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Politik

Bosnien: Eine Revolution bahnt sich ihren Weg

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Die anfängliche Chaosphase der Proteste in Bosnien-Herzegowina ist vorbei. Waren die bisherigen Demonstrationen noch anarchisch, schließt sich die Mittelschicht der Revolution an. Die Konfessionsgruppen arbeiten nun zusammen. (Foto: reuters)

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Demonstranten in Bosnien, Sarajevo
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Brennende Verwaltungsgebäude, fliegende Molotow-Cocktails und fliehende Polizisten. Das sind die Eindrücke der Proteste in Bosnien-Herzegowina. Arbeitslose Jugendliche hatten vergangene Woche in der Industriestadt Tuzlar gegen die Regierung protestiert und mit Gewalt auf die lahmende Verwaltung und desolate Wirtschaft des Balkanstaates reagiert.

Schon früh griffen die Proteste auf andere Landesteile über. Während Demonstrationen in den Kleinstädten Donji Vakuf, Mostar, Sanski Most und Brcko friedliche verliefen, kam es in Bihac ebenfalls zu militanten Protesten gegen lokale Politiker. In den serbisch kontrollierten Städten Banja Luka und Prijedor waren ebenfalls Menschen auf der Straße.

Türkischer Außenminister besucht Bosnien-Herzegowina

Der türkische Außenminister Ahmet Davutoğlu hat am Mittwoch dem Land einen Besuch abgestattet und betont, dass die Türkei großen Wert auf Sicherheit und Stabilität in Bosnien-Herzegowina legt. Beide Länder seien historisch eng miteinander verbunden und arbeiteten auf vielen Gebieten zusammen. Die Türkei werde ihre Anstrengungen vertiefen, Wohlstand und Wohlergehen für die Menschen im Lande aufrecht zu erhalten. Davutoğlu sagte, dass nach seinem Verständnis die Internationale Gemeinschaft eine entscheidende Rolle bei der Stabilisierung der gesamten Region spiele.

Alte Wunden heilen nicht

Bosnien-Herzegowina ist nach dem Bürgerkrieg der Neunziger Jahre und dem Dayton-Friedensabkommen gespalten. Die Arbeitslosigkeit ist hoch und die marode Wirtschaft des Landes lahmt. Während das Nachbarland Kroatien mittlerweile zur Europäischen Union gehört und Serbien in Beitrittsverhandlungen gute Chancen hat, ist Bosnien-Herzegowina isoliert.

Dies liegt auch daran, dass sich die verschiedenen Ethnien des Landes, die drei von einander weitestgehend unabhängige Landesteile kontrollieren, nicht über den Weg trauen. Die Demokratie des Landes steckt in der Krise. Politikgestaltung ist nicht möglich, da sich die gegenüberstehenden Parteien nicht auf einen Konsens einlassen. In Bosnien-Herzegowina zeigt sich, dass die alten Wunden des Bürgerkriegs nicht verheilen.

Stockende Reformen, Korruption und Arbeitslosigkeit

Nötige Reformen werden so verschleppt oder kommen nie zustande. Entwicklung, Wohlstand und Beschäftigung sind mit dieser Blockadehaltung nicht zu erzielen. Weiterhin stehen sich die Todfeinde ohne Vertrauen gegenüber und verschlimmern die Lage ihrer Bürger.

Eine weitreichende Vetternwirtschaft und Korruption bis zum untersten Glied der Kette ziehen außerdem die Wut der Menschen auf sich. Selbst die Mittelschicht, die in den seltenen Genuss kommt, arbeiten zu können, ist kaum in der Lage aus den Gehältern das Nötigste zum Leben zu generieren.

Proteste verwalten sich selbst

Nun mehren sich Anzeichen, dass die anarchischen Anfangszustände der Proteste überwunden, eine Revolution ins Rollen gekommen ist. Die Mittelschicht des zwischen den Konfessionen und ethnischen Gruppen gespaltenen Landes ist nun bei den Protesten dabei.

Die Feuerwehrleute der Hauptstadt Sarajevo haben sich den Protesten ebenso angeschlossen, wie Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe, die mit Warnstreiks ihrem Unmut Ausdruck verleihen. Insbesondere staatliche Angestellte, die um die Weihnachtszeit auf zwei verspätete Monatsgehälter warteten, gehen auf die Straße und verweigern den Dienst.

Es werden erste Revolutionsräte gebildet, die den Protest koordinieren. In der Industriestadt Tuzla, dem Startpunkt der Proteste, bildete sich ein Plenum mit mehreren hundert Männern und Frauen, bestehend aus Arbeitern, Hausfrauen, Studenten, Professoren und Ingenieuren. Die Proteste nehmen zu, die Beteiligten immer verschiedener. Der Druck auf die Politik wächst.

Demonstrationen als Neubeginn

Die Proteste könnten ein Startpunkt für eine Revolution von unten sein. Die Legitimität der gewählten Volksvertreter steht in Bosnien-Herzegowina dieser Tage zu Disposition. Es zeigt sich, dass die ethnischen und konfessionellen Konfliktlinien im Volk kaum eine Rolle mehr spielen. Der Bürgerkrieg scheint in den Köpfen der Menschen überwunden zu sein.

Denn die Demonstrationen, zu denen sich die Konfessionen vereinigen, beweisen, dass, anders als bislang immer wieder von der Politik dargestellt, eine Zusammenarbeit der Volksgruppen nicht nur möglich, sondern konstruktiv ist.

Das Erbe des Bürgerkriegs wiegt noch schwer in Bosnien-Herzegowina, doch der Wille zur Veränderung ist da. Ein Neubeginn im kollektiven Bewusstsein der Bosnier erscheint dieser Tage möglicher denn je.