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Politik

CHP: Eher Lumpenproletariat als Sozialdemokratie!

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Der Einsatz für uneingeschränkten Alkoholverkauf und die Pflege ideologischer Fisimatenten wie Antiamerikanismus scheinen der türkischen Linken wichtiger zu sein als der Einsatz für die wahren Sorgen der kleinen Leute. (Foto: aa)

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CHP: Eher Lumpenproletariat als Sozialdemokratie!
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Zwölf Stunden lang alles tun zu dürfen, ohne dafür vor dem Gesetz Rechenschaft ablegen zu müssen: Dies ist die düstere Zukunftsvision des aktuellen Kinofilms „The Purge – Die Säuberung” von Drehbuchautor James de Monaco. Während dieser Film sowohl von den Produzenten selbst als auch von Cineasten in das Genre Thriller/Horror eingeordnet wird, konnte man in den letzten Tagen, wenn man die Berichterstattung des türkische TV-Senders „Halk-TV“ verfolgt hat, den Verdacht nicht loswerden, dass diese düstere mögliche Zukunftsvision von einigen jetzt schon als Realität betrachtet wird. Wie sonst kann man allen Ernstes eine Abstimmung darüber, „ob man sich als Polizist verkleidet unter die Demonstranten mischen soll”, erklären? Es sind Szenen, welche die klägliche Situation des politischen Lagers links der Mitte in der Türkei schonungslos offenbaren.

Keine vorzeigbare sozialdemokratische Opposition

Dem linken Lager ist es leider bis jetzt nicht gelungen, eine vorzeigbare und regierungsfähige sozialdemokratische Opposition aus ihren Reihen zu formieren. Weniger eine fehlende Anzahl an sozialdemokratisch denkenden Menschen, sondern vielmehr mangelnde Sensibilität und Empathiefähigkeit der führenden Personen dieses Spektrums gegenüber den Bürgern ist in maßgeblicher Weise für die Erfolgslosigkeit der Linken verantwortlich.

Aus einer Parallelwelt heraus agierend und von oben herab ist die Sicht auf die wahren Sorgen und Nöte der kleinen Bürger sehr eingeschränkt. Volksparteien brauchen eine solide Basis und ein starkes Profil. Das linke politische Spektrum, das außer der sozialdemokratischen noch zahlreiche andere Strömungen kennt, ist sich nur in einem Punkt einig: dem „Linksnationalismus“. Fehlt es an einer seriösen linksdemokratischen Bewegung, wird der Mangel durch Extremisten kompensiert. Ein aktuelles Beispiel für dieses Szenario ist die Unterwanderung der Gezi-Proteste durch Linksextremisten.

Der renommierte Linksdemokrat Prof. Halil Berktay brachte seine Verbitterung über die gewalttätigen linksextremen Provokateure in Taksim mit folgenden Worten zum Ausdruck: „Das Schmerzhafte ist jedoch, dass, solange die Linke in der Türkei es nicht lernt, eine ehrliche, ehrenhafte demokratische Opposition zu werden, sie weder die Regierung noch die Gesellschaft wird demokratisieren können”.

Radikalisierung der CHP

Die linksextremen Parteien, die bei den Wahlen 2011 mit einen Stimmenanteil von unter 0,5 % keine erhebliche Rolle gespielt haben, sind nun bei öffentlichen Auftritten und Protesten umso stärker präsent. Mit ihren Organisationsflaggen und gewaltbereiten Aktionen versuchen sie, sehr zum Ärger der Linksdemokraten, die Proteste für ihre Interessen zu vereinnahmen.

Der Einfluss der Extremisten in der linken Volkspartei CHP ist seit der Übernahme des Vorsitzes durch den farblosen Kılıçdaroğlu enorm gestiegen. Während sich die CHP als Partei Atatürks früher stark von Linksextremisten abgrenzte, sind heute Abgeordnete der CHP in vielen Veranstaltungen diverser linksnationalistischer Gruppierungen wie des TGB (Bund Türkischer Jugendlicher) als Redner präsent.

Die als Ableger der linksnationalen Arbeiterpartei IP fungierende Organisation „TGB-Almanya“ erklärt auch Deutschland zur Außenfront im „Kampf gegen den Imperialismus“. Die Übergriffe auf deutsche Soldaten in der türkischen Stadt Iskenderun durch TGB-Anhänger sind Teil dieser extremistischen Strategie. Mit martialisch klingenden Schwüren werden auch mitten in Deutschland Menschen radikalisiert für einen Kampf gegen Feinde des Sozialismus.

Ignoranz gegenüber sozialen Problemen

Dabei fehlte es an sozialen Themen in der seit Jahrzehnten von Krisen gebeutelten Türkei nie: Armut, Bildungsmisere, schwach ausgeprägtes Sozialsystem, Unterdrückung bestimmter ethnischer oder sozialer Schichten, Demokratiedefizite, Menschenrechtsverletzungen usw. – Man könnte die Liste um mehrere Seiten fortsetzen, wo die Linke in der Türkei ansetzen und sich profilieren könnte. Sie tut es aber nicht!

Angesichts dieser Ignoranz grenzt der Aufschrei nach Freiheit, der sich ausgerechnet an einer Lappalie wie dem nächtlichen Verkaufsverbot von Alkohol hochzieht, an eine Verhöhnung der Bürger. An oppositioneller Rhetorik mit Begriffen wie „Diktator” oder „Wir wollen Freiheit” müssten der Glaubwürdigkeit halber konkrete Aufklärung und Forderungen folgen. Ohne die Bürger aufzuklären, welche Rechte des Bürger denn nun tatsächlich beschnitten wären, statt Politiker hartnäckig und stereotyp als „Diktator” zu bezeichnen, kann entweder als Versuch psychologischer Volksmanipulation oder als gefährliche Spaltungsambition gewertet werden. Bei aller fehlenden Empathie sollte man die eigenen Bürger doch nicht für dumm halten oder verkaufen. Wenn die Linke in der Türkei es nicht schafft, die Probleme der Bürger aufgreifen und Lösungen anzubieten, wird die bevorstehende Kommunalwahl 2014 für sie wieder zu einem Fiasko werden.

Demokratie braucht eine starke Opposition

Eine Demokratie braucht auch eine starke Opposition. Nie war diese Erkenntnis von solcher Bedeutung wie heute. Sogar die AKP, die sonst für den katastrophalen Zustand der Linken nur Spott übrig hatte, ist sich diesen Missstandes bewusst geworden. Will man nicht durch eine schwache Opposition das Feld den antidemokratischen Kräften überlassen, die in regulären Wahlen nicht einmal 1% der Stimmen einfahren können, täte man gut daran, sich selbst wachzurütteln. Die Türkei braucht eine neue, von alten ideologischen Zwängen befreite, unabhängige sozialdemokratische Bewegung.

Nur so kann die Demokratie und Pluralität in der türkischen Gesellschaft für die Zukunft gewährleistet werden. Durch internationale Medienunterstützung und gefährliche Straßenschlachten ist keine Wahl zu gewinnen, zumindest nicht in einer Demokratie.

Autoreninfo: Avni Bilgin ist 1976 geboren und in der Ruhrgebietsstadt Essen aufgewachsen. Der Unternehmer und Blog-Autor kam schon recht früh mit Migrantenarbeit in Berührung. Ehrenamtliche Funktionen in Vereinen und dem Integrationsbeirat weckten seine Leidenschaft für sozial- und migrantenpolitische Themen. Heute schreibt er regelmäßig Kommentare über aktuelle gesellschaftspolitische Ereignisse.