterabschluss – streng genommen – überqualifiziert bin. Darunter waren viele Sachbearbeiterstellen, für die allenfalls ein Bachelorabschluss vorausgesetzt wurde.

Auf meine – bisher 61 – Bewerbungen habe ich jedoch nur Absagen erhalten, in denen auf „die Vielzahl der eingegangenen Bewerbungen“ aufmerksam gemacht wird, während man die Absage stets mit dem Verweis auf angeblich „noch geeignetere Mitbewerber“ begründet. Eine Rückmeldung erhält man als Bewerber ohnehin nur auf (meist mehrfache) Nachfrage, was mit „technischen Störungen“ oder „der Erkrankung des Personalverantwortlichen“ erklärt wird. Oftmals habe ich auch gar keine Antwort erhalten. Den „Spitzenplatz“ auf der Negativliste meiner Bewerbungserfahrungen belegt dabei die Bundesnetzagentur, deren Aufgaben mit den inhaltlichen Schwerpunkten meines Studiums perfekt übereinstimmen. Obwohl ich mich bei dieser Einrichtung schon fünf Mal – sowohl auf Referenten, als auch auf Sachbearbeiterstellen – beworben habe, erhielt ich stets wortgleiche Absagen, die sich lediglich in Datum und Kennziffer unterschieden. Die IHK, deren Vertreter gerne einen angeblichen Fachkräftemangel beklagen, hat mir hingegen bis heute keine Antwort auf meine Bewerbung zukommen lassen.

Zwei Mal zum Bewerbungsgespräch auf eigene Kosten

Meine Bewerbungen resultierten in bisher nur zwei Vorstellungsgesprächen. Das erste endete jedoch schon, bevor es angefangen hatte. Man teilte mir nämlich mit, dass es bei der Stellenausschreibung zu einem „Missverständnis“ gekommen sei, da man statt eines Volks- vielmehr einen Betriebswirt suchen würde. Bei einem anderen Unternehmen musste ich gleich zwei Mal – auf eigene Kosten – zum Vorstellungstermin anreisen, da mein Gegenüber im ersten Gespräch nur über die Tätigkeitsfelder seiner Firma monologisierte. Auf mich als Bewerber bezogene Fragen sollten zunächst ausgeklammert bleiben. Anstatt meine Qualifikationen und Kenntnisse zu thematisieren, wurden mir im zweiten Gespräch jedoch nur Fragen dieses Typs gestellt: „Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?“ oder „Was sind Ihre fünf schlechtesten Eigenschaften?“ etc. Zum Schluss war mir persönlich klar, dass in diesem Unternehmen wohl nicht ernsthaft eine Stelle zu besetzen ist. Meine Vermutungen bestätigten sich, als ich zwei Wochen später eine Absage erhielt, während die angebliche Vakanz – bis heute – immer wieder neu im Internet ausgeschrieben wird.

Mir ist bewusst geworden, dass es sich bei den meisten Stellenangeboten ohnehin nur um „Blindausschreibungen“ handelt, da die angeblich vakanten Stellen in Wahrheit nicht existieren oder schon längst „intern“ – via „Vitamin-B“ – besetzt worden sind. Als ich mich einmal um eine gerade erst ausgeschriebene Stelle bewarb, wurde mir beispielsweise mitgeteilt, dass diese bereits vergeben sei. Angesichts der ansonsten schier endlosen Bewerbungsprozesse erscheint dies völlig unglaubwürdig. Zudem verschwinden die meisten Stellenangebote nach Abschluss des Bewerbungsverfahrens aus dem Internet, um kurz darauf erneut eingestellt zu werden. Viele Stellen sind dabei sogar permanent ausgeschrieben, sodass die Illusion eines Fachkräftemangels entsteht.

Von ehemaligen Kommilitonen ist mir auch das Bewerbungsprozedere der sogenannten „Assessment-Center“ bekannt, in denen Personalverantwortliche und Psychologen potentielle Mitarbeiter im Rahmen kruder Gruppenspiele und Tests – meist ein ganzes Wochenende lang – „begutachten“. Ich weiß, dass oftmals keiner der Bewerber einen Job erhält, weil in großen Unternehmen eigens eingerichtete Personalabteilungen ganzjährig mit der Abhaltung solcher Veranstaltungen beschäftigt sind. Es bedarf hierzu also keiner offenen Stellen.

