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Kolumnen

Zwei Mal Özdemir im Bundestag

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Müller und Meier sind uns allen bekannt. An die Özdemirs und Yılmaz’ müssen wir uns noch gewöhnen. Özdemir Senior (48) sitzt seit 1994 im Bundestag, Özdemir Junior (26) ist neu und dazu noch der jüngste Abgeordnete. (Foto: bundestag.de)

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Mahmut Özdemir von der SPD ist der jüngste Abgeordnete des 18. Bundestages.
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Die Bundestagswahl zeigt: Rechtspopulisten haben in Deutschland keine Chance, und auch konservative Parteien können erfolgreiche Wahlkampagnen ohne die Thematisierung der Einwanderung durchführen. Aber inwiefern ist das erfreulich und inwiefern bedenklich?

Die Wahlen sind vorbei, alle sind mit der Interpretation der Ergebnisse beschäftigt. Warum haben die Unionsparteien so zulegen können, warum ist die FDP aus dem Bundestag rausgeflogen, was bedeutet das für die Zukunft, welche Regierungskonstellationen sind möglich usw. – zugegeben, es sind berechtigte Fragen. Aber es gibt gute Gründe dafür, bevor man sich im Detail verliert, einen Schritt zurückzugehen und das Gesamtbild zu würdigen. Und das sieht gar nicht schlecht aus.

Zunächst der Wahlkampf: Im Wahlkampf wurden die Einwanderer nicht thematisiert. Man ging nicht auf ihrem Rücken auf Stimmenfang. Gut, die üblichen Verdächtigen mal ausgenommen: Die NPD hat mit ihrer „Brief“-Kampagne an einige Kandidaten kurz von sich reden gemacht. Sie hatte dort die Adressaten ihrer Kampagne aufgefordert, in ihre Heimatländer zurückzugehen – wobei sie offenbar zu beschränkt waren, um zu begreifen, dass dies im Fall der meisten Adressaten ohnehin Deutschland wäre. Aber das war abzusehen. Sie konnten damit dem Wahlkampf nicht ihren Stempel drücken können und wurden auch zurechtgewiesen – vor allem aber ernteten sie Spott und Häme infolge einer viral gegangenen Gegenkampagne.

Rechtsaußenparteien gingen baden

Auch der Ausgang der Wahlen ist aus Sicht der Demokraten erfreulich. Die ausländerfeindlichen bzw. rechtsextremen Parteien haben so wenig Zuspruch bekommen, dass man sie praktisch mit dem Mikroskop suchen müsste, wollte man sie in den Wahlurnen ausfindig machen. Lässt man die nur teilweise von Rechtsaußen unterwanderte AfD außen vor, haben NPD, Republikaner, Pro Deutschland und „Die Rechte“ zusammen nicht einmal zwei Prozent der Stimmen auf sich vereinigen können, das ist so wenig wie seit 2002 nicht mehr. Dabei sind sie es, die regelmäßig zur „Verteidigung des Abendlandes“ anrücken und für Krawall sorgen.

Dieses Ergebnis ist nicht selbstverständlich. Rings um Deutschland herum, in vielen Ländern Europas haben Rechtsradikale entweder den Sprung ins Parlament geschafft oder sie sind an der Regierung beteiligt – auch in Ländern, die traditionell für Toleranz stehen. In den skandinavischen Ländern sind sie vertreten, im toleranten Holland, auch im südlichen und südöstlichen Europa. In Ländern wie Italien und der Schweiz sind sie sogar an der Regierung beteiligt, in Österreich waren sie es von 2000 bis 2006.

Der multikulturelle Bundestag

Was die Abgeordneten betrifft, gibt es auch Beachtliches festzustellen: Die Zahl der Abgeordneten mit Migrationshintergrund hat sich auf 34 erhöht, die derjenigen aus türkischen Einwandererfamilien von 5 auf 11. Mittlerweile beträgt ihr Anteil im Bundestag um die 5 Prozent. Auch wenn diese Zahl unter 20 Prozent bleibt – so groß ist nämlich der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund an der Gesellschaft -, so ist sie doch beachtlich und die Richtung der Entwicklung eindeutig: Die Normalisierung schreitet voran. Der neu in den Bundestag gewählte Mahmut Özdemir aus Duisburg ist jetzt sogar der jüngste Abgeordnete mit nur 26 Jahren.

Das Bild, das Deutschland auf diese Weise abgibt, ist also durchaus positiv. Dieses sollte uns aber nicht vergessen machen: Auch wenn die rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien an den Wahlurnen keine Chance hatten, bedeutet das keineswegs, das in der Gesellschaft eine solche Basis nicht existieren würde. Der Anteil der Menschen mit geschlossenem rechtsextremem Weltbild wird auf 20 Prozent geschätzt. Weit über 50 Prozent haben eine problematische Einstellung gegenüber Muslimen, wie Untersuchungen belegen.

Islamverbände als „nützliche Idioten“?

Und – so erfreulich auch die Entwicklung der Abgeordneten mit Migrationshintergrund ist, für sich alleine genommen bedeutet das nicht unbedingt schon eine uneingeschränkt positive Entwicklung. Während sie einerseits eine Normalisierung in der Gesellschaft andeuten, könnten gerade manche von ihnen mit ihren Polemiken gegenüber muslimischen Kreisen für Vergrößerung der Gräben sorgen. Bisher haben sich gerade einige Abgeordnete aus Einwandererfamilien als überassimilierte, zum Teil belehrend auftretende Politiker mit einer problematischen Einstellung hervorgetan und haben so für Entfremdung gesorgt.

Dabei zeigten sich gerade muslimische Kreise als außerordentlich demokratieaffin. Vor den Wahlen haben sie eine Initiative gegründet und sich massiv für mehr Beteiligung an den Wahlen eingesetzt. Möglicherweise haben sie dadurch dazu beigetragen, Kandidaten zu wählen, die sich demnächst schon als ihre großen „Kritiker“ profilieren. Sie machen von ihrem Recht, zu wählen, Gebrauch, von ihrem Recht aufs Gewählt werden nicht. Kann es sein, dass sie dadurch als mögliche „nützliche Idioten“ fungiert haben? Möglicherweise. Wollen wir es nicht hoffen.