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Blind, Muslimin, erfolgreich: „Der Islam hat mir die Augen geöffnet“

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„Manchmal ist es die Blindheit anderer, die uns die Augen öffnet“ – Ernst Ferstl


Hallo Zeynep, stell Dich Doch mal vor bitte.

Hallo, ich bin Zeynep Holzmüller und 35 Jahre alt. Ich habe studiert in Berlin, Wien und Jerusalem und im Fach Islamisches Recht promoviert. Ich lebe seit kurzem wieder in Berlin. Ich habe unter anderem fünf Jahre in Palästina gelebt und dort palästinensische Kinder unterrichtet.

Was genau hast Du studiert?

Ich habe Islamic Law und Arabistik in Berlin und Wien studiert. In Jerusalem habe ich meinen Doktortitel erlangt.

Du heißt mit Nachnamen Holzmüller. Dann bist Du gebürtige Deutsche?

Ja, ich bin gebürtige Deutsche und gleichzeitig bin ich Muslimin.

Du bist konvertiert?

Ich hatte von Kind an muslimische Schulkameraden. Seit ich in der Schule bin. Intensiver habe ich mich mit dem Islam beschäftigt, seit ich 16 bin. Konvertiert bin ich dann letztlich mit 21. Dieser Zeitpunkt war für mich sehr wichtig, damit keiner sagt, ich hätte es für einen Mann oder sonst was getan, sondern für mich, für mich ganz allein.

Ich will jetzt nicht missionarisch klingen und missverstanden werden, aber ich bin zu neugierig. Was genau war die Erfahrung, als Du gesagt hast: So, das hat mich überzeugt, ich werde konvertieren?

Ich bin ein Mensch der Logik. Der Koran an sich ist sehr schlüssig. Er ist sehr nachvollziehbar. Er ist nicht in Gleichnissen geschrieben wie es in der Bibel der Fall ist. Das war der eine Punkt. Alles, was man im Koran liest, ist begründet und nachvollziehbar.

Gibt es noch einen Grund?

Ja, ich bin blind seit meiner Geburt. Ich trage Glasaugen. Meine Blindheit ist natürlich etwas, was mein Leben nicht einfacher macht. Insbesondere in deiner Kindheit und Teenagerzeit wird dir das bewusst. Es gab Tage, an denen ich sehr depressiv und traurig war. Ich suchte etwas, das mir im Leben einen Halt gibt. Ich habe viele Bücher gelesen. Und die Entscheidung, eines Tages den Koran in die Hand zu nehmen, war für mich eine göttliche Fügung. Für viele Menschen klingt es sehr abstrus, aber von da an veränderte sich mein ganzes Leben. Der Islam hat mir die Augen geöffnet. Die Bildung wurde schöner, das Essen schmeckte besser, die Menschen wurden netter… das Leben wurde cooler (lacht).

Und jetzt will ich nicht unsensibel klingen! Aber ich habe mal gelesen, dass Menschen, die Zeit ihres Lebens blind sind, nichts anderes kennen und dadurch das Sehen überhaupt nicht vermissen können. Ist da was dran?

Keine Angst, ich kenn Dich ja. Also für mich ist meine Blindheit nichts, womit ich umzugehen habe. Ich kenne es nicht anders wie du schon gesagt hast. Ich kenne das Blindsein so wie du das Sehen kennst. Das ist genau dasselbe. Man kann es nicht vergleichen mit jemandem, der später blind wird und sich damit abfinden muss. Ich bin ja damit aufgewachsen. Für mich gibt es sozusagen nur das. Man kann ja nicht etwas vermissen, was man noch nie hatte. Aber die Tatsache, dass man allen Menschen gegenüber in gewisser Weise im Nachteil ist, ist natürlich etwas anderes. Die Tatsache, oft Hilfe zu brauchen oder dass die Menschen mit dir Mitleid haben, ist etwas, was mich sehr oft traurig machte in der Vergangenheit.

Als ich Dich letztes Mal in der U-Bahn bis nach Hause begleitet habe, warst du wütend auf mich. Warum?

Weil Du Mitleid mit mir hattest.

Woher willst du das wissen? Ich habe doch nichts Bemitleidenswertes gesagt.

Man muss nicht sehen können, um die Gefühle anderer Menschen zu spüren! Ihr tut uns keinen Gefallen, indem ihr mit uns Mitleid habt. Es gibt generell keinen Grund, mit behinderten Menschen Mitleid zu haben. Das finde ich falsch, egal, welche Behinderung ein Mensch hat. Man kann mich auf meine Blindheit ansprechen. Das ist nicht unsensibel.

Wie möchtest Du von deinen Mitmenschen behandelt werden?

Zuerst einmal ist sehr viel Unwissenheit da. Verstehe mich nicht falsch. Deine Hilfe nehme ich immer gern an. Dennoch helfen die Menschen manchmal, ohne sie um Hilfe gebeten zu haben. Ich möchte nicht undankbar oder respektlos klingen, aber manchmal wirkt jenes Verhalten sehr distanzlos. Behinderte Menschen müssen und können alleine zu Recht kommen. Ich bin weltweit unterwegs und ich komme alleine gut zurecht. Ich sehe jenes als Herausforderung. Wenn ich nicht so viel alleine unterwegs wäre, hätte ich niemals so viele Menschen kennengelernt.

Ich werde es in Zukunft so handhaben… Aber Du musst mir eines verraten. Die Tatsache, blind zu sein, hat dich nicht davon abgehalten, den Weg zu gehen, den du gehen wolltest. Wie hast Du das geschafft.

Ja. Ich war nicht immer eine gute Schülerin. Nachdem ich zum Islam konvertiert bin, erkannte ich die Macht des Wissens. Im Koran heißt es: „Lies“. Und ja, das habe ich im Grunde getan. Ich habe mich auf Bildung und Studium konzentriert. Dass ich heute einen Doktortitel habe, habe ich eigentlich nur meinem Glauben zu verdanken. Ich weiß es nicht, aber wenn ich damals den Islam nicht kennengelernt hätte, wäre eventuell vieles anders gekommen.

Wie viele Sprachen beherrschst Du Zeynep?

Deutsch, Polnisch, Arabisch, Englisch und Hebräisch. Hebräisch hat mir meine beste Freundin in Jerusalem beigebracht. Sie ist Jüdin und hat Islamwissenschaft studiert und unterrichtet als Dozentin an der Universität. Sie und ich haben gemeinsam Projekte gestartet, die den Dialog zwischen Muslimen und Juden fördert und stärkt. Wir haben relativ großen Erfolg vorzuweisen. Ich möchte jetzt nicht behaupten, dass wir den Friedensnobelpreis verdient hätten, aber zumindest haben wir die Welt ein Stückchen besser gemacht.

Wie sieht Deine Einstellung gegenüber den Menschen und der Welt aus?

Wenn man in einem Land wie Deutschland lebt, sollte man dankbar sein. Wenn ich Deutschland mit anderen Ländern vergleiche, brauche ich nicht lange, um festzustellen, dass wir es hier gut haben. Ich finde es wichtig, jeden Menschen so zu akzeptieren, wie er ist. Egal welcher Herkunft oder Konfession. Ich finde es nicht gut, dass man Menschen nach Konfessionen beurteilt, wozu wir hier in Deutschland leider sehr oft tendieren. Oft liegen diese Konflikte nämlich darin begründet, dass man Politik und Religion nicht voneinander trennen kann. Deutschland ist ein Land, in dem es eine Trennung zwischen Staat und Religion gibt und das ist auch gut so. Doch einige Politiker greifen die Religion auf und instrumentalisieren sie für ihre politischen Zwecke. Ich muss keine Beispiele nennen, die Leute, die sich mit der Politik dieses Landes mehr oder weniger beschäftigen, wissen, wovon ich spreche. Man muss sich nur die großen Parteien angucken. Das ist gefährlich, weil das eine das andere korrumpiert und dadurch innerhalb der Gesellschaft Hass und Ressentiments die Oberhand gewinnen. So stell ich mir Deutschland nicht vor. Das muss jetzt gebremst und der Rückwärtsgang eingeschaltet werden. Dass heute zwanzigtausend Menschen gegen die angebliche Islamisierung protestieren in Deutschland, ist an Dummheit nicht mehr zu überbieten! Und wir wissen, wessen Baby das ist.

Ok, zurück zum Studium. Du hast Islamisches Recht studiert. Was ist am meisten in Erinnerung geblieben?

Interessant bei der Koranlektüre war, dass Taliban und Co. mit dem Islam nichts, aber auch gar nichts gemeinsam haben. Wenn beispielsweise das Islamische Recht so umgesetzt wird wie es gemeint ist, dann ist es weder frauenverachtend noch widersprüchlich zu unserem Grundgesetz. Es gibt sicherlich in jedem Rechtssystem Dinge, die man in Frage stellt. Ich finde es auch sehr wichtig, Dinge kritisch zu betrachten. Ich finde es als Muslim sehr wichtig, was ja eigentlich auch die Pflicht eines jeden Muslim ist, die Dinge kritisch zu überprüfen. Man sollte nichts so hinnehmen, wie es von irgendeinem Salafisten beispielsweise behauptet wird. Ich bin generell immer ein Mensch gewesen, der große Neugier hat und alles überprüft. Bei genauer Betrachtung wird man feststellen, dass das Islamische Recht in vielen Punkten im Vergleich zu manchen Gesetzen in westlichen Ländern viel mehr Humanität in sich birgt.

Zum Beispiel?

Nehmen wir nur das jetzige westliche Finanzsystem. Es wird einigen eigenartig vorkommen, aber die Sklaverei wurde quasi nie richtig abgeschafft. Sie wird heute nur anders umgesetzt. Die Armen werden immer ärmer und die Reichen immer reicher. Das jetzige kapitalistische Finanzsystem im Westen ist in Wirklichkeit nichts weiter als eine moderne Sklaverei. Es gibt zwei Möglichkeiten, wie du dem Menschen die Freiheit nehmen kannst: Entweder du steckst ihn ins Gefängnis sitzt und er sieht Gitter oder aber du steckst ihn ins Gefängnis – und er sieht die Gitter nicht. Die meisten Menschen, nicht mal viele Akademiker, können dieses hochkomplexe System verstehen. Wenn die Mehrheit der Menschen in diesem Land dieses System, dass im Grunde einem Raubtier gleicht, verstehen würden, so würde es von heute auf morgen eine Revolution geben.

Und das islamische Finanzsystem ist ein guter Ersatz?

Absolut. Denn im islamischen Finanzsystem ist es verboten, Zinsen zu nehmen. Wenn man erst einmal begriffen hat, was es mit den Zinsen auf sich hat, wäre das die halbe Miete! Jedoch wird es in keinem Land dieser Welt so umgesetzt, wie es eigentlich sein sollte. Als ich die Hadsch gemacht habe, musste ich ein Vermögen ausgeben. Die Saudis machen mit der Hadsch Geld, und zwar jede Menge. Dieses Geld ist schlicht und ergreifend Haram. Deswegen werde ich auch kein zweites mal eine Hadsch machen, um Diktaturen finanziell auch noch zu stärken. Die Saudis sind die größte Schande in der islamischen Welt. Interessant ist auch noch, dass die Saudis auch enge Verbündete des Westens sind.

Du warst auch in der islamischen Welt viel unterwegs. Erzähl uns von Deinen Erfahrungen?

Als ich in Palästina unterrichtet habe, ist mir besonders die Kindererziehung aufgefallen. Die Festigkeit der Herzen dieser Menschen werde ich niemals vergessen. Aber in den arabischen Ländern wird kritisches Hinterfragen kaum gefördert. Ganz im Gegenteil sogar. Man soll das Gesagte so hinnehmen, wie es beigebracht wird. Kritisches Denken gibt es kaum in der islamischen Welt. Alles wird einfach vordiktiert für die jungen kleinen Köpfe. Als ich konvertiert bin, habe ich die Unwissenheit vieler Muslime gesehen. Menschen, die als Muslime geboren wurden, hatten nicht die geringste Ahnung über ihre eigene Religion. Und wenn sie was wussten, interpretierten sie es manchmal verheerend falsch. In Wirklichkeit ist diese Unwissenheit pures Gift für den Islam. Eines sollten und müssen die Menschen, insbesondere junge, übereifrige Muslime wissen: Die wichtigste Exegese für den Koran ist die Zeit!

Zeynep, angenommen, Du könntest der ganzen Menschheit ein paar Worte sagen, welche wären das?

Liberalität und Solidarität sind die Grundpfeiler unserer Welt. Also liebt einander, weil es der einzige Weg ist, eine schöne Welt aufzubauen und ein glückliches Leben zu führen. Folgt eurem Herzen. Gott hat euch nämlich allen eins geschenkt!

Und genau wegen dieser Einstellung unter anderem wollte ich mit Dir ein Interview führen und eine großartige Frau wie Dich unseren Lesern vorstellen!

Bitte sehr, Charmeur.