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Politik

Cumhuriyet erhält den Alternativen Nobelpreis

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Die regierungskritische türkische Tageszeitung wurde mit dem „Alternativen Nobelpreis“ ausgezeichnet. Sie soll damit für ihren investigativen Journalismus angesichts staatlicher Repression geehrt werden. Das Timing ist hoch aktuell: Erst gestern hat der zweite Prozess gegen ihren ehemaligen Chefredakteur Can Dündar und Hauptstadtbüroleiter Erdem Gül begonnen.

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Can Dündar und Erdem Gül
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Die regierungskritische türkische Tageszeitung Cumhuriyet erhält den diesjährigen Right Livelihood Award, auch als „Alternativer Nobelpreis“ bekannt. „Wir verleihen den Preis an die türkische Zeitung Cumhuriyet für ihren furchtlosen investigativen Journalismus. Ungeachtet der Unterdrückung, der Zensur, der Verhaftungen und der Todesdrohungen setzt sich die Zeitung für die Meinungs- und Pressefreiheit ein“, so die Begründung der Jury der Stiftung Right Livelihood Award Foundation. „Angesichts immenser persönlicher Risiken hält Cumhuriyet die Fahne der freien Meinungsäußerung in der Türkei in einer Zeit hoch, die für die Menschen dieser Nation kritisch ist.“ Man mit dem Preis ihren Einsatz für investigativen Journalismus würdigen und „ihren wichtigen Beitrag für die Pressefreiheit in ihrem Heimatland und auf der ganzen Welt in den Mittelpunkt“ stellen.

Die Preisvergabe kommt zu einem hoch aktuellen Zeitpunkt: Erst gestern hat in der Türkei in Abwesenheit von Can Dündar der Prozess gegen den ehemaligen Cumhuriyet-Chefredakteur wegen angeblicher Terrorunterstützung begonnen. Gemeinsam mit Dündar ist Cumhuriyet-Hauptstadtbüroleiter Erdem Gül angeklagt, „eine bewaffnete Terrororganisation vorsätzlich und willentlich unterstützt“ zu haben. Zum Auftakt am Mittwoch schloss das Gericht in Istanbul die Öffentlichkeit von dem Prozess aus.

„Wir werden diesen Kampf weiterführen.“

Anwalt Bülent Utku sagte, die Anklage fordere bis zu zehn Jahre Haft für seine beiden Mandanten. Dündar hatte sich im Juli ins europäische Ausland abgesetzt. Der Prozess wurde von einem Verfahren abgetrennt, bei dem Dündar und Gül im Mai wegen Geheimnisverrats zu fünf Jahren und zehn Monaten beziehungsweise fünf Jahren Haft verurteilt worden waren. Er soll am 16. November fortgesetzt werden.

Gül sagte der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch, bei dem Verfahren werde dem Journalismus der Prozess gemacht. „Berichterstattung ist zu einer Straftat geworden.“ Kritik sei in der Türkei kein Grundrecht mehr. „Denn ein Land, in dem mehr als hundert Journalisten im Gefängnis sind, bricht hier einen Rekord. Das zeigt, dass es in der Türkei keine echte Meinungs- und Pressefreiheit gibt.“ Gül sagte, er sei nicht hoffnungsvoll. „Aber wir werden diesen Kampf weiterführen.“

Grundlage für beide Prozesse ist die Veröffentlichung geheimer Dokumente in der Cumhuriyet, die türkische Waffenlieferungen an Islamisten in Syrien 2015 belegen sollten. Gegen das Hafturteil haben Dündar und Gül Berufung eingelegt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, gemeinsame Sache mit der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen gemacht zu haben, den die Regierung für den Putschversuch in der Türkei Mitte Juli verantwortlich macht.

