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Politik

Flucht vor dem Unrecht: Das Leiden eines Lehrers

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Der Putschversuch 2016 hat in der Türkei einiges verändert. Viele Familien und Freunde haben sich getrennt. Viele sind verhaftet worden, andere konnten flüchten. So oder so haben Menschen, denen eine Beteiligung am Putschversuch vorgeworfen wird, viel Leid erlitten. Aber auch schon vor dem Putschversuch wurden Menschen festgenommen, die eine Verbindung zur Gülen-Bewegung haben. Einer davon ist Mehmet Alp. Seine Geschichte erschüttert. 

Eigentlich ist Mehmet Alp ein gewöhnlicher Lehrer. Dafür hat er sich jedenfalls selbst gehalten. 19 Jahre hat er Chemie unterrichtet. Seine letzte Arbeitszeit in der Türkei hat er in Cizre, im Südosten der Türkei, verbracht. Doch im April 2015 veränderte sich sein Leben für immer. An jenem Frühlingstag stoppte ein weißer VW Polo vor ihm. Als der Lehrer sich beugte, weil er vermutet hatte, es sei ein bekannter, wurde er unerwartet in den Polo gezerrt. Bevor Alp überhaupt verstand was los war, zückte einer der Männer eine