Gesprächstermin nach dreimonatiger Wartezeit

Als ich mich – durch die Erfolglosigkeit meiner Stellensuche beunruhigt – an die Bundesagentur für Arbeit wandte, erhielt ich erst nach dreimonatiger Wartezeit einen Gesprächstermin. Allerdings wurde ich auch dort wieder nur auf die oben genannten Stellenbörsen im Internet verwiesen. Obwohl ich mein Studium zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal abgeschlossen hatte, wurde ich damals darauf aufmerksam gemacht, dass ich im Falle der mir drohenden Arbeitslosigkeit auch an Zeit- oder Leiharbeitsunternehmen vermittelt werden könnte. Ich habe angemerkt, dass solche Unternehmen mir wohl kaum eine Beschäftigung vermitteln können, die meiner Qualifikation auch nur ansatzweise gerecht wird. Daraufhin entgegnete man mir nur, dass meine Hochschulbildung bei der Arbeitsvermittlung nicht berücksichtigt werden müsse. So dürfe ich auch eine Tätigkeit als „Packer“ nicht ablehnen, wenn mir diese angeboten werde und ich keine Sanktionen riskieren wolle.

Ich habe bei meinem Termin bei der Arbeitsagentur auch darauf aufmerksam gemacht, dass ich vor Beginn meines Studiums die hauseigene Studienberatung konsultiert hatte. Diese war den Abiturienten meines Gymnasiums nämlich – zur Unterstützung bei der Studienwahl – empfohlen worden. Der zuständige Berater hatte mir damals versichert, dass mir nach einem Bachelorstudium der Volkswirtschaftslehre „alle Wege offen“ stünden und ich problemlos einen guten Arbeitsplatz finden würde. Als ich nun – nach Abschluss des Masterstudiums – an dieses Versprechen erinnerte, entgegnete man mir ganz schlicht, dass die Arbeitsagentur für „irgendwelche Aussagen irgendwelcher Mitarbeiter nicht haftbar“ gemacht werden könne.

Aus dem Hörsaal in die Obdachlosigkeit

Nachdem ich mein Studium abgeschlossen hatte, musste ich mein Zimmer im Studentenwohnheim räumen und mich – wider Erwarten – tatsächlich arbeitslos melden. Auf den Verlust meiner Wohnung angesprochen, teilte man mir im zuständigen „Jobcenter“ lapidar mit, dass die Behörde keine Wohnungsvermittlung sei und ich mich an die Obdachlosen-Notunterkunft zu wenden hätte. Die mir drohende Obdachlosigkeit konnte ich – im letzten Moment – nur dadurch verhindern, dass ich von meiner Universitätsstadt zurück in meinen Heimatkreis gezogen bin, wo ich derzeit in der Garagenwohnung eines älteren Ehepaares wohne.

Statt Stellenangeboten habe ich im „Job“-Center nur Sanktionsdrohungen erhalten. So wurde mir auferlegt, eine sogenannte „Eingliederungsvereinbarung“ zu unterzeichnen. Laut Gesetz soll in dieser eine zuvor individuell abgestimmte „Strategie zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt“ festgehalten werden. Praktisch heißt das aber nur, dass der Arbeitslose viele strenge Vorgaben zu erfüllen und monatlich seine „Eigenbemühungen“ – in Form von acht Bewerbungen – nachzuweisen hat. Im Falle einer Nichteinhaltung drohen wiederum Sanktionen – in Form drakonischer Leistungskürzungen.

Um mich sofort aus der Arbeitslosenstatistik zu tilgen, wurde mir die Teilnahme an einem mehrmonatigen Bewerbungskurs angeboten. Dessen Inhalte sollten „vom individuellen Bildungsstand der Teilnehmer unabhängig“ sein. Erst als ich darlegte, dass dieser Kurs für mich – als Akademiker – kaum hilfreich sein würde, gab es ein Einlenken. Stattdessen wurde mir jedoch die Teilnahme an einer – von der örtlichen Handwerkerschaft durchgeführten – „Aktivierungsmaßnahme“ auferlegt. Da ich dahinter die einschlägigen Veranstaltungen vermutete, betonte ich, schon an der Universität an ver- schiedenen – auf Akademiker zugeschnittenen – Bewerbungskursen teilgenommen zu haben. Mein Einwand wurde aber nicht zur Kenntnis genommen.

