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Kolumnen

„Bis hierher und nicht weiter, Tayyip!“

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Es gibt Fragen, die einem helfen, in einer kniffligen Situation das Wesentliche zu erfassen und einen Überblick zu bekommen. Dazu gehören die folgenden Fragen: Was sagst Du? Woher weißt Du das? Unter welchen Umständen gilt das?

Dies gilt auch für den vorliegenden Fall. Unter normalen Umständen ist das Schmähgedicht von Jan Böhmermann absolut inakzeptabel.

Ja, gewiss, ein Politiker ist eine Person des öffentlichen Lebens. Er muss Kritik aushalten können. Aber mit wem jemand zu schlafen pflegt und wie groß gewisse, gewöhnlich unter einem Kleidungsstück verdeckte Körperteile eines Menschen sind, auch eines in der Öffentlichkeit stehenden Politikers, das sollte nicht zum Gegenstand öffentlich vorgetragener Erörterungen gemacht werden. Der Intimbereich ist geschützt, auch bei Personen des öffentlichen Lebens.

Aber die Rahmenbedingungen im Fall Böhmermann sind anders. Erdoğan sollte nicht darüber bestimmen können, was in Deutschland geht und was nicht. Deutschland sollte alleine von Bundeskanzlerin Merkel regiert werden und nicht in Abhängigkeit vom türkischen Staatspräsidenten.

Denn: Erdoğan selbst zeigt sich zwar extrem dünnhäutig. Er bringt sogar Kinder und Jugendliche wegen Beleidigung des Staatspräsidenten vors Gericht. Er selbst aber teilt auch gerne aus. Mit der unter seinem Einfluss stehenden Presse geht er brutal und unverschämt gegen Andersdenkende vor. Wer sich ihm nicht demütig unterordnet, der wird als Feind behandelt und gilt für diese Presse als Freiwild. Die Verwendung von offensichtlich nachrichtendienstlich gewonnenen Informationen gegen missliebige Personen in der Berichterstattung und die Fälschung von Informationen zur Diffamierung gehören zum Tagesgeschäft der Pro-Erdoğan-Medien.

Nein. Vor so einem Politiker sollte Deutschland Haltung bewahren und ihm deutlich die Grenzen aufzeigen. Die Flüchtlingsproblematik sollte nicht dazu führen, dass deutsche Politiker, die weiß Gott keine Unschuldsengel sind, ihre Werte verleugnen und Menschenrechte nur in fernen Ländern zur Sprache bringen, wo ihnen nicht mit Flüchtlingen gedroht werden kann – Realpolitik hin, Realpolitik her.

Erdoğan sollte nicht auch noch die Grenzen der Satire- und Pressefreiheit in Deutschland bestimmen, nachdem er in seinem Land Zeitungsredaktionen stürmen lässt, Journalisten mit lebenslangen Haftforderungen vor Gerichte zerrt und fast die gesamten türkischen Medien gleichgeschaltet hat. Ein Glück, dass in der Türkei die Todesstrafe aufgehoben wurde. Sonst würden heute vermutlich viele Journalisten in seinem Land vor einer ganz anderen, einer existentiellen Frage stehen. Der Mann versteht bei gewissen Dingen absolut keinen Spaß.

Und wenn doch, wenn die Bundeskanzlerin Erdoğan doch gewähren lässt? Das deutsche Wahlvolk würde ihr einen solchen Fehler nicht verzeihen. Einige hunderttausend Flüchtlinge können untergebracht und integriert werden. Zugeständnisse an einen selbstsüchtigen Diktator, die das eigene Selbstverständnis erschüttern, werden ungleich schwerer zu verdauen sein.

Vermutlich sind wir derzeit Zeuge des Anfangs vom Ende der Frau mit der Raute.