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Gesellschaft

Das Ende von Zaman: „Sie war eine Stimme der Vernunft“

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„Die Auslandstürken blicken zuversichtlich auf das Mutterland.“ Das war der Aufmacher der Zaman Almanya am 17. April 1990. 17 752 Tage später erschien sie zum letzten Mal. Nachdem ihr Mutterhaus in der Türkei zerschlagen wurde, musste auch die Deutschlandausgabe eingestellt werden. Am gestrigen Mittwoch verabschiedete sich die Zeitung von ihren zuletzt knapp 10 000 deutschtürkischen Lesern mit dem Aufmacher: „Wir bedanken uns aus tiefstem Herzen bei der Zaman-Familie“. Grund für die Einstellung der einst auflagenstärksten türkischen Zeitung ist laut eigener Angabe die Hexenjagd der AKP-Regierung auf die Hizmet-Bewegung um den muslimischen Gelehrten Fethullah Gülen, aus der die Zaman 1986 hervorgegangen war: „Leider gehen die Angriffe gegen tausende Ehrenamtliche der Hizmet-Bewegung soweit, dass es mittlerweile zu Übergriffen kommt. Unter diesen gravierenden Bedingungen müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass wir die Printausgabe der Zeitung nicht mehr herausbringen können“, hieß es auf der ersten Seite.

„Ich glaube nicht, dass sich eine mit hartem und ehrlichem Fleiß in 26 Jahren auf die Beine gestellte Arbeit ohne weiteres in Nichts auflösen wird. Ereignisse, die für uns als Endpunkt erscheinen, können Türen zu neuen, guten Projekten öffnen. Wir haben weder etwas gestohlen, noch haben wir daran gedacht, anderen Menschen etwas Schlechtes anzutun. Wir haben uns nicht am Eigentum des Volkes vergriffen. Wir haben kein Unrecht begangen, um uns zu profilieren! Warum sollten wir dann traurig sein?“, bringt der langjährige Chefredakteur Dursun Çelik in einer Kolumne sein Bedauern zur Sprache.

Nicht immer unumstritten, stand Zaman seit ihren ersten Tagen für die Westorientierung der Türkei und für die Vereinbarkeit des Islam mit demokratischen Grundwerten. Ihr gelang es, eine bildungsbewusste türkisch-muslimische Mittelschicht in Deutschland für sich zu gewinnen. Für türkische Medien nicht gerade selbstverständlich legte sie großen Wert auf Sachlichkeit in der Berichterstattung und Meinungsvielfalt in den Kommentaren. Sie vermied stets Populismus und das Verharren in der Opferrolle, um Leser an sich zu binden.

Die Schließung von Zaman Almanya, die in den vergangenen drei Jahren sehr stark an Abonnenten und Anzeigekunden eingebüßt hatte, hat eine Vorgeschichte in der Türkei. Die AKP-Regierung hat, nachdem Ende 2013 Korruptionsermittlungen gegen das Umfeld des damaligen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan öffentlich wurden, eine Hexenjagd gegen die Hizmet-Bewegung eingeleitet. Im Rahmen dieser Operation wurden Einrichtungen der Bewegung entweder geschlossen oder von der Regierung unter fadenscheinigen Vorwänden vereinnahmt. Davon war auch das Zaman-Medienhaus in Istanbul betroffen. Am 4.März 2016 wurde die Redaktionszentrale gestürmt und die Zeitung unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt. Zudem wurden dutzende Redakteure und namhafte Kolumnisten verhaftet. Ihnen wird Terrorismus oder Terrorpropaganda vorgeworfen. Ankara-Korrespondent Mustafa Ünal sitzt seit über zwei Monaten in Haft. Andere, wie der langjährige Chefredakteur Ekrem Dumanlı sind im Exil. Nachdem die Zeitung unter Zwangsverwaltung gestellt wurde, verlor sie sehr schnell an Auflage, bis sie dann nach dem gescheiterten Putsch vom 15. Juli 2016 ganz eingestellt wurde. In Deutschland hatte die Zeitung ihren Firmensitz in Offenbach, die Redaktion wurde 2011 nach Berlin verlegt.

