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Kolumnen

Çay, Ayran oder sogar Rakı?

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Mit einer Bemerkung im Rahmen eines Symposiums hat Premierminister Erdoğan eine Debatte zum Thema „Was ist das Nationalgetränk der Türkei?“ ausgelöst. Mögliche Antworten gibt es viele. Brauchen wir aber überhaupt eine? (Foto: cihan)

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Çay, Ayran oder sogar Rakı?
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Was ist das Nationalgetränk der Türken? Ist es Çay, das heißt Tee, oder Ayran, eine Art verflüssigter Joghurt? Oder sogar Rakı, ein alkoholisches Getränk, genauer gesagt ein Anisschnaps mit hohem Alkoholgehalt? Oder Bier? Welches Getränk wird landesweit am meisten getrunken, womit identifiziert sich die Nation am stärksten und ist diese Frage überhaupt berechtigt?

Losgetreten hat die Debatte wieder mal Premierminister Recep Tayyip Erdoğan. Wer denn sonst, möchte man fast sagen! Der Mann versteht es einfach, Debatten zu entfachen, zu polarisieren, egal ob in Köln mit einer Rede zur Integration oder in der Türkei mit einer Bemerkung über das türkische Nationalgetränk.

Erdoğan: Unser Nationalgetränk ist Ayran

Und so fing es an: An einem Symposium der Organisation Yeşilay (zu Deutsch: Grüner Mond), der sich dem Kampf gegen gesundheitsschädliche und abhängig machende Substanzen wie Tabak, Alkohol oder Drogen auf die Fahnen geschrieben hat, nahm auch Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan teil.

Dort beklagte er, dass zur Zeit des Einparteiensystems in der Türkei (also in der Zeit vor 1950) der Konsum von Alkohol gefördert wurde und sagte in einem Nebensatz: „Das Schlimme war: Zu jener Zeit wurde in Büchern Bier als das Nationalgetränk der Türkei vorgestellt. Dabei ist unser Nationalgetränk der Ayran.“

Und schon ging die Debatte los. Leute aus dem Schwarzmeergebiet, wo traditionell Tee angebaut wird, widersprachen Erdoğan: „Nein, unser Nationalgetränk ist Tee.“ Als Kompromiss äußerte sich ein Minister aus dem Kabinett Erdoğan, unser Nationalgetränk sei „Çayran“, wobei er die Wörter für Ayran und Tee in einer neuen Wortschöpfung zusammensetzt.

Einflüsse der nationalen Mythen größer als angenommen

Wieder ein anderer, ein ehemaliger Rechtsaußenpolitiker, meinte, das alles stimme nicht, unser Nationalgetränk sei Kımız, oder auf deutscher Schreibweise Kumys, eine Art vergorener Stutenmilch. Es ist heute noch so, dass bei Veranstaltungen der rechtsgerichteten MHP der Vorsitzende Kumys trinkt, in Anspielung auf die Herkunft der Türken aus den Steppen Mittelasiens.

Obwohl selbst den meisten Menschen in der Türkei der Begriff Kumys ein Fremdwort ist und kaum einer den Geschmack davon überhaupt erkennen würde, wird diese Tradition des Kumys-Trinkens in diesen Kreisen beibehalten – ähnlich wie Met als „Germanengetränk“ in deutschnationalen Kreisen konsumiert wird. Erzählungen aus den Schulbüchern oder Überlieferungen über die nationale Herkunft und nationale Mythen haben doch einen größeren Einfluss auf das Verhalten als man gemeinhin annimmt.

Wie gesagt, die Vorschläge häuften sich. Aber was trifft nun zu? Was ist nun das türkische Nationalgetränk? Wer hat Recht?

Zunächst sei angemerkt: Es ist eine gute Debatte, die Erdoğan angestoßen hat. Mag das Thema vielleicht auch ein bisschen albern klingen, ist es doch immer noch eine bessere Debatte als die politisch vergifteten, in Extremen geführte Diskussion im Zusammenhang mit den Friedensbemühungen im Kurdenkonflikt.

Wo Erdoğan Recht hat und wo nicht

Aber was den Inhalt der Aussage Erdoğans angeht, so meine ich, dass er nur zur Hälfte Recht hat. Und zwar insofern, als er sich beklagt, dass zur Zeit der Einparteiensystems in der Türkei das Bier als das Nationalgetränk der Türkei vorgestellt wurde. Ähnliches gilt für Rakı. Er hat aber Unrecht, wenn er heute an die Stelle von Bier oder Rakı den Ayran als das Nationalgetränk der Türken setzen will.

Er ersetzt einen Fehler durch einen anderen. Weil er auf eine falsche Frage antwortet. Weil er auf die Frage antwortet, was das Nationalgetränk der Türkei oder der Türken wäre. So etwas gibt es nämlich nicht. Ja, es ist richtig, in der Türkei wird viel Ayran getrunken, was auch sehr gesund ist. Auch Çay wird viel getrunken, welcher an die Stelle der früher viel getrunkenen Kaffees getreten ist.

Unsere Vorväter haben den Europäern den Kaffee hinterlassen, sozusagen als eine kleine Geste der Entschuldigung für die Belagerung Wiens (1683). Aber was alkoholische Getränke angeht, da gibt es Probleme. Ein Teil der Bevölkerung, sogar ein Großteil davon trinkt aus religiösen Gründen gar keinen Alkohol. Ein anderer Teil trinkt hingegen durchaus Alkohol, besonders im europäischen Teil der Türkei sowie in den Großstädten und Küstenregionen.

Frage nach Nationalgetränken ist eine falsche Frage

Nun, es war ein Fehler, Rakı als das Nationalgetränk der Türkei vorzustellen, den ein Großteil der Bevölkerung nicht trinkt. Rakı als Nationalgetränk zu erklären, stößt diesen Teil ab, tut so, als seien diese Menschen nicht da oder zählten einfach nichts. Ebenso könnte aber die Erklärung von Ayran oder Çay zum Nationalgetränk der Türkei von einem Teil der Bevölkerung als diskriminierend empfunden werden.

Ferner muss man sehen: In Deutschland wird traditionell ähnlich viel Bier getrunken wie in mediterranen Ländern wie Frankreich oder Italien Wein. Die Erklärung von Bier oder Wein zum Nationalgetränk würde auch den muslimischen Migranten Bauchschmerzen bzw. seelische Schmerzen bereiten und ihr Gefühl der Zugehörigkeit zur hiesigen Gesellschaft beeinträchtigen.

Muss man denn überhaupt irgendein Getränk zum Nationalgetränk erklären? Ich meine: Nein.