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Kolumnen

Das Jahr dauert in der Türkei künftig nur noch 350 Tage

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GLOSSE Es ist zum Verzweifeln. Es ist wieder der 17. Dezember, einige Zeitungen und Internetportale schreiben über die Korruptionsaffäre vom Dezember 2013.

Wir erinnern uns: Die Korruptionsaffäre von 17. und 25. Dezember gilt als die größte in der Geschichte der Türkei. Die AKP hat sie insgesamt gut überstanden, auch wenn der türkische Rechtsstaat, die Pressefreiheit und die Menschenrechte zugrunde gegangen sind. Im Parlament wurden die betroffenen Minister freigesprochen, juristisch ist die Sache geklärt. Aus den Jägern haben sie Gejagte gemacht.

Aber aus dem Gedächtnis der Öffentlichkeit ist der 17. und 25. Dezember noch nicht getilgt. Was also machen?

Umdefinieren ist eine Möglichkeit. Schon der antike Stoiker Epiktet wusste: „Nicht die Dinge verwirren die Menschen, sondern Ansichten über die Dinge.“

Und es wird umdefiniert. Die AKP-treuen Medien haben einfach aus der Korruptionsaffäre einen Putschversuch gegen die demokratisch gewählte und legitimierte Regierung gemacht. Aber manche von ihnen scheinen es zu übertreiben.

„Die Juden wollten Erdoğan loswerden“

So hat zum Beispiel der Hauptstadtkorrespondent und Kolumnist der AKP-treuen Zeitung Yeni Şafak, Abdülkadir Selvi, seine Leser heute mit einer neuen Erkenntnis beglückt. In seiner mit „Was war die Chiffre vom 17.Dezember?“ betitelten Kolumne vertritt Selvi die Ansicht, dass hinter den Ermittlungen die internationale jüdische Diaspora stehe. Er schreibt: „Nach ‚One minute‘ hat die internationale jüdische Diaspora ihr Urteil über Erdoğan gesprochen und die Paralellstruktur (gemeint ist die Hizmet-Bewegung, Anm. d. Red.) mit der Ausführung beauftragt.“

Was der gute Mann sagen will: Erdoğan hatte im Jahr 2009 beim Weltwirtschaftsforum dem Moderator mit ‚one minute‘ widersprochen und den damaligen israelischen Staatspräsidenten Shimon Peres auf Türkisch scharf angegriffen. Nach diesem Vorfall habe die internationale jüdische Diaspora beschlossen, Erdoğan loszuwerden und dazu die Hizmet-Bewegung eingesetzt. Und sie sei auf diesen Deal eingegangen. Denn: Fethullah Gülen lebe schließlich in den USA und das habe natürlich seinen Preis.

Das sind ganz klassische antisemitische Verschwörungstheorien in der Tradition der „Protokolle der Weisen von Zion“. Kann eine solche Türkei Teil der westlichen Wertegemeinschaft sein? Der EU beitreten? Sie ist auch nicht grad die Unschuld in Person, aber das steht auf einem anderen Blatt geschrieben.

Wie wäre es mit der Abschaffung der Meinungsfreiheit?

Ich hätte da andere Ideen. Ein Weg, den 17. und den 25. Dezember aus dem Gedächtnis zu löschen, wäre es, möglicherweise nach dem Vorbild George Orwells ein Ministerium für Wahrheit zu gründen und die Wahrheit des Jahres 2013 nachträglich zu korrigieren. Oder diese Zeit völlig aus dem Gedächtnis zu tilgen.

So besagt ja beispielsweise auch die These vom erfundenen Mittelalter, dass die etwa 300 Jahre zwischen 614 und 911 nicht existiert haben, dass das Fränkische Reich nach Chlodwig I. ein Produkt der Fantasie sei, dass Karl der Große entweder vor dem Jahr 614 oder nach 911 gelebt habe.

Warum soll, was im Mittelalter schon ging, heute nicht mehr gehen? Wenn 300 Jahre nicht weiter auffallen, dann wird die eine Woche vom 17. bis zum 25.12.2013 ja wohl auch noch zu tilgen sein! Dieser Weg setzt aber voraus, Meinungsfreiheit und oppositionelle Medien völlig auszuschalten.

… oder einer Kalenderreform?

Eine andere Möglichkeit wäre eine Kalenderreform. In der Türkei gab es nicht immer die heutige Zeitrechnung. Der heutige Kalender wurde erst am 26. Dezember 1925 eingeführt. Bis zu den Tanzimat-Reformen hatte im Osmanischen Reich der islamische Hidschra-Kalender das Sagen. Er beginnt anders als der Gregorianische Kalender mit der Auswanderung des Propheten Muhammad von Mekka nach Medina im Jahr 622 und richtet sich nach dem Mondjahr, das 11 Tage kürzer ist als das Sonnenjahr. Nach den Tanzimat-Reformen (1839) wurde der Rumi-Kalender eingeführt, der wiederum mit der Auswanderung des Propheten beginnt, aber sich nach dem Sonnenjahr richtet, also ein längeres Jahr hat als der Hidschra-Kalender.

Eine Umstellung auf den Hidschra-Kalender hätte zwei Vorteile: Zum einen hätte man eine der von vielen AKP-Anhängern verhassten Reformen Atatürks zurückgenommen, andererseits würden der 17. und 25. Dezember wegfallen und völlig in Vergessenheit geraten. Der 17. Dezember fiele auf den 13. Sefer, den zweiten Monat des islamischen Kalenders des Jahres 1435. Der 17. Dezember mag im Gedächtnis der Türken befleckt sein, der 13. Sefer ist es nicht. Eine solche Umstellung würde außerdem den Vorteil bieten, die Beziehungen zu den korrupten Regierungen im Nahen Osten besser koordinieren zu können.

Eine andere Möglichkeit bestünde darin, das Jahr vielleicht am 16. Dezember enden zu lassen. Zwar würde dann das Jahr nur 350 Tage dauern und Weihnachten ausfallen, weil es den 24. Dezember nicht mehr geben würde. Aber die Türken feiern ja sowieso kein Weihnachten.

Und dass die AKP keine Probleme damit hat, die Zeit umzustellen, hat sie im Rahmen der Neuwahlen auch schon bewiesen: Für diese hatte sie die Umstellung auf die Winterzeit kurzerhand um zwei Wochen aufgeschoben.