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Gesellschaft

Das Kopftuch – ein (Zünd)stoff für immerwährende Diskussionen

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Wird das Tuch um den Hals, die Taille oder um die Haare gebunden, sieht es modern und stilbewusst aus.

Wird es jedoch um den Kopf gebunden, scheiden sich die Geister an der Wirkung der Ausstrahlung. Für die einen ist das Umhüllen des Kopfes mit einem Tuch ein Zeichen der Unterdrückung, Rückständigkeit, kulturellen Abgrenzung oder des Fundamentalismus. Für die anderen ist das Kopftuch ein Teil ihres Glaubens, ferner des Islam, der sonst – zumindest von außen – mit nichts zu assoziieren ist.

Als die ersten verhüllten Gastarbeiterinnen Ende 1950er Jahren nach Deutschland kamen, fielen sie vereinzelt hier und da auf, waren aber eher in Fabriken zu finden als in der Öffentlichkeit präsent. Später wurden die Kopftuchträgerinnen wahrgenommen, insbesondere in Parks, Geschäften und Schulen. Solange sie aber keine Ämter innehatten, somit nicht vertreten waren im (gehobenen) beruflichen Leben, war das Augenmerk nicht auf sie gerichtet. Sie waren ja schließlich auch noch Gäste in Deutschland. Gäste nimmt man wie sie sind; man ist höflich, man diskutiert nicht zu viel mit ihnen, man versucht sie nicht zu ändern, denn sie werden eines Tages wieder zurückkehren. Doch diese Rechnung ging nicht auf und die Gäste blieben in Deutschland.

Der Fall Fereshta Ludin

Die Realität der Kopftuchträgerinnen machte sich erstmals mit dem Fall von Fereshta Ludin öffentlich bemerkbar, als sie Ende der 90er Jahre vor Gericht zog, um als kopftuchtragende Lehrerin an einer öffentlichen Schule in Baden-Württemberg arbeiten zu dürfen. Das uneinige Gericht nahm bei seiner Entscheidung eine Zwitterstellung ein und stimmte mit der Mehrheit von fünf gegen drei Stimmen für ein Urteil, wonach die Bundesländer selbst entscheiden sollen, ob das Kopftuch erlaubt oder verboten werden soll. Nach diesem Urteil von 2003 erließen mehrere Bundesländer pauschale Kopftuchverbote.

Gastarbeiter-Musliminnen mit Kopftuch wollten mehr als nur Hausfrau sein, sie wollten nicht einfache Arbeiten in Fabriken verrichten. Sie wollten nicht zurück in ihre ursprüngliche Heimat und genauso wenig wollten sie Deutschland den Rücken kehren. Sie holten sogar ihre Kinder nach Deutschland, schickten diese in deutsche Schulen, ihre Kinder sollten in dem neuen Land eine berufliche Laufbahn anstreben. Sie hatten im Bestreben dieser Ziele auf natürlichem Wege in Deutschland Wurzeln geschlagen und fühlten sich dem Land verbunden. Sie waren schon längst Teil der deutschen Gesellschaft, ohne dass dies vielleicht ihnen selbst bewusst war.

Während dieser Prozesse fielen immer mehr junge Frauen mit Kopftuch auf, die nun beruflich Fuß fassen wollten. Krankenschwestern, Altenpflegerinnen, Verkäuferinnen, Erzieherinnen, Ärztinnen, Rechtsanwältinnen und Architektinnen, die nun nach einer Anstellung suchten.

Zeigen ja, aber nur im Privaten

Über 50 Jahre sind seit dem Gastarbeiteranwerben vergangen. Kopftuchträgerinnen gibt es schon seit dieser Zeit in Deutschland. Sie haben sich weiter entwickelt; sprechen sehr gut Deutsch, haben eine beendete berufliche Ausbildung und möchten ihr Know-how der Gesellschaft zur Verfügung stellen. Sie sind eigentlich überall vertreten, wenn es (im privaten Raum) um Konsum, soziale Medien oder Freizeitstätten besuchen geht. Nur eins bleibt ihnen verwehrt: den privaten Raum zu verlassen. Die Kopftuchträgerin darf sich bilden, emanzipieren, aber sie soll sich nicht blicken lassen in beruflichen Positionen. Denn die westlich schulisch erzogene, selbstbewusste, zum Teil eingedeutschte Kopftuchträgerin ist dem Schein nach unterdrückt, ungebildet, rückständig und fundamentalistisch. Das tatsächliche Sein spielt keine Rolle.

Gerade die Expertise der Generalanwältin von Juliane Kokott ist ein exemplarisches Beispiel für die Haltung gegenüber Kopftuch tragenden Frauen. In ihrem Entscheidungsvorschlag an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) sieht sie das Kopftuchverbot als gerechtfertigt an, wenn der Arbeitgeber sichtbare politische, philosophische oder religiöse Zeichen generell verbietet (Rechtssache C-157/15).

