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Politik

Brasilien: Eine aufstrebende Macht ohne Feinde

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Brasilien zählt zu den aufstrebenden Ländern des 21. Jahrhunderts. Wie steht es um das südamerikanische Land im Vergleich zu anderen aufstrebenden Ländern wie China oder der Türkei?

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ANALYSE Brasilien hat ein ausgeprägtes Selbstbild als „großes Land“ und möchte auf internationaler Bühne mit Ländern wie den USA, China oder Russland gleichgestellt werden. Dementsprechend hat das südamerikanische Land hoch ambitionierte außenpolitische Ziele, welche seit der Präsidentschaft Fernando Henrique Cardosos (1995-2002) und insbesondere unter Lula da Silva (2003-2010) stark zum Ausdruck gekommen sind. Dabei fällt zunächst einmal auf, dass Brasilien im Gegensatz zu anderen aufstrebenden Mächten eine durchaus günstige außenpolitische Ausgangslage hat. Denn seit mehr als 140 Jahren hat Brasilien keine ernsthaften Konflikte weder mit seinen Nachbarstaaten noch mit anderen Ländern erlebt.

Günstige außenpolitische Ausgangslage

Die Souveränität Brasiliens wurde also schon seit Jahrzehnten weder intern noch extern bedroht. Nelson Jobim, brasilianischer Verteidigungsminister unter Lula da Silva, erklärte 2007 in einem Interview, dass Brasilien keine Feinde habe. Ein Blick auf die politische Situation in Südamerika zeigt, dass keine nennenswerten zwischenstaatlichen Konflikte vorhanden sind. Ein Vergleich mit China zeigt, dass nicht alle aufstrebenden Staaten eine ähnlich günstige Ausgangslage haben. Denn die Beziehungen der Volksrepublik China beispielsweise zu seinen Nachbarn Japan, Vietnam oder Taiwan sind zeitweise äußerst kompliziert und bergen hohes Konfliktpotenzial. Ebenso hat China Grenzstreitigkeiten im Norden mit Russland und im Westen mit Indien.

Süd-Süd Orientierung zentrale Außenpolitik Brasiliens

Als grundlegendes globales Ziel Brasiliens hingegen kann die Reform anerkannter internationaler Organisationen wie die Vereinten Nationen (VN) oder die Welthandelsorganisation (WTO) genannt werden. Seit Lula da Silva fordert das Land einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat und deklariert das gegenwärtige internationale System als obsolet, da es die Machtverhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg repräsentiere. Um seine internationalen Ziele zu erreichen, versucht Brasilien insbesondere in den Ländern des „Südens“ Unterstützung für sein Vorhaben zu erhalten. Mit der sogenannten „Süd-Süd Orientierung“ versucht Brasilien seine Beziehungen insbesondere mit drei Regionen der Erde zu vertiefen: Südamerika, Afrika und Naher Osten.

Brasiliens Interesse an Afrika enorm gestiegen

In Südamerika versucht Brasilien, die regionale Integration durch Mercosur und UNASUR voranzubringen. Auch das brasilianische Interesse am afrikanischen Kontinent ist enorm gestiegen. Allein während der Präsidentschaft Lula da Silvas, der während seiner Amtszeit 27 afrikanische Staaten besuchte, sind rund 30 neue brasilianische Vertretungen auf dem Kontinent eröffnet worden. Der gleiche Lula da Silva war es auch, der als erster brasilianischer Präsident den Nahen Osten besuchte und ein Gipfeltreffen (Gipfel Südamerika-Arabische Staaten) zwischen den südamerikanischen und arabischen Staatschefs initiierte. Der Gipfel fokussierte sich nicht lediglich auf politische und wirtschaftliche Belange, sondern sollte zugleich eine Plattform für den Austausch zwischen westlicher und islamischer Welt schaffen.

Brasilien fordert soziale Gerechtigkeit im internationalen System

Die Beziehungen Brasiliens zum Nahen Osten intensivierten sich zeitweise so stark, dass Brasilien 2010 gemeinsam mit der Türkei im iranischen Atomstreit versuchte, zwischen Washington und Teheran zu vermitteln. Brasilien konnte in den letzten 20 Jahren relativ schnell gute Beziehungen zu den Staaten des Südens aufbauen, weil eines der Grundpfeiler brasilianischer Außenpolitik die Thematisierung der Nord-Süd-Konfliktlinie ist. Das Land fordert soziale Gerechtigkeit im internationalen System und möchte dazu die Vereinten Nationen reformieren, was allerdings bisher gescheitert ist.

Auch der Versuch der sogenannten G4-Initiative, in der Brasilien gemeinsam mit Deutschland, Japan und Indien versuchte, die geplante Reform der Vereinten Nationen wieder in Gang zu bringen, konnte bisher keine nennenswerten Erfolge verbuchen. Zudem will Brasilien seine Beziehungen zu anderen aufstrebenden Ländern, die ähnliche Positionen haben, vertiefen und ist Mitglied der BRICS-Staaten. Auch war Brasilien der Initiator des IBSA-Forums, in der Brasilien, Indien und Südafrika ihre Interessen koordinieren wollen, um auf globaler Ebene effektiver miteinander kooperieren zu können. All diese aufwendigen wirtschaftlichen, diplomatischen und politischen Bemühungen haben Brasilien noch lange keine global anerkannte Rolle als Großmacht verleihen können, doch Teilerfolge konnte das Land bereits erzielen.

USA hat Brasilien noch nicht als globaler Akteur anerkannt

So erklärte die Europäische Union 2007 Brasilien zu seinem strategischen Partner. Nicht wenige deuten die strategische Partnerschaft zwischen beiden als Teilerfolg Brasiliens, sich als Regionalmacht Südamerikas und als globaler Akteur zu etablieren. Denn die inhaltlichen Punkte, die seither jährlich bei den Gipfeln zwischen der Europäischen Union und Brasilien abgehalten werden, sind globale Themen wie Klimawandel, Welthandel und die Reform der Vereinten Nationen. Die Europäische Union scheint Brasilien also als globalen Akteur anerkannt zu haben. Nicht so einfach hat es Brasilien hingegen mit den USA. Die Beziehungen zwischen Washington und Brasilia sind zwar nicht angespannt, dennoch beobachtet das Weiße Haus den Aufstieg Brasiliens eher mit skeptischem Blick. Die weltweite Anerkennung Brasiliens als Regionalmacht Südamerikas und als globaler Akteur wird auch mit der Haltung Washingtons zu tun haben. Bisher haben die Vereinigten Staaten die neue Rolle Brasiliens noch nicht eindeutig anerkannt.