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Panorama

Gezi-Proteste: Lebenslange Haftstrafe gegen Çarşı-Mitglieder beantragt

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Gegen 35 Mitglieder des Beşiktaş-Fanclubs Çarşı beginnt heute der Prozess im Zusammenhang mit den Protesten im Gezi-Park im Juni 2013. Ihnen wird unter anderem die Beteiligung an einem Putschversuch gegen die Regierung vorgeworfen.

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Eine Gruppe von Çarşı-Anhängern demonstriert vor dem Istanbuler Gerichtgebäude.
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Von Demonstrationen begleitet begann am Dienstag der Prozess gegen 35 Teilnehmer der Gezi-Park-Proteste vom Juni 2013. Unter ihnen befinden sich mehrere Mitglieder von Çarşı, einem Fanklub des mehrfachen türkischen Fußballmeisters Beşiktaş Istanbul.

Ein Gericht in der Bosporusmetropole hat kürzlich eine Anklage gegen 35 Personen zugelassen, die darauf lautet, diese hätten versucht, die führende Adalet ve Kalkınma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung; AKP) zu stürzen. Die Anklage strebt für die 35 Angeklagten eine verschärfte lebenslängliche Freiheitsstrafe an. Weitere Anklagepunkte lauten auf „Mitgliedschaft in einer bewaffneten Gruppe“, „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“, „illegale Versammlung“ und „unerlaubten Waffenbesitz“.

Einige der Angeklagten wurden im Juni des Vorjahres festgenommen und bei laufendem Verfahren auf freien Fuß gesetzt. Unter den Angeklagten sind die Çarşı-Anführer Cem Yakışkan, Erol Özdil und Halil İbrahim Erol. Die Çarşı-Gruppe gehörte zu den aktivsten Elementen im Rahmen der Protestbewegung. Die Fans des Klubs und andere Demonstranten versammelten sich am Eingang des Gerichtshofes von Çağlayan, um den Angeklagten ihre Solidarität auszudrücken.

Çarşı zeigt sich auf Webseite unbeeindruckt

Die anfänglich friedlichen Proteste gegen den Bau der Nachbildung einer osmanischen Militärkaserne auf dem Gelände des Gezi-Parks am Taksimplatz in Istanbul arteten in landesweite gewalttätige Proteste aus, nachdem die Polizei mit großer Härte gegen die Protestierenden vorgegangen war. Mit Fortdauer der Zeit wurde aus dem Protest gegen die Baupläne eine Revolte gegen den damaligen Premierminister Recep Tayyip Erdoğan und dessen vermeintliche oder tatsächliche autoritäre Tendenzen nach zehn Jahren an der Regierung.

Çarşı hat in einer Erklärung auf der Webseite des Fanklubs auf die Vorwürfe reagiert, die im Zuge des Strafverfahrens gegen die Vereinigung lanciert worden waren. Dabei warf man der Regierung ausufernde Polizeigewalt und Verwicklung in Korruption und Bestechung vor. „Wir sind froh, dass man uns nicht des Erstickens von Kindern, Jugendlichen und älteren Menschen mit Tränengas und deren tage- und nächtelanger Besprühung mit Selbigem anklagt; oder des Totschlagens einiger von ihnen; oder des Diebstahls und der Verwicklung in Korruption“, heißt es in der Erklärung.

Im Zuge der Gezi-Proteste wurden mehrere Menschen getötet und tausende verletzt.

HRW: Verhalten der Gezi-Demonstranten rechtfertigt die Anklagevorwürfe nicht

Die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ veröffentlichte am Dienstag eine Erklärung, in der es hieß, die „Strafverfolgung von 35 Fußballfans auf der Basis von Putschanklagen ist ein offenkundiger Missbrauch des Systems der Strafjustiz“. Die Beweise, die von der Anklagebehörde vorgelegt werden, ließen, so HRW, keine Tatsachenbehauptungen erkennen, die auf einen Versuch, die Regierung zu stürzen oder andere der angeklagten Tatbestände wie „Bandenkriminalität“ oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte erkennen.

Es hätte nie zu einer Anklage kommen dürfen, meint Emma Sinclair-Webb, die Türkei-Forschungsbeauftragte der HRW. Die Staatsanwaltschaft solle deshalb auf Freispruch plädieren.

„Es ist alarmierend, zu sehen, wie Präsident Erdoğan die Gezi-Proteste als Putschversuch wertet und die Staatsanwaltschaft diese Wertung als Basis für eine Strafanklage übernimmt“, so Sinclair-Webb. „Dies offenbart eine Menge über den Druck, den die Regierung auf das Justizsystem in der Türkei ausübt.“

Der Prozess gegen die Çarşı-Anhänger ist nur eines unter hunderten Verfahren gegen mehrere tausend Teilnehmer am Protest gegen die Regierung im Zuge der Gezi-Ereignisse. Einige Verfahren hätten bisher mit einem Freispruch geendet, andere laufen noch. Einige der Angeklagten, deren Verfahren noch nicht abgeschlossen sind, saßen bis zu zehn Monate in Haft, bevor sie auf Kaution freigelassen wurden.