Dieser Stellungnahme vorausgegangen war der Fall einer Kopftuchträgerin in Belgien, die als Rezeptionisten gekündigt wurde, als sie künftig mit Kopftuch arbeiten wollte. Dieser Streit landete am Ende vor Gericht. Das höchste belgische Gericht schaltete den EuGH ein, damit er ein EU-Gesetz, ferner das EU-Diskriminierungsverbot wegen Religion oder Weltanschauung auslegen soll. In den meisten Fällen folgen die Richter der Empfehlung des Generalanwalts.

„Wie viel fremde Religiosität verträgt unsere Gesellschaft?“

Ähnlich wie in den 90er Jahren im Fall Ludin, als sich das Gericht mit unter anderem mit der Frage „Wie viel fremde Religiosität verträgt unsere Gesellschaft?“ beschäftigte, stellt auch Kokott in ihrer Einleitung folgende Frage: „Wie viel Anderssein und Vielfalt muss eine offene und pluralistische europäische Gesellschaft in ihrer Mitte dulden und wie viel Anpassung darf sie umgekehrt von bestimmten Minderheiten verlangen?“

Diese Fragen sind immer noch offen, da immer noch nicht anerkannt wird, dass hinter dem Kopftuch nur der Glaube an den Islam steht und Kopftuchträgerinnen auch eine vollwertige Arbeitskraft wie andere erwerbstätigen Frauen sind.

Kokott sieht das Kopftuchverbot des Unternehmens als eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung, die angemessen ist und in Verfolgung eines rechtmäßigen Zwecks aufgestellt wurde. Begründet wird dies unter anderem mit der Neutralitätspolitik des Unternehmens, „das bei verschiedensten Kunden aus dem öffentlichen wie privaten Sektor u.a. Bewachungs- und Sicherheitsdienste, aber auch Rezeptionsdienstleistungen erbringt und dessen Mitarbeiter bei allen diesen Kunden flexibel einsetzbar sein müssen“. Es gelte „den Eindruck zu vermeiden, dass die von einer Arbeitnehmerin durch ihre Kleidung öffentlich zur Schau gestellte politische, philosophische oder religiöse Überzeugung von Außenstehenden mit dem Unternehmen (…) bzw. mit einem von dem Unternehmen versorgten Kunden in Verbindung gebracht oder gar diesem zugerechnet werden könnte.“

Aus diesen Ausführungen ist der Rückschluss zu ziehen, dass eine Kopftuchträgerin nicht flexibel einsetzbar ist und dass das Kopftuch dem Unternehmen zugerechnet werden könnte.

Die Islamisierung von Media Markt

Das würde unterem bedeuten, dass das Kopftuch einer Verkäuferin an der Kasse dem Geschäft zugerechnet werden würde. Um sich dies bildlich vorzustellen: Ist eine Kopftuchträgerin bei Media Markt angestellt, würde es bedeuten, dass Media Markt nun den Islam vertritt. Welch eine befremdliche Vorstellung im 21. Jahrhundert. Ist in einem türkischen Lebensmittelgeschäft eine deutsche Kassiererin beschäftigt, würde niemand auf die Idee kommen zu fragen, ob das Geschäft möglicherweise nun von einem Deutschen übernommen worden sein könnte.

Auf der anderen Seite hat Kokott Recht mir der Behauptung, dass Kopftuchträgerinnen nicht flexibel einsetzbar sind. Gerade die Scheu vieler Unternehmer vor Kopftuchträgerinnen erschwert ihre Einstellung.

Es ist an der Zeit, die tatsächliche Arbeitsqualität der Kopftuchträgerinnen wie der Nichttragenden zu beurteilen, um ihnen die Chancengleichheit zu gewähren. Diese qualifizierten Arbeitskräfte sind verlorenes Potential, das Deutschland abhanden geht. Schon heute hat Deutschland Schwierigkeiten, Arbeitskräfte zu finden, weswegen es Arbeiter aus dem Ausland holt. Statt das in Deutschland befindliche Potential zu verwerten, welches die Lebensbedingungen in Deutschland kennt, werden Fremde in das Land geholt, die erst lange eingearbeitet werden müssen.

Wie viele der Gegner kennen Kopftuchträgerinnen persönlich? Wie viele haben ein Gespräch mit ihnen geführt? Wie viele Kopftuchträgerinnen haben den Kontakt zu den Gegnern gesucht, um sich vorzustellen?

Mittlerweile stellt sich die Frage, wann der Schein dem Sein den Vortritt gewährt und endlich auf realitätsnaher Ebene konstruktiv debattiert wird.