Can Dündars Ehefrau Dilek Dündar besuchte den Prozess am Mittwoch, was direkten Angehörigen der Angeklagten trotz des Ausschlusses der Öffentlichkeit gestattet war. Anfang diesen Monats hatte die türkische Polizei Dilek Dündar an der Ausreise nach Berlin gehindert und am Flughafen in Istanbul ihren Reisepass eingezogen. Can Dündar warf der Regierung vor, seine Ehefrau zur „Geisel“ genommen zu haben.

Weitere Auszeichnungen für syrische Weißhelme und russische sowie ägyptische Menschenrechtlerinnen

Neben Cumhuriyet erhalten dieses Jahr vier weitere Preisträger den Alternativen Nobelpreis. Die als „Weißhelme“ bekannte Organisation „Syria Civil Defence“ besteht aus ungefähr 3000 Freiwilligen, die unter Einsatz des eigenen Lebens Menschen nach Bombenangriffen aus zerstörten Häusern bergen. Mehr als 60 000 Menschen sollen sie laut Angaben der Stiftung in den letzten Jahren gerettet haben. Damit seien sie ein „Rettungsanker und eine seltene Quelle der Hoffnung für die leidende Zivilbevölkerung“, begründete die Stiftung die Vergabe.

Weiterhin wurden die ägyptischen und die russischen Menschenrechtlerinnen Mozn Hassan und Swetlana Gannuschkina. Hassan dokumentiert mit ihrer 2007 gegründeten Organisation „Nazra für feministische Studien“ Menschenrechtsverletzungen in Ägypten. Ihr Fokus liegt dabei vor allem auf Gewalt gegen Frauen und sexuellen Übergriffen. Erfolgreich kämpfte sie gemeinsam mit anderen Frauenorganisationen für eine bessere rechtliche Stellung von Frauen in der ägyptischen Verfassung und eine breitere Definition sexueller Straftatbestände im ägyptischen Strafgesetzbuch. Auch Hassan, die  „in Zeiten der anhaltenden Gewalt, des Missbrauchs und der Diskriminierung für die Rechte der Frauen einsteht“, wie es in der Begründung der Jury heißt, wird von staatlicher Seite gegängelt. Erst kürzlich wurde ihr die Ausreise aus Ägypten verweigert. Ihr wird vorgeworfen, sie habe Geldmittel aus dem Ausland angenommen und bedrohe mit ihrer Arbeit die „nationale Sicherheit“.

Staatlicher Repression ist auch die vierte Preisträgerin ausgesetzt. Die Russin Swetlana Gannuschkina setzt sich seit Jahrzehnten für Migranten, Flüchtlinge und ethnische Minderheiten ein. Mit ihrer Organisation „Bürgerhilfe“ betreibt sie russlandweit 50 Büros und unterstützt Menschen, die willkürlichen Gerichtsverfahren ausgesetzt sind. Auch ihr wird vorgeworfen, Unterstützung aus dem Ausland erhalten zu haben und eine „ausländische Agentin“ zu sein.

Der über Spenden finanzierte Right Livelihood Award wird seit 1980 jährlich vergeben. Mit ihm sollen Menschen geehrt werden, die sich um die „Gestaltung einer besseren Welt“ verdient machen. Obwohl als „Alternativer Nobelpreis“ bezeichnet, gibt es keine institutionelle Verbindung zum Nobelpreis. Er entstand, nachdem die Nobelstiftung den Vorschlag des Aktivisten Jakob von Uexküll abgelehnt hatte, Nobelpreise für Menschenrechte zu stiften. „Ich glaube, dass viele Menschen mit dem Begriff Alternativer Nobelpreis eher etwas anfangen können. Es ist eine Beschreibung der Entstehung und der Geschichte des Preises und der Idee, eine Debatte über neue globale Prioritäten anzustoßen“, so Uexküll. Denn während die offiziellen Nobelpreise fast nur an alte, weiße Männer vergeben werde, gehe der Right Livelihood Award an „Menschen, die nicht im internationalen Rampenlicht stehen und nicht Teil einer globalen Elite sind, die aber einen wichtigen, positiven Einfluss auf unsere globalen Zukunft haben.“

(mit Material von dpa)