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Gesellschaft

„Danke, dass ihr hier seid!“

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Wenn man an den Kirchentag denkt, geht man nicht davon aus, auch Muslimen zu begegnen. Wie es dennoch möglich ist, im größten christlichen Event Deutschlands auf Muslime anzutreffen, zeigte der Rat muslimischer Studierender und Akademiker. (Foto: own)

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„Danke, dass ihr hier seid!“
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„Unsere Teilnahme beim Kirchentag soll nun auch Tradition werden!“, verspricht Dialogbeauftragter des Rates muslimischer Studierender & Akademiker El Hadi Khelladi am Stand des „RAMSA“ auf in einer Messehalle Hamburgs. Gleichzeitig an vier Standorten in Hamburg wurde der 34. Deutsch-Evangelische Kirchentag am 1. Mai 2013 von Bundespräsident Joachim Gauk, dem katholischen Erzbischof Dr. Werner Thissen, Bürgermeister Olaf Scholz und der Bischöfin Kirsten Fehrs eröffnet. Über 120000 Teilnehmer und 40000 Besucher täglich wurden von Hamburg begrüßt. Unter den Mitwirkenden war auch „RAMSA“ dabei.

Die Bedeutung der Teilnahme der jungen Muslime ist für RAMSA sehr groß: „Vor dem Hintergrund zuletzt veröffentlichter Studien, welche eine irrationale Angst vor dem Islam bei großen Teilen der deutschen Bevölkerung konstatieren, ist unsere Präsenz am evangelischen Kirchentag von enormer Bedeutung. Hier haben wir die Möglichkeit, uns als Gesprächspartner anzubieten und zu zeigen, dass zwischen der muslimischen und nicht-muslimischen Bevölkerung keine Berührungsängste bestehen sollten“, verdeutlicht Pressesprecher des RAMSA Ahmad Yassof.

Überwiegend positive Resonanz

Khelladi und sein Dialog-Team führten am Stand, welches in der Hamburger Messehalle im Rahmen des Kirchentags 2013 aufgestellt wurde, zahlreiche positive Gespräche.

„Insgesamt ist die Resonanz sehr groß und überwiegend positiv. Viele Kirchentagsbesucher nutzen die Möglichkeit zum Austausch und kommen mit vielfältigen Anliegen und Fragestellungen an unseren Messestand, was uns natürlich sehr freut. Die Bewunderung der Kalligraphiekunst hat viele Besucher an unserem Stand verweilen lassen und es ist uns gelungen, dadurch eine Brücke zu den Menschen aufzubauen und ins Gespräch zu kommen,“ so Yassof.

Er betont auch, dass die vielfältigen vertretenen Initiativen am Kirchentag zeigten, dass das Engagement der Menschen für die Gesellschaft aus religiösen Motiven nach wie vor sehr groß und wichtig ist und fügt ergänzend hinzu: „Kirchliche Organisationen als Träger von sozialen und karitativen Einrichtungen sind zahlreich und werden als selbstverständlich angesehen. Diese Selbstverständlichkeit der Anerkennung und Wertschätzung wünsche ich mir auch für muslimische Einrichtungen und Initiativen, denn die moderne Zeit verlangt von Religionen, dass sie der Gesellschaft einen konkreten Nutzen stiften.“ Erfreut waren die RAMSAner über die zahlreichen Möglichkeiten der Begegnung unter den Gläubigen verschiedener Religionen. Da zum Kirchentag Gläubige aus ganz Deutschland strömten, war dies eine gute Möglichkeit das Miteinander der Religionen zu proben, so wie es im Alltag eigentlich sein solle.

Kalligraphie am muslimischen Messe-Stand

Angelockt von der Möglichkeit den eigenen Namen in arabischer Schönschrift mitzunehmen, stand bei den RAMSAnern vier Tage lang eine Menschentraube.

„Ich war durchgängig damit beschäftigt, die Namen zu schreiben. Die Anfrage war so groß, dass sich eine große Schlange gebildet hat und Menschen, denen es zu lange dauerte, weg gingen oder an den anderen Tagen noch einmal vorbei schauten. Es blieb auch nicht dabei, die Namen nur auf Papier zu bringen. Als mir für kurze Momente das Papier ausging und ich meine Kollegen deswegen wegschicken musste, um mir neues zu besorgen, wollten einige der Besucher die Namen direkt auf dem Arm geschrieben habe“, erzählt die Künstlerin Sara Morkramer. Etwa 460 Namen wurden von ihr transkribiert.

