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Politik

Buschkowskysierung der Politik

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Seit 14 Jahren geht unsere Autorin brav und gewissenhaft zur Wahl und trägt so zur demokratischen Willensbildung in Deutschland bei. Allerdings scheinen die Parteien auf die Meinung von Menschen wie ihr nicht wirklich Wert zu legen. (Foto: rtr)

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SPD-Bezirksbürgermeister Buschkowsky sorgte mit seinem „Enthüllungsbuch“ nach bewährter Sarrazin-Rezeptur für Aufruhr.
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Zwei Kreuze, eine Entscheidung! Eine wichtige Entscheidung, die über das Schicksal Deutschlands bestimmt und unmittelbare Auswirkungen auf unsere Zukunft hat. Unsere Stimme entscheidet nicht nur, ob Frau Merkel für weitere vier Jahre im Amt bleibt oder Herrn Steinbrück die Ehre zuteil wird, künftig das Amt des Bundeskanzlers zu bekleiden, sondern entscheidet auch darüber, mit welchen politischen Maßnahmen, die zum Wohle der Allgemeinheit dienen sollen, Deutschland regiert wird.

Am 22. September ist es soweit: Die wahlberechtigten Bürger haben erneut die Qual der Wahl vor sich. Unter anderem meine Person, die ich nun seit 14 Jahren meine „demokratische Pflicht“ erfülle, indem ich zwei Kreuzchen setze und den Wahlschein in die „Urne“ werfe, in dem Glauben, die Partei gewählt zu haben, die mit meinen Interessen konform geht und diese entsprechend gewissenhaft vertritt. So viel zu dem, inwieweit meine Stimme etwas zählt…

Ja, man hört es heraus, auch bei mir ist sie angekommen die Politikverdrossenheit, die in den letzten Jahren kursiert hat. Es sind genau elf Tage bis zu den Wahlen und ich habe nicht die geringste Ahnung, wem ich meine „so überaus geschätzte“ Stimme geben soll. Fünf große Parteien, die es in den letzten Jahren nicht geschafft haben mich von sich und ihrer Politik zu überzeugen. Die Linke und die Grünen bisher sowieso nicht.

Vielleicht liegt es daran, dass sich in den vergangenen Jahren zu viele Dinge ereignet haben, in denen die Politiker und die Parteien, auf die ich gesetzt hatte, mich enttäuscht haben. Ich kann mich erinnern, wie nicht etwa Holger Apfel von der NPD, sondern der frühere Berliner SPD-Senator Thilo Sarrazin (SPD) mit einem vor rassistischen Äußerungen nur so strotzenden Buch eine heftige Integrationsdebatte entfachte und Bundeskanzlerin Merkel (CDU) erklärte, dass Multikulti tot sei.

Buschkowsky ist noch im Amt, Wulff nicht mehr

Dazu kam noch ein SPD-Bezirksbürgermeister Buschkowsky, der mit seinem „Enthüllungsbuch“ nach bewährter Sarrazin-Rezeptur ebenfalls für Aufruhr sorgte. Selbst eine so selbstverständlichen Äußerung wie „auch der Islam gehört mittlerweile zu Deutschland“ brachte Ex-Präsident Christian Wulff in die Kritik, er stand damit ziemlich alleine da und erhielt für seine Worte keinerlei Rückendeckung. Böse Zungen behaupten, diese Position hätte auch bei seiner späteren Demontage eine Rolle gespielt.

Ganz im Gegenteil schmälerte sein Nachfolger, Präsident Gauck, auch noch die Kraft dieser Worte, indem er beteuerte, dass lediglich die in Deutschland lebenden Muslime zu Deutschland gehören würden. Und das sollen die Betreffenden dann wohl noch als generöse Geste betrachten – und als Versicherung, man wolle die Muslime doch nicht gänzlich vor den Kopf stoßen, sind dies doch ca. 2 Millionen mit deutscher Staatsbürgerschaft und damit potenzielle Wählerstimmen…

Als Aygül Özkan (CDU) nach ihrem Amtsantritt im Sinne des Neutralitätsgesetzes forderte, die Anbringung von Kruzifixen in Schulen zu beenden, wurde sie aus den eigenen Reihen teils diplomatisch, teils rüde in ihre Schranken verwiesen, während jungen muslimischen Frauen aufgrund ihres Kopftuches manche Karrieremöglichkeiten, insbesondere im Staatsdienst und auf diesem Wege das Grundrecht auf Religionsfreiheit verwehrt bleibt. Es wird mit zweierlei Maß gemessen! Genau wie bei der doppelten Staatsbürgerschaft, die zur Wahlzeit gerne thematisiert wird und in der Umsetzung scheitert.

Warum im Vorfeld der Wahlen in letzter Zeit ausschließlich die CDU mit dem Begriff „Ehrlichkeit“ in Verbindung gebracht wird, ist mir allerdings ein Rätsel: Eine Kanzlerin, die zu konkreten Themen keine Stellung bezieht und sich vor einer klaren Aussage drückt, wirkt weder sonderlich resolut noch vertrauenserweckend. Vor allem aber nicht wie ein Quell der Ehrlichkeit – und das selbst, wenn man ihre kompletten Fehlbesetzungen von Friedrich über de Maizière, zu Guttenberg oder Schavan mal außer Acht lässt, hinter welchen sie bekanntlich lange Zeit gestanden hatte.

Beliebig austauschbare Worthülsen

Ebenso wenig vertrauenswürdig ist jedoch eine SPD, die nicht in der Lage ist, sich von Parteimitgliedern wie Sarrazin und Buschkowsky zu trennen und somit offensichtlich die Botschaft transportiert, deren Ansichten hätten in einer demokratischen Partei ihren Platz. Aber auch eine FDP macht sich unglaubwürdig, die sich kurz von den Wahlen für die doppelte Staatsbürgerschaft ausspricht, wissend, dass ihre Koalitionspartner diese strikt ablehnen.

Während bei den letzten Wahlen Migranten und Muslime Hochkonjunktur im Rahmen der Wahlkampagne hatten und Integration relativ großgeschrieben wurde, findet man in den Wahlprogrammen der Parteien diesmal fast identische und relativ oberflächliche Aussagen zu den im Wesentlichen gleichen Themen, während die NSU-Morde, Rassismus und Diskriminierung, Bildungspolitik, Einwanderungspolitik, der Syrienkonflikt, die Eurokrise sowie Integrationspolitik nicht konkret behandelt werden.

Zu diesen Themen kann man sich ja wieder äußern, wenn man die Wahlen für sich entschieden hat, vorher wirbt man lieber mit Steuererleichterungen! Oder um es mit den Worten von Goethes Faust zu sagen: Die Botschaft hör‘ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube!

Autoreninfo: Aliye Yılmaz, wohnhaft in Gießen, ist Studentin im Fachbereich Wirtschaft an der THM.