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Gesellschaft

Bulgarische Türken in Duisburg: „Abi, machst du auch ein Foto von mir bea?“

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Seit über dreißig Jahren leiden die bulgarischen Türken. Erst Unterdrückung durch das kommunistische Regime, dann Armut und Flucht. In Deutschland werden sie oft als Problem angesehen, doch warum sind sie hier und wie leben sie?

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„Benim adım Ediye“, sagt die etwas ältere Dame gekleidet mit schwarzem Rock und einer lässigen Bluse. Sie stößt zu unserem Gespräch mit dem Leiter des bulgarisch-deutschen Kulturvereins. „Ediye?“, frage ich, „Den Namen höre ich zum ersten Mal. Was bedeutet das?“ „Ediye değil bea, Ediye, Ediye“, wiederholt sie. Dann hilft der Leiter des Kulturvereins lächelnd aus: „Hediye heißt sie.“ Sie gehört zu den sogenannten bulgarischen Türken und kam 2010 nach Deutschland.

Bekannt ist diese Gruppe hierzulande eher als Roma. Sie würden Probleme bereiten und Duisburg weiter ghettosieren, beschweren sich viele Anwohner. Viel Kenntnis haben sie über deren Geschichte allerdings nicht. Sprechen tun hier nicht wirklich viele mit ihnen. Schon vor über 30 Jahren hatten sie große Probleme in Bulgarien, dort startete das kommunistische Regime die zwangsweise Assimilation der türkischen Minderheit. Die bulgarischen Türken mussten ihre Namen ändern. Türkisch durften sie nicht mehr öffentlich sprechen. Erich Wiedemann schrieb im Juli 1989 in einer Spiegel-Reportage:

„Die Kommunisten in Sofia haben die türkische Minderheit jahrzehntelang schikaniert und drangsaliert, um sie kulturell und gesellschaftlich gleichzuschalten. Die blutige Türken-Demonstration am 20. Mai in Kaolinowo – 1 Toter, 30 Verletzte – hat das Verhältnis zwischen Bulgaren und Türken vollends zerrüttet. Kaolinowo gab den Anstoß für die planmäßige Deportation von Moslemfanatikern, wie die Regierung sie nennt.
Nachts durchkämmten Greiferkolonnen mit langen Listen die Dörfer, um Familienväter und junge Männer, die als Agitatoren verdächtigt wurden, aus den Betten zu holen. Die Opfer wurden auf Lastwagen verladen und vor der Grenze ausgesetzt. Jeder durfte nur einen Koffer und höchstens 500 Lewa (400 Mark) Bargeld mitnehmen.
Widerstand wurde gewaltsam gebrochen, mit Gewehrkolben, mit Knüppeln, auch mit gezielten Schüssen. Bei Tolbuchin banden Soldaten zwei junge Männer an Laternenmasten und peitschten sie so lange, bis sie sich nicht mehr rührten. In der ersten Phase der Vertreibung starben zwei bis drei Dutzend Menschen.“

Verschimmelte Flure, Wohnungen ohne Strom

Nach Deutschland kommen die meisten ab 2008.  In Bulgarien und Rumänien sind sie immer noch staatlicher Diskriminierung, Menschenrechtsverletzungen und extremer Armut ausgesetzt. Sie werden auch hierzulande als Problemfall angesehen.

Mein Besuch in Duisburg-Hochfeld zeigte mir aber, wie schlecht es ihnen auch hier geht.

Die Gebäude, in denen die bulgarischen Türken leben, sehen von Außen gar nicht mal schlecht aus; wie ganz normale Wohnhäuser in Duisburg eben. Ein näherer Blick lässt nur erahnen, was in diesen Häusern wirklich vor sich geht. Je länger und genauer ich auf die Scheiben der Wohnungen schaue, desto mehr erkenne ich: Dort ist etwas schief. Die Scheiben sind benebelt, dreckig. Vor 11 Monaten ist Cevahir Hasan hierher gekommen. Er hat in Bulgarien studiert. Heute ist er Leiter des bulgarischen Kulturvereins in Hochfeld. Er führt mich durch die Häuser und Wohnungen.

Schon erste Schritte hinein zeigen mir: Hier könnte ich sicher nicht leben. Der Gestank, insbesondere der des beißenden Schimmels, ist so extrem, dass meine Nase juckt. Die Wände sehen sehr instabil aus. Überall fallen Risse auf. Licht? Fehlanzeige! Später erfahre ich, dass es auch in Wohnräumen keinen Strom gibt. „Was macht ihr denn abends?“, frage ich. Eine Frau mit ihrem neugeborenen Baby entgegnet mir: „Wir leben im Kerzenschein.“ Ein süßes Lächeln bleibt aber auf ihrem Gesicht.

„Abi, machst du auch ein Foto von mir bea?“

Kinder, die mich mit meiner Kamera in der Hand sehen laufen zu mir und sprechen mich mit ihrem thrakischen Akzent an: „Abi, machst du auch ein Foto von mir bea?!“ Ein paar Knipser sorgen für ein Lächeln in ihren Gesichtern. Diese Kinder sind nicht wirklich modern oder gar sauber gekleidet.

Der Besuch geht weiter. Ich schaue auf die Türklinken. Die scheinen nicht mehr ganz in Ordnung zu sein. Abschließbar sind sie auf jeden Fall nicht mehr. So etwas wie ein Privatleben gibt es hier nicht. Jeder wohnt irgendwie überall.

Heißes Wasser haben die Wohnungen auch nicht. Wenn die Menschen hier morgens aufwachen, überlegen sie, wie sie heute am Leben bleiben können, wie sie ihre Familien ernähren können, sagt Cevahir: „Die Menschen machen jeden Job.“

Cevahir Hasan will mit dem Verein seinen Landsleuten helfen

Cevahir will hier den Menschen helfen. Er ist hergekommen, um vor allem den Jugendlichen zur Seite zu stehen. Er will nicht, dass sie klauen, er will, dass sie arbeiten. Sein Verein soll dabei behilflich sein. Hier soll die Jugend täglich Deutsch- und Integrationskurse besuchen, doch leider kommen nicht wirklich alle zu ihm. Es gibt immer noch zu viele, die der Kriminalität anheim fallen. Deshalb wird im benachbarten Marxloh sogar von einer No-Go-Area gesprochen. Der schlechte Ruf des Bezirks reichte bis nach Berlin und Bundeskanzlerin Merkel besuchte im Rahmen ihrer Veranstaltungsreihe „Gut Leben in Deutschland“ vor kurzem diesen Ort. Für das gute Leben hat der Verein angemessene Räumlichkeiten in der Umgebung gefunden.

Hediye besucht diese Räumlichkeiten sehr häufig. Sie will, dass Cevahir ihr und ihrem Mann dabei hilft, einen Job zu finden: „Wegen Arbeit und Geldproblemen streiten wir uns sehr häufig mit meinem Mann“, sagt sie. „Du kannst zehn Tage draußen schlafen, aber was sollen wir am elften Tag in dieser Kälte tun“, fragt sie in Gedanken vertieft. Sie glaubt, dass nur diejenigen in Deutschland Arbeit finden, die hier Bekannte haben. Die Arbeitslosigkeit bei diesen Menschen führt auch dazu, dass die bulgarischen Türken ihre Mieten nur schwer zahlen können. Dafür reicht es gerade mal, für Strom aber nicht. Wohnungen für höchstens vier Personen werden durchschnittlich von mindestens zehn Leuten bewohnt.

Mitte 2011 lebten schätzungsweise 4000 Roma in Duisburg. Bei einer Razzia Ende 2012 hat die Duisburger Polizei in 23 Wohnungen 256 Personen festgestellt und einzeln kontrolliert, darunter 110 Kinder. Die vielen Kinder sorgen für viel Lärm. Die Landesregierung hatte deshalb im vergangenen Jahr ein Gesetz auf den Weg gebracht. Cevahir Hasan begrüßte es: „Wenn wir hier leben sollen, dann müssen wir die Gesetze natürlich auch respektieren“, sagt er. Aber niemand wolle hier in diesen Zuständen leben. Durch eine Arbeitsgenehmigung könnten Probleme schneller aus der Welt geschafft werden. Das Landesgesetz ist aber vor allem gegen Vermieter gerichtet, die durch irreguläre Vermietungen illegal Geld verdienen.

„Deutschtürken kaufen uns Medikamente“

Am meisten Unterstützung würden die bulgarischen Türken von den Deutschtürken erhalten, sagt Cevahir. Manchmal würden diese ihnen sogar Medikamente besorgen. Auch die DİTİB unterstütze sie durch Kurse. Aber damit, einmal Medikamente zu kaufen, ist das Thema natürlich nicht aus der Welt. Ohne eine soziale Absicherung wird es solche Probleme immer wieder geben. Einige Ärzte würden sie gar nicht behandeln: „Nur Notfallstationen helfen uns“, sagt Cevahir.

Ein anderes großes Problem ist der Todesfall. Die meisten von Ihnen wollen in Bulgarien beerdigt werden. Das kostet aber mehrere Tausend Euro. Eigentlich unmöglich. Deshalb will Cevahir so schnell wie möglich einen Geldtopf einrichten, in den jeder geringe Mengen einzahlen soll.

Aber was ist an so einem Leben so reizvoll? Für Cevahir ist die Antwort ganz einfach: „Egal, wie schlecht es uns hier geht: In Bulgarien ging es uns schlechter. In Deutschland können wir wenigstens dafür sorgen, dass unsere Kinder Bildung erhalten.“ Ein wichtiges Argument.