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Kolumnen

Trotz Giousouf und Diaby – Einwanderer bleiben unterrepräsentiert

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Zwar gingen zumindest die Parlamentsparteien im Wahlkampf nicht mehr mit Ausländerfeindlichkeit Hausieren. Allerdings fehlten auch klare Vorstellungen für eine diverse Gesellschaft von Morgen und Einwanderer bleiben unterrepräsentiert. (Foto: dpa)

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Der aus dem Senegal stammende Karamba Diaby wird am 22.09.2013 in Halle (Saale) (Sachsen-Anhalt) von Journalisten zum Ausgang der Bundestagswahl befragt. SPD-Kandidat Diaby zieht über die Landesliste als erster aus Afrika stammender Abgeordneter in den Bundestag ein.
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Angela Merkel bleibt Bundeskanzlerin, mit einem überraschend guten Ergebnis für die CDU/CSU. Wie zuvor die SPD hatten nun die Liberalen einen Preis dafür zu bezahlen, sich zum Juniorpartner von Frau Merkel zu machen. Entscheidend für ihren Untergang waren aber eigene Fehler, wenig überzeugendes Führungspersonal und nicht vorhandenes liberales Gedankengut. Das gute Abschneiden der Alternative für Deutschland ist ein Hinweis auf die Europaskepsis der Deutschen. Die Resultate für die SPD, die Grünen und die Linke bewegten sich hingegen im Rahmen dessen, was die letzten Umfragen signalisierten. Solange es die Grünen und die Linke mit ihrem Wählerpotenzial im Osten gibt, kann die SPD nicht stärkste Partei im Bund werden. In 4 Jahren kann dies aber schon anders aussehen. Die deutsche Parteienlandschaft ist in Bewegung.

Viel spricht dafür, dass es nun zu einer Großen Koalition der CDU/CSU mit der SPD kommen wird. Aber die älteste deutsche Partei muss den Schock der erneuten Wahlniederlage erst einmal verdauen. Das Spitzenpersonal gab sich gegenüber der Bundeskanzlerin am Wahlabend auffällig freundlich. Wird aber auch die Basis folgen? Ein müder Wahlkampf liegt hinter uns, in dem die drängenden Zukunftsthemen nicht angesprochen wurden: Was wird aus Europa? Besitzt es genügend politisches Gewicht, um sich in der Weltpolitik zu behaupten? Geht uns Syrien mehr an, als unmittelbar vor den Wahlen ein Kontingent von 110 Flüchtlingen aufzunehmen? Wie ist der tatsächliche Stand der sogenannten Energiewende? Wie steht es um die Finanzen, die Finanzierung des gigantischen Sozialstaats? Zu den vernachlässigten Themen gehörten interessanterweise auch der Zustand der Integration und die demografische Entwicklung des Landes. Etwas zugespitzt, wird die Bundesrepublik in 25 Jahren zumindest in den großen Städten optisch das Bild der Fußball-Nationalmannschaft bieten. Die eine Hälfte Angehörige der Mehrheitsgesellschaft, die andere, wie schon heute zu sehen: Deutsch-Türken, Kinder von Einwanderern aus den Balkan-Staaten, aus Russland und – wenn die Zeichen der Zeit nicht trügen – zunehmend aus dem nordafrikanischen Raum.

SPD bleibt bei türkischen Einwanderern vorne – aber längst nicht mehr so deutlich

Nun könnte man aus der Abwesenheit dieses Themas im Wahlkampf schließen, dass der Zustand der Integration gut ist, dass sich Deutschland allmählich daran gewöhnt hat, ein Einwanderungsland zu sein, wie jüngste Umfragen signalisieren. Aber es ist wohl eher zu befürchten, dass die Deutschen bei der Diskussion und Behandlung dieses Problems es vorziehen, den Kopf in den Sand zu stecken und entsprechend haben sich die Parteien im gerade zu Ende gegangenen Wahlkampf verhalten. Bei mehr als 60 Millionen Wahlberechtigten sind die Stimmen der neuen Minderheiten noch, die Betonung liegt auf noch, nicht entscheidend. Aber es war kurzsichtig, einen Wahlkampf mit weitgehend nationalen Themen zu führen.

Wie schon bisher haben die rund 700 000 wahlberechtigten Deutsch-Türken mehrheitlich ihr Kreuzchen bei der SPD gemacht. Aber die Tendenz ist fallend und Thilo Sarrazins ungeliebtes Buch nicht die alleinige Erklärung. Wenn der Eindruck nicht täuscht, fehlt den Deutsch-Türken die Vaterfigur, die Helmut Schmidt für sie war. Bei der Stimmabgabe zugunsten der SPD geht uns mittlerweile die Leidenschaft ab, sagte mir ein deutsch-türkischer Gesprächspartner stellvertretend für viele. Aber auch das Fortkommen in der deutschen Gesellschaft spielte bei der Wahlentscheidung eine Rolle. Wer am Sonntag die Grünen oder die CDU gewählt hat, wollte damit zum Ausdruck bringen, dass er zu den wirtschaftlich Erfolgreichen im Lande gehört.

Somit ist am Ende noch einmal ein Wahlergebnis der alten Bundesrepublik zustande gekommen, in dem die Botschaft nicht enthalten war, dass etwa 6 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund wahlberechtigt waren. Gewiss haben ihre Stimmen mit dazu beigetragen, dass einige junge deutsch-türkische Frauen und Männer den Sprung ins Parlament geschafft haben. Aber abgebildet wird das tatsächliche heutige Deutschland in diesem Parlament mit über 600 Köpfen noch nicht. Schon in vier Jahren wird dies anders sein, wenn das neue Staatsbürgerschaftsrecht erstmals greift, das unter Rot-Grün eingeführt wurde. Vor allem Merkels Partei hat somit eine Gnadenfrist, um die Realität des Landes zu begreifen.