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Politik

Brief eines TOKI-Käufers: Deswegen hab ich die AKP gewählt

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Wie kam es, dass die AKP am 1. November so viele Stimmen erhielt? Ein öffentlich gewordener Brief eines TOKI-Käufers und zweifachen Vaters bietet nun einen (Teil-)Erklärungsansatz.

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AKP-Anhänger
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Die Neuwahlen in der Türkei fanden am 1. November diesen Jahres statt. Auch das Parlament hat sich bereits konstituiert. Dennoch wird das Ergebnis weiter heiß diskutiert: Wie konnte es sein, dass keines der Umfrageinstitute einen so hohen Wahlsieg der AKP nicht einmal annähernd vorhersagen konnte?

Noch vor fünf Monaten, bei den Wahlen im Juni, nach denen keine der Partei(en) eine Regierung bilden konnte(n), erhielt die AKP neun Prozentpunkte weniger als bei der Parlamentswahl 2011. Hat die Angst vor dem Terrorismus eine große Rolle gespielt? Oder wollten die Türken einfach nur, dass endlich eine Regierung gebildet wird? Dennoch bleibt die Frage bestehen: Warum konnte keine der Umfrageinstitute den Wahlsieg hervorsagen?

Ein Brief eines Fabrikarbeiters aus Gebze bringt nun etwas Licht ins Dunkel.

In dem Brief schildert der zweifache Vater, der in der Fabrik „Artemis“ in Gebze arbeitet, warum er sich an der Urne für die Partei entschieden hat, die er gewählt hat, nämlich für die AKP.

Der Brief wurde in der türkischen Zeitung „Evrensel“ veröffentlicht:

Ich bin nun schon seit 20 Jahren Arbeiter und schreibe das erste mal einen Brief an eine Zeitung. Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Brief tatsächlich schreiben soll. Auch wenn es mir schwer fiel, haben mir ein paar Freunde den Mut gegeben, den vorliegenden Brief zu verfassen. Aber dieser Brief könnte für mich etwas problematisch werden.

Ich arbeite seit 17 Jahren in der Fabrik Artemis in Gebze. Mein monatlicher Verdienst beträgt 1650 Lira (etwa 540 Euro). Wir erhalten dreimal im Jahr Prämien. Ich habe zwei Kinder, die zur Schule gehen.

Ich habe zum ersten Mal als Arbeiter in diesem Jahr an den Kundgebungen zum 1. Mai in Gebze teilgenommen. Bis dato hatte ich mir die Kundgebungen zum 1. Mai im Fernsehen angesehen und um ehrlich zu sein, hatte ich nur eine negative Meinung dazu. Deshalb habe ich meine Teilnahme an der Kundgebung selbst vor meiner Ehefrau verschwiegen. Ich ließ mich davon überzeugen, als ich zuvor mit Freunden und Kollegen an Streik-Besuchen von Metallarbeitern und an einem Panel der „Emek Partei“ zu Soma teilnahm. Es hat mich sehr beeindruckt, hinter unserem Fabrik-Plakat mit Freunden zu laufen und mit anderen Fabrikarbeitern für die gemeinsame Sache einzustehen.

Mein Leben lang habe ich für die MHP und die AKP gestimmt. Bei den Wahlen im Juni bin ich nicht an die Urne gegangen. Wäre ich zu den Wahlen gegangen, hätte ich meine Stimme aber weder der AKP noch der MHP gegeben. Auch für die HDP zu wählen war für mich nicht wirklich naheliegend. In der Fabrik gibt es einige wenige kurdische Arbeiter, mit welchen ich nie Auseinandersetzungen hatte. Auch habe ich sie nie herabwürdigend angesehen. Aus meiner Sicht gibt es nur die Arbeiter auf der einen und die Chefs auf der anderen Seite. Außer dieser Trennung ist jede Trennung, vor allem zwischen „Kurde“ und „Türke“, schädigend für uns.

Ich habe mich vor zwei Jahren für 15 Jahre verschuldet und mir eine TOKI-Wohnung (TOKI = Staatliche Wonungsbaubehörde) in Tuzla-Aydınlı gekauft. Monatlich zahle ich derzeit eine Rate von 530 Lira (etwa 173 Euro). Unsere Raten passen sich alle sechs Monate nach der Höhe der Inflationsrate an. Nach den Wahlen im Juni kam bei mir und bei tausenden von Arbeitern die Sorge auf, dass die Stabilität ins Schwanken geraten könnte, da aufgrund der Wahlergebnisse keine Regierung gebildet wurde.

Es sind vor allem Arbeiter, die in den TOKI-Häusern eine Unterkunft gefunden haben. Der TOKI-Vorstand hat regelmäßig betont, dass die monatlichen Raten steigen könnten, wenn die AKP nicht alleine die Regierung stellen kann und die Stabilität damit abhanden kommt. Der Wechselkurs sei explodiert, die Zinsen gestiegen und wir seien nur mit sehr viel Mühe Eigentümer einer Wohnung geworden.

Während ich mich in der Fabrik sicher fühlte, fühlte ich mich in der Wohnung zunehmend alleine und hilflos. Ich fing an, in der Fabrik über andere Dinge zu sprechen und zuhause über ganz andere Dinge. Der TOKI-Vorstand führte fast jeden dritten Tag Meetings mit den Eigentümern durch.

Als ich am 1. November die AKP wählte, konnte ich nicht so handeln wie ein Arbeiter, sondern wie einer, der sich eine Wohnung gekauft hat und einer, der sich für 15 Jahre verschuldet hat.