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Politik

Das englische Visum: Eine unwürdige Behandlung

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Auch ein langjähriger Aufenthalt, eine Tätigkeit als Lehrender an einer renommierten Universität und eine offizielle Einladung des türkischen Kulturministeriums helfen nichts: Es gibt kein Visum für England ohne entwürdigende Prozeduren. (Foto: rtr)

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Das englische Visum: Eine unwürdige Behandlung
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Man kann nun nicht gerade behaupten, dass ich es lieben würde, zu reisen, aber ich bin in den letzten Jahren dennoch viel in der Welt herumgekommen, manchmal aus zwingenden Gründen, manchmal, um den freundlichen Einladungen meiner Freunde Folge zu leisten.

Heute werde ich in Malatya sein. Vor mir stehen noch weitere Reisen, etwa nach Ordu, Giresun, Erzurum oder Konya.

Sicherlich gilt: „Einer Einladung Folge zu leisten ist eine Sunna (fromme Tradition des Propheten).“ Dennoch werde ich – schweren Herzens, aber konsequenterweise – an der Londoner Buchmesse, die in der Zeit vom 15.-17.4. stattfinden wird, nicht teilnehmen. Der Grund dafür ist die Visumspraxis, mit der nahezu jeder von uns, wenn er nach England reisen will, unfreiwillig Bekanntschaft macht – schroff und mit Fragen, die bezüglich der Vertraulichkeiten des Privatlebens den nötigen Respekt vermissen lassen…

Ja, ich verstehe natürlich: Nach dem 11. September kann man die Sensibilität der westlichen Länder, allen voran der USA, verstehen und die besonders intensive Kontrollpraxis bei den Einreisen in das Land als nachvollziehbar ansehen, aber auch dies nur bis zu einem bestimmten Grade. Vor zwei Jahren wollte man, als eine meiner Studentinnen, deren Ehepartner gerade in England seine Doktorarbeit schrieb, ein Visum beantragt hatte, um diesen zu besuchen, sogar den privaten Briefverkehr einsehen, um entscheiden zu können, ob die Ehe echt ist oder nicht. Das Recht auf Privat- und Intimsphäre gilt offenbar in Bezug auf die Visumspraxis Englands nicht als schützenswert…

Nun bin ich in diesem Land sicher kein Unbekannter. Ich habe von 1964-1969 in London gelebt. Im türkischsprachigen Dienst der BBC habe ich damals als „Programmassistent“ gearbeitet und am University College der Universität London meinen Abschluss gemacht. Weil ich dort länger als vier Jahre blieb, wurde mir vom Innenministerium eine unbefristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erteilt. Wer also möchte, der kann sich die diesbezüglichen Informationen auch vom entsprechenden Innenministerium, von der BBC oder vom Senate House holen…

Hinzu kommt, dass mich das Kultur- und Tourismusministerium der türkischen Regierung offiziell zur Teilnahme an der Londoner Buchmesse eingeladen hatte. Deshalb hatte ich schon vor etwa zwei Jahren ein Visum für England beantragt. Daraufhin wurde ich einer Behandlung ausgesetzt, als wäre ich ein potenzieller Terrorist – und das, obwohl ich vom Yunus-Emre-Institut, dem ich als Ratsmitglied angehöre, offiziell eingeladen wurde, den türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül zur Eröffnungsgala des Yunus-Emre-Kulturzentrums in London zu begleiten. Ich werde daher darauf verzichten, ein englisches Visum zu bekommen und der Eröffnung gar nicht beiwohnen… zumal mein gesetztes Alter von 77 Jahren wohl auch mit Blick auf Statistiken und Erkenntnisse der Geheimdienste einen nicht unwesentlichen Faktor darstellen dürfte, der eindeutig gegen mögliche Terrorismusneigungen meinerseits spräche…

Grenzen waren überschritten

Aber weder, dass ich bereits fünf Jahre in England gewohnt hatte, noch, dass ich eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitze oder dass ich bei der BBC gearbeitet habe, auch nicht, dass ich einen Abschluss an der Londoner Universität hatte oder dass ich schon ein ziemlich gealterter Mensch bin; selbst, dass ich offiziell vom türkischen Kultur- und Tourismusministerium eingeladen wurde, hatte nicht die geringste positive Auswirkung gezeigt hinsichtlich der groben und schroffen Behandlung des englischen Außenministeriums mit Blick auf die Visumsangelegenheiten. Man beharrte darauf, mich allen möglichen Fragen auszusetzen – irgendwann war für mich eine Grenze überschritten.

Meine Leser mögen mir bitte verzeihen, aber ich fühle mich gezwungen, Ihnen dies zu schreiben. Sie werden wohl nachvollziehen können, wie sehr es die Selbstachtung eines Menschen beschädigen kann, einer solchen Behandlung ausgesetzt zu werden. Außerdem gehöre ich zur Lehrerschaft der İhsan Doğramacı Bilkent Universität, die zu den renommiertesten Universitäten der Türkei zählt. Ich schreibe in dieser Zeitung (Zaman) Kolumnen und habe an die 50 Bücher verfasst. Es sieht jedenfalls so aus, als ob all dies für das englische Außenministerium keinerlei Bedeutung hat!

Es gibt immer Ausnahmen, es muss sie auch geben. Als ich erfahren hatte, dass das englische Außenministerium selbst dem türkischen Staatspräsidenten oder dem türkischen Ministerpräsidenten eine Visumspflicht auferlegt, empfand ich einen tiefen Schmerz; weil den Menschen aus der Türkei, uns, unermüdlich eine solche für die Türkische Republik beschämende Situation zugedacht wird. Als ob wir bisher in einer Kolonie leben würden.

England hat ja diesbezüglich auch eine Vorgeschichte: Mitte der 1960er-Jahre wurde den Bürgern der afrikanischen Länder, die, selbst wenn sie dem British Commonwealth of Nations angehörten und daher einen englischen Pass besaßen, in der Legislaturperiode der Labour-Regierung des Harold Wilson die Einreise nach England verwehrt.

Meine lieben Leser mögen mir vergeben, dass ich mich nun gezwungen fühlte, ihnen eine solche beklemmende Erfahrung aus meinem Privatleben mitzuteilen. Aber – um es mit den Worten Sait Faiks* zu sagen -: „Wenn ich nicht schreiben würde, wäre ich wahnsinnig geworden“…

* Ein türkischer Schriftsteller, bekannt für seine Kurzgeschichten. Lebte 1906-1954.