Wie die Arbeitslosenzahlen aufgehübscht werden

Der mir verordnete „Aktivierungskurs“ stellte sich – von mir unerwartet – als reine Schikane in Form einer Erziehungsmaßnahme heraus. So forderte die für den Kurs zuständige „Betreuerin“ mich dazu auf, einen „Maßnahmenvertrag“ zu unterzeichnen. Mit diesem verpflichtet sich der Kursteilnehmer dazu, – auf unbestimmte Zeit – wöchentlich mehrere ganztägige „Präsenztermine“ wahrzunehmen. Um den eigentlichen Inhalt dieser Veranstaltungen zu ermitteln, las ich mir den – mehrere Seiten umfassenden – „Maßnahmenvertrag“ durch. Dieser schreibt den Teilnehmern unter anderem vor, pünktlich zu erscheinen, während der Veranstaltung nüchtern zu bleiben, nur in festgelegten Pausenzeiten zu essen, sich leise zu verhalten, kein Mobiltelefon mitzubringen und das Gebäude nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Kursleitung zu verlassen.

Als ich dann auch noch las, dass körperliche Gewalt gegen andere Kursteilnehmer und die Kursleitung verboten sei und mit einem Ausschluss von der „Aktivierungsmaßnahme“, Hausverbot und Sozialleistungskürzungen verfolgt würde, fragte ich nach dem eigentlichen Inhalt und Sinn der Veranstaltung. Auf meine Anfrage teilte man mir mit, dass der Kurs das Ziel verfolge, den Teilnehmern die „Strukturierung des Tages“ und „Selbstdisziplin“ beizubringen. Schließlich richte sich der Kurs vor allem an alkohol- und drogenkranke Langzeitarbeitslose, die auf ein geregeltes Leben vorbereitet werden sollen. Außerdem könne man Menschen beim Verfassen einer Bewerbung unterstützen, wenn dies Probleme bereite.

Als ich darlegte, dass ich gerade erst mein Masterstudium abgeschlossen hätte und daher wohl kaum zur eigentlichen Zielgruppe dieses Kurses gehören würde, war die zuständige „Betreuerin“ erstaunt, dass ich vom Jobcenter dazu verpflichtet wurde, an einer solchen „Maßnahme“ teilzunehmen. Später hat sich mir der eigentliche Zweck dieser „Maßnahme“ offenbart: Während der Dauer dieses – als Berufsvorbereitung interpretierten – „Aktivierungskurses“ würde ich dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, sodass ich aus der Arbeitslosenstatistik getilgt wäre.

Vor dem Hintergrund meiner bisherigen Erfahrungen kann ich nur bestätigen, dass die vermeintliche „Hilfe“ der sogenannten „Jobcenter“ allein darauf ausgelegt ist, durch Sanktionen – zu Lasten der Arbeitslosen – Einsparungen zu erzielen und eine massive Kosmetik der Arbeitsmarktstatistiken zu erreichen. Aus dieser zynischen Strategie resultieren für die Betroffenen ständige Demütigungen, Erniedrigungen und Ausgrenzungen.

Nicht allein mit den Erfahrungen

Genau wie die junge Medizinerin, deren Erfahrungen mit dem Jobcenter Sie in Ihrem Artikel schildern, habe auch ich die für meine Region verantwortlichen Abgeordneten im Land- und Bundestag, die zuständigen Ministerien, die Jugendorganisationen der Parteien, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände mit meinen – den angeblichen „Fachkräftemangel“ betreffenden – Erfahrungen konfrontiert, wobei ich schon lange Zeit auf entsprechende Antworten warte.

Ich weiß, dass ein Großteil meiner früheren Mitschüler und Kommilitonen nach dem Studium keine Anzeichen eines „Fachkräftemangels“ ausmachen konnte. Viele arbeiten nach ihrem Abschluss in Mini-Jobs oder versuchen Lücken im Lebenslauf durch Halb- und Drittelstellen an der Uni zu schließen. Einige absolvieren un- oder schlechtbezahlte Praktika, die oftmals länger als ein Jahr dauern und an deren Ende ihnen mitgeteilt wird, dass aus dem zunächst versprochenen „Traineeship“ doch nichts wird. Da viele Jungakademiker dabei von ihren Eltern alimentiert werden, tauchen sie in der Arbeitslosenstatistik nicht auf. Gleiches gilt für jene, die im Rahmen des „Hartz-IV“-Regimes in irgendwelche „Maßnahmen“ abgeschoben werden.

* Dieser Leserbrief hat uns in der vergangenen Woche erreicht. Da er so anschaulich ist, haben wir uns entschlossen, ihn auch ohne Namen zu veröffentlichen.