Kolumnen
Böhmermann führt uns selbst vor
Ich weiß nicht, ob Jan Böhmermann das gemeint hat, aber mir scheint eine mögliche Interpretation seiner Sendung doch ziemlich unterzugehen im Gerangel zwischen Erdoğan und Böhmermann, dem ZDF und A Haber, Anne Will und der Tagesschau: In dem Teil des Schmähgedichts gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan packt der Satiriker Böhmermann in seinem Neo-Magazin Royale all das Hetzgerede hinein, das wir seit Jahr und Tag gegen Muslime hinnehmen sollen und als Meinungsfreiheit verkauft bekommen.
Nicht erst im sogenannten Dänischen Karikaturenstreit mit der Anspielung auf Sodomie in mindestens einer Darstellung, die gen Arabien entsandt wurde (s. S. 750ff), wurden derartige Entgleisungen als Kunst- und Meinungsfreiheit verteidigt, auch die Ausfälle des niederländischen Filmemachers Theo van Gogh bis hin zur Verwendung der Beschimpfung „Ziegenficker“ wurde weitestgehend nicht als Überschreitung von Grenzen, sondern als besonders mutiger Akt gegen (engstirnige) Muslime gefeiert, die mal lachen lernen müssten. Die vielen hingenommenen Hassposts und Schmäh und Schmuh gegen Muslime und andere Unliebsame könnte man noch hinzuzählen.
In dem Kontext ist die aktuelle Reaktion von Politik und Medien etwas Besonderes und als solches auch in Erinnerung zu behalten. Denn es darf davon ausgegangen werden, dass in Zukunft – bei anderer politischer Interessenlage – auch wieder die Meinungs- und Satirefreiheit beschworen wird, wenn Grenzen der Strafbarkeit überschritten werden.
Dass nun nach dem Strafersuchen Erdoğans ausgerechnet der alte Schah-Paragraph (§ 103) ausgegraben wird und die Regierung in Erklärungsnot gerät, warum sie eine Ermächtigung nach dem Folgeparagraphen (§104) aussprechen darf oder soll – was vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung irgendwie doch befremdlich erscheint, dass sogar von „Erpressbarkeit“ im Kontext des „Flüchtlings-Deals mit der Türkei“ so offen die Rede ist, zeugt von einer neuen Debattenqualität, aber auch Sensibilität.
Auf tagesschau.de kommt die Methode Tilo Jungs (Jung&Naiv) zum Tragen, bei der man die Verirrungen und Verwirrungen am besten dadurch vermitteln kann, dass man einfach die Bundespressekonferenz unbearbeitet sendet – hier eine halbe Stunde des Lavierens und Nichtssagens.
Realsatire auf höchstem Niveau.