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Gesellschaft

Charlie Hebdo: Geschmacklosigkeit ohne böse Absicht

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Die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo hat kürzlich wieder für hitzige Diskussionen gesorgt. Unser Kolumnist plädiert dafür, sich weder undifferenzierter Betroffenheit noch pauschalem Gutheißen von Satire hinzugeben.

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Charlie Hebdo - Aylan Kurdi
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Charlie Hebdo hat es wieder einmal geschafft. Empörung, Empörung und noch mehr Empörung. Doch so sehr sich die Gemüter in der pluralistischen Gesellschaft auch beim Kritikpunkt der Geschmacklosigkeit treffen, desto heißer sind die Diskussionen über das letzte Cover und der zweiten Karikatur zum selben Thema.

Was ist passiert? Charlie Hebdo hat die äußerst selektive und ohnehin verspätete Flüchtlingspolitik Europas kritisiert. Wie die Öffentlichkeit nun weiß, gibt es im Nahen Osten ein umfassendes Terrorproblem und die Zivilisten aus Syrien, dem Irak, Afghanistan und anderen Ländern fliehen vor dem sicheren Tod in demokratische Länder.

In der letzten Ausgabe von Charlie Hebdo wurden aber insbesondere die ungarische Flüchtlingspolitik und die Äußerungen der slowakischen Behörden kritisiert. Diese beiden Länder sind gegenwärtig das Paradebeispiel für das hässliche Gesicht Europas. Das hässliche Gesicht Europas gilt seit einigen Jahren irgendwie als vergessen. Doch der Flüchtlingspfad hat es noch einmal offenbart und zum Handeln gezwungen. Der leblose Körper des an den Strand gespülten Aylan Kurdi brachte als letzter Tropfen das Fass zum Überlaufen. Das die europäische Moral zumindest theoretisch ganz anders aussieht, haben die Bundesrepublik und Kanzlerin Angela Merkel eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Dabei haben die zivilen Deutschen und auch die Österreicher ein wunderbares Bild abgeliefert, an das viele von uns nicht geglaubt hätten.

Die Trauerwelle, die Aylan auslöste mündete in einer kollektiven Empörung. Das Bild wurde zu offen und zu häufig in sozialen Netzwerken gepostet und in diversen Medien weltweit verbreitet. Konsequente Handlung kam dabei eigentlich nur von Deutschland und wenigen anderen Ländern. Dass der Rest der Welt dieses Bild massiv benutzt hat, war deshalb nicht in Ordnung. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan missbrauchte das Bild von Aylan, um Europa zu kritisieren. Zugegeben haben die Türkei und der Libanon so viel Hilfe geleistet, wie ganz Europa zusammen es nicht schafft. Aber auch das macht seine Politiktreiberei mittels Aylan nicht legitim, erst recht nicht moralisch vertretbar.

Was dann kam, war Charlie Hebdo. Im Blatt hieß es: „Willkommen Migranten. Zwei Kindermenüs zum Preis von einem.“ Darunter der leblose Körper von Aylan. In einer weiteren Zeichnung war eine Jesusfigur zu sehen, die auf dem Wasser steht. Daneben ragten die Beine eines ertrinkenden Kindes aus dem Wasser, mutmaßlich Aylan. Der Spruch dazu: Christen können über Wasser laufen, die Kinder der Muslime nicht.

Meinen Beobachtungen zu Folge lösten diese beiden Karikaturen zwei Effekte aus. Eine Gruppe, die sich ethnisch und kulturell betroffen fühlte, war stark empört über den Vergleich  zwischen Christen und Muslimen, während sie gleichzeitig sauer auf die Verwendung Aylans als Motiv war. Die zweite, kulturell und ethnisch weniger betroffene Gruppe empfand Aylan Kurdi als Motiv geschmacklos, aber erkannte in der Regel die Message über die von EU-Ländern wie Ungarn und der Slowakei betriebene Zweiklassengesellschaft, in der nur christliche Flüchtlinge aufgenommen werden sollen.

Bei Diskussionen zwischen den beiden Gruppen kam deutlich heraus, dass eine Karikatur zwei völlig gegensätzliche Ergebnisse verursachen kann. Dabei gilt es als Künstler auf Probleme aufmerksam zu machen. Gerade die Satire ist als wichtige Instanz der Kunstkultur von besonderer Bedeutung. Es gilt die Presse-, Meinungs,- und Kunstfreiheit, jedoch sollte das nicht mit den universellen Grundrechten von Menschen kollidieren. Jeder Satiriker hat auch die Verantwortung Fingerspitzengefühl zu zeigen. Aylan Kurdi ist eines der hunderttausenden unschuldigen Kindern, die wegen Terror und Politik ihr Leben ließen. Er hat mit seinem leblosen Körper eine Lehre erteilt, doch ihm und seinem am Boden zerstörten Vater bleibt im Leben nichts anderes mehr übrig, als ein Stück Würde. Zwar hat Charlie Hebdo mit seiner Kritik völlig recht, aber die Verwendung von Aylan Kurdi ist einfach nur geschmacklos. Das sind wir von Charlie Hebdo allerdings gewohnt. Die Satiriker, die es gut meinen, aber an Geschmacklosigkeit scheitern.