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Das falsche Konzept des „Kampfs der Kulturen”
Die Lewis-Huntington-These unterteilt die Menschheit willkürlich in wenige Kulturkreise mit jeweils ganz eigenen Werten. Ilija Trojanow und Ranjit Hoskoté zeigen die Fehler des Konzepts vom „Kampf der Kulturen” auf. (Foto: ap)
Das Schlagwort vom „Kampf der Kulturen” prägt seit dem Ende des Kalten Krieges die Welt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion musste ein neues Feindbild her. Der „Kampf der Kulturen” füllte die Lücke und schürte damit Konflikte. In ihrem Buch „Kampfabsage” entlarven der Bestseller-Autor Ilija Trojanow („Der Weltensammler”) und der indische Dichter und Kulturkritiker Ranjit Hoskoté anhand vieler Beispiele die Unsinnigkeit der Kulturkampfthese.
Die These vom „Clash of Civilizations” wird oft mit Huntington in Verbindung gebracht. Ursprünglich wurde diese These jedoch vom Islamwissenschaftler Bernard Lewis geprägt, bei dem sich – so Trojanow – einfühlsames Interesse im Lauf seiner Karriere in gehässige Verbitterung gegenüber den Menschen, der Religion und den Gesellschaften gewandelt habe. „Er glaubt heute, eine Art Demokratie von Oben, aufgezwungen in einer Art und Weise, die Sheriff Wyatt Earp gefallen hätte, sei die beste Lösung für die Probleme der islamischen Gesellschaft.” Diese Lösung wurde zur offiziellen Richtlinie der Regierung Bush in Afghanistan und im Irak. Die These von Lewis wurde erst später von Huntington aufgegriffen und zum Schlagwort, mit dem man den Krieg gegen den Terror rechtfertigte.
Die Lewis-Huntington-These unterteilt dabei die Menschheit willkürlich in „acht oder neun Kulturkreise” und betont die Verwerfungslinien zwischen diesen „Kulturen”, die aufgrund tiefgreifender unterschiedlicher Werte in einem Zustand des Konflikts leben würden. Trojanow und Hoskoté zeigen in ihrem Buch anhand von Beispielen und historischen Fakten humorvoll, wie Huntingtons Darstellung unzusammenhängend und in sich widersprüchlich ist. Typische westliche Errungenschaften sind laut Huntington Christentum, Demokratie, Pluralismus, Individualismus und Rechtsstaatlichkeit. Trojanow und Hoskoté stellen aber fest, „wo die philosophischen Quellen, die persönlichen Beispiele, die mythische Infrastruktur und das Grundgerüst dafür liegen – nämlich im Mittelmeerraum, in al-Andalus, im arabischen Aristotelismus und in den Gedanken, Geschichten und Manuskripten, die unbeschwert von einer Gesellschaft in die andere wechseln, ohne Rücksicht auf die angeblich absoluten Verwerfungslinien zwischen den kulturellen Blöcke zu nehmen”.
Kulturkreisthese vernachlässigt die Kraft kultureller Schmelztiegel wie etwa al-Andalus
Auch wird in „Kampfabsage” die Behauptung, das Abendland sei durch seine jüdisch-christliche Tradition geprägt, widerlegt. Trojanow und Hoskoté zeigen, dass der Ursprung der wichtigsten westlichen Werte, Technologien und kulturellen Errungenschaften im Mittelmeerraum des 9. bis. 15. Jahrhunderts zu finden seien, vor allem im muslimischen Herrschaftsgebiet al-Andalus und im arabisierten normannischen Königreich Sizilien. „Ibn Sina und Ibn Rushd”, so Trojanow, „versahen zusammen mit Aristoteles und Platon die unabhängigen Denker der Christenheit mit dem intellektuellen und moralischen Rüstzeug, sich gegen die erdrückende Orthodoxie der Kirche zu wenden; eine Befreiungsbewegung, die schließlich in die Renaissance mündete.”