Einen Rückblick auf die 30-jährige Vergangenheit nahm auch Mahmut Çebi, einer von wenigen Journalisten, die von der ersten Stunde an dabei waren, vor. Nachdem er in der Türkei als Chefredakteur tätig war, kam er 2001 nach Deutschland und leitete zehn Jahre lang Zaman Deutschland. In seiner letzten Kolumne schreibt er: „Vergangene Woche habe ich mich von meinem Vater verabschieden müssen. Er ist aus dem Diesseits geschieden und ins Jenseits übergegangen. Diese Woche verabschiede ich mich von Zaman, mit der ich groß geworden bin. Auch sie beendet ihr Dasein in der materiellen Welt und geht in die virtuelle über.“ Sowohl Çebi als auch Çelik gaben sich hoffnungsvoll, dass die Zeitung unter anderen Rahmenbedingungen ihre Arbeit wieder aufnehmen könnte.

Eine der wenigen Journalistinnen, die bei Zaman in den Beruf eingestiegen sind, ist die Soziologin Hilal Akdeniz. Sie beschreibt in ihrem Blog, wie sie zu Zaman gekommen ist: „Meine Bekanntschaft mit der Zaman beruhte auf einem langjährigen Abo. Wie viele andere war ich von der Publikationsphilosophie überzeugt – Nachrichten, die unverfälscht, familienfreundlich und objektiv sind. Mehr oder weniger durch Zufall ergab sich unsere Exkursion zur Zeitung für das Seminar ‚Soziologie und Beruf‘ und quasi wie im Film bekam ich ein Jobangebot vom damaligen Chefredakteur Mahmut Çebi. Das fühlte sich damals wie ein 6er im Lotto an.“

Sie fand sich in einem Team von türkisch-stämmigen Journalisten, die alle männlich und in der Türkei sozialisiert waren, wieder. Der Lebensmittelpunkt dieser Männer war ihr Beruf und ihre Zeitung„Wie schwer tat sich manch einer, nun plötzlich mit einer Kollegin am Konferenztisch der Redaktion zu sitzen. Eine, die kein einwandfreies Türkisch sprach, zwar sehr türkisch aussah aber so ganz und gar deutsch war… Wie schwer tat sich diese junge Frau, die zu Hause mittlerweile ein Kleinkind und einen Säugling hatte und auf Biegen und Brechen allen beweisen wollte, dass aus ihr eine gute, ja sogar sehr gute Journalistin werden kann. Ganz unerwartet wurde alles gut. Man kann es sich kaum vorstellen, aber selbst die Alpha-Männchen nahmen mich in ihr Rudel auf. Ich erfuhr im Team Respekt und, wenn auch nicht immer offenherzig, Anerkennung.“

Zusammen mit Çebi, Çelik und Akdeniz sind in den vergangenen drei Jahren knapp 200 Menschen arbeitslos geworden, von denen die Hälfte Journalisten waren. Ein weiterer von ihnen ist Ismail Kul. Er hat über 15 Jahre für Zaman zu arbeiten, bevor er im Mai das Unternehmen verlassen musste: „Heute war keine Zaman in meinem Briefkasten. Da wird man schon melancholisch. Mit dem Ende von Zaman entsteht auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt eine Lücke, die ohne weiteres nicht zu schließen sein wird. Zaman hat versucht, stets nach journalistischen Maßstäben gearbeitet. Sei war eine Stimme der Vernunft. Wie wertvoll das ist, versteht man erst, wenn man sich die Berichterstattung der anderen türkischen Tageszeitungen anschaut.“

Die World Media Group AG verliert mit Zaman ihre letzte türkischsprachige Publikation.