„Es hat mich sehr gefreut, dass ich viele Menschen glücklich machen konnte, indem ich ihre Namen in arabischer Kalligraphie anfertigte. Kunst verbindet! Ich erreichte damit die Menschen auf einer anderen Basis und man kam dadurch hervorragend ins Gespräch, indem man respektvoll miteinander umgeht und auch Fragen geklärt werden.“

Während die junge Künstlerin kalligraphisch wirkte, konnte die Wartezeit der Standbesucher mittels dem von Dialogbeauftragten Khelladi ins Leben gerufene jüdisch-christlich-muslimische „Tabu“-Spiel überbrückt werden.

„Die Produktion der „Religious Edition“ eines modifizierten Tabu-Spiels geschah zusammen mit der ESG, der KHG und der Jüdischen Kultusgemeinde in Erlangen“, teilt der Erlanger Student Khelladi den RAMSAnern mit, um auf lokale Projektmöglichkeiten für ungezwungenen interreligiösen Austausch hinzuweisen. Mit der Pfarrerin der ESG Eva Siemoneit-Wanke, die katholische Hochschulseelsorgerin Carmen Schüßler als auch mit Hanna Bander von der jüdischen Kultusgemeinde in Erlangen, wird jedes Semester ein Begegnungsabend veranstaltet. Die freundschaftliche Verbundenheit erleichtert es dann auch, tiefsinnige Gespräche zu führen, um das gegenseitige Verständnis zu fördern.

Freude über Teilnahme von Muslimen an Kirchentag überwiegt

„Die RAMSA-Dialog-Abteilung ist bemüht, solche aufrichtigen und freundschaftlichen Begegnungen durch die muslimischen Hochschulgruppen im gesamten Bundesgebiet auch lokal umzusetzen“, so die Vision. Der Stand des RAMSA wurde auch von jungen Erwachsenen besucht. Einen Zehntklässler einer christlichen Privatschule in Eisenach interessiere es, was der Grund für die Präsenz von Muslimen überhaupt an einem Kirchentag sei, was unsere Absichten seien und ob es keinen Widerstand gebe. Provokative Bemerkungen gab es sicherlich. Aber überwogen haben dennoch Besucher, die sich gefreut haben, wenn sie die Anwesenheit von Muslimen entdeckten. Der Wille zu verstehen stand spürbar im Mittelpunkt.

„Der Kirchentag bietet die Gelegenheit sich selber und sein Ego mal außen vor zu lassen und mal nicht im Mittelpunkt des eigenen Lebens zu stehen“, weist Pfarrerin Eva Simoneit-Wanke aus Erlangen hin. Auch Politiker wie Frank-Walter Steinmeier, Fraktionsvorsitzender der SPD, waren als Besucher der Stände des interreligiösen Dialogs unterwegs.

Als RAMSAner auch von Stand zu Stand unterwegs sind, begegnen sie den unterschiedlichsten Christen. Darunter Christen, die extra aus Brasilien angereist waren, Baptisten oder Vertretern der CDU. Auch der Pastor der Baptisten in Deutschland habe das Gefühl, als wären alle Besucher mit großer Freude am Kirchentag anwesend:

„Ich habe den Eindruck, dass die Besucher offen sind, gerne hier sind, dass sie nachdenken möchten, sich auch gerne inspirieren lassen“, fasst dieser zusammen. Ergänzt wird vom Pastor, dass er auch viele Dinge von den Besuchern lerne: „Solange man sich im Anderssein respektiert, ist die Begegnung mit Muslimen sehr sehr gut möglich. Wenn mein Gegenüber Probleme damit hat, den Andersgläubigen zu respektieren, dann habe ich auch Probleme damit. Und es ist egal, von welcher Konfession oder Religion er ist.“

Es sei sehr wichtig, dass Muslime am Kirchentag vertreten sind: „Als Gesprächspartner und Herausforderer, den eigenen Glauben zu formulieren, finde ich die Anwesenheit der Muslime sehr wichtig. Ich brauche das Gespräch und ich nutze das Gespräch mit Menschen anderen Glaubens, oder auch gar keinen Glaubens. Auch für mich selbst, weil es mir hilft, den Standpunkt einzunehmen den ich habe. Ich will Worte für mein Glauben finden und merke, dass im Gespräch mit dem Anderen diese geprägt werden“ fügt Pastor der Baptisten in Deutschland hinzu.
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„Der Dialog wird gesucht“