Die beiden Autoren stellen aber auch klar, dass ihnen kein naives pazifistisches Ideal vorschwebe, sie behaupten nicht, dass der Zusammenfluss notwendigerweise immer ein friedlicher Prozess sei. „Wenn unterschiedliche Lebenswelten aufeinander treffen, kommt es unausweichlich zu Konflikten.” Aber es gibt darin keine Sieger und keine Besiegten, sondern nur das große Erbe der Gemeinsamkeiten.
Nach Trojanow hat die Wirklichkeit mehr mit der unterschiedlichen wirtschaftlichen und politischen Machtverteilung zu tun als mit fundamentalen kulturellen Unterschieden. Zivilisationen seien nie reine, in sich geschlossene Einheiten gewesen, sondern erstaunliche Mischformen. Historisch gesehen entwickelten sie sich durch Austausch und Synthese, durch Begegnung verschiedener Rassen, Religionen und Philosophie, so die Feststellung von Trojanow und Hoskoté. „Bei der Betrachtung von Zivilisationen und Kulturkreisen sind die Unterschiede, die die Menschen trennen, bei weitem nicht so wichtig wie das Erbe, das die Menschen über Grenzen hinweg verbindet. Haltbarer als die These vom „Kampf der Kulturen” ist die Sichtweise, dass die Fronten quer durch unsere Gesellschaften und nicht zwischen Kulturkreisen und Nationalstaaten verlaufen.” Die alte Trennung zwischen „uns” und „den Anderen” könne nur zur Grausamkeit gegen das Andere führen, zur Brutalisierung des Selbst und zur beiderseitigen Bereitschaft zur gegenseitigen Vernichtung.
Weltweit eint Extremisten der Kampf gegen das vermeintlich „Fremde” und der Wunsch nach Abschottung
Den Zusammenfluss der Kulturen betrachten Trojanow und Hoskoté heute durch die verschiedenen Kräfte der Ausgrenzung und Abschottung als gefährdet. Mit Terror und der Verweigerung des Dialogs versuchten diese Kräfte, den Zusammenfluss zu verhindern. In diesem Denken ähneln sich die christlichen Rechten, die Neokonservativen, die radikalen Islamisten und etwa auch die Hindutva-Bewegung in Indien, die den Hinduismus vor seinem „historischen Feind”, dem Islam, beschützen will. „Der Kreuzzug von US-Präsident Bush”, schreibt Trojanow, „ist gegenüber den verschiedenen Schattierungen der Vielfalt so blind wie Bin Laden. Sie sind Zwillinge des Terrors, Spiegelbilder in dem Wunsch, die kulturelle Schaffenskraft einzuschränken.”
Trojanow und Hoskoté betonen, dass es moralisch und strategisch höchste Zeit sei zu akzeptieren, dass es nur eine Regel für uns alle gebe, nämlich die Regel des gegenseitiges Mitgefühls und Verständnisses.
In ihrem Buch suchen die beiden Autoren nach Verbindungen, die manchmal untergegangen sind, „die jedoch Menschen über die so genannten Verwerfungslinien zwischen Zivilisationen und Kulturen hinweg zusammengeführt haben”, und zeigen, dass Zivilisationen miteinander verwoben sind, und eben nicht in Konflikt miteinander liegen, sondern zusammenfließen. „Deswegen”, so Trojanow, „müssen wir uns gegen all jene wehren, die uns im Namen des Unterschieds gegeneinander aufbringen und uns für die globale Kriegsmaschinerie rekrutieren wollen.”
Autoreninfo: Eren Güvercin, geboren 1980 als Sohn türkischer Eltern in Köln, arbeitet als freier Journalist für verschiedene Hörfunksender und Zeitungen. Er ist Mitinitiator der „Alternativen Islamkonferenz“. Im April erschien bei Herder sein Buch „Neo-Moslems – Porträt einer deutschen Generation“.