Neben dem Evangelischen Arbeitskreis der CDU/CSU, welcher der Meinung ist, dass der interreligiöse Dialog vorangetrieben werden müsse, sprach auch die Betreuerin des Standes der Partei „Die Linke“ über „Gott und die Welt“. Monika von der Lippe, Leiterin des Bereichs Bürgerdialog Medien, Öffentlichkeitsarbeit beim Parteivorstand der Linken, sei zum ersten Mal auf dem Kirchentag und überrascht von der guten Stimmung der vielen Menschen. Auch die Anzahl dieser und besonders die lockeren, offenen und sehr interessierten Annäherungen der Besucher überraschte sie.  „Es gibt nicht nur Kritik oder Zustimmung, sondern es gibt Redebedarf. Der Dialog wird gesucht! Und das ist für uns ganz großartig, überhaupt diese Möglichkeit zu haben, mit Menschen sich länger zu unterhalten“, betont Monika von der Lippe und zeigt, dass der Dialog nicht nur von Muslimen gesucht wird. Sie unterstreicht damit die Bedeutung des Dialogs im Allgemeinen.

Am Stand der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ traf die Reporterin des RAMSA Betül Genc den RAMSA-Vizepräsidenten Kaan Orhon. Orhon arbeitet im Bundesbüro der Menschenrechts-Organisation in Göttingen. „Wir haben uns für den Kirchentag das Thema „Religionsfreiheit und religiöse Verfolgung gewählt“, bemerkt er. Er empfand den Kirchentag vor allem als sehr angenehm und menschennah. Auf seine eigene lange Erfahrung im interreligiösen Dialog zurückblickend, fördere er diesen und freue sich, dass viele muslimische Organisationen, wie z.B. der RAMSA, „…diese Verantwortung des interreligiösen Dialogs aufnehmen und sich ebenfalls in dieser Richtung engagieren.“

Die Bedeutung, dass Muslime beim Kirchentag vertreten sind, könne laut dem Vizepräsidenten des RAMSA gar nicht hoch genug eingeschätzt werden:

„Wir als Muslime können in einem historisch christlich geprägten Land nur dann als gleichberechtigte Partner angenommen werden, wenn wir aktiv am Dialog mit den christlichen Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften teilhaben. Zum Anderen liegt es in unserem ureigensten Interesse antireligiösen Bestrebungen in einer gemeinschaftlichen Front mit christlichen, jüdischen oder Andersgläubigen entgegenzutreten.“

Meinungsaustausch auf Augenhöhe statt Mission

Im Fokus der Gespräche der RAMSAner am 34. Deutsch-Evangelischen Kirchentag in Hamburg lag das Miteinander statt das Übereinander. Ein Resümee des Dialogbeauftragten Khelladi: „Der Kirchentag bot unserer neu gegründeten Dialog-Abteilung die Möglichkeit sich zu präsentieren und mit den Gläubigen vor Ort ins Gespräch zu kommen. Dabei war es uns sehr wichtig unser Anliegen klar zu machen, nämlich ein aufrichtiges, auf Mission verzichtendes, intellektuelles Gesprächs-Klima auf Augenhöhe zu schaffen.1 Neben unseren etablierten und sehr ertragreichen regionalen und internationalen Zusammenkünften mit Juden 2, ist es ebenso unser Bestreben uns nachhaltig mit studentischen Christen im Bundesgebiet und europaweit zu vernetzen. Unser Mitwirken bei der „World Student Christian Federation Europe“ (WSCF) während des Kirchentags, markierte dazu den Auftakt unseres Engagements mit der RAMSA Dialog-Abteilung. Durch die Zusammenarbeit mit christlichen Institutionen wie dem Kirchentag und der WSCF als auch mit anderen Dialog- und Bildungs-Initiativen durch Seminare 3, wollen wir für ein gutes und selbstverständliches Miteinander in der Gesellschaft werben. Ich glaube, das haben wir auf dem Kirchentag auch geschafft.“

In der Tat waren zahlreiche Besucher sehr erfreut, dass Muslime teilnahmen. Nicht selten wurde das Team für seine Arbeit von jung und alt gelobt. Als Beispiel sei die Begegnung eines Besuchers unseres Standes erwähnt. Nach einer langen Unterhaltung mit türkischem Tee und Gebäck und einem zufriedenem Lächeln verabschiedete er sich mit den Worten: „Danke, dass ihr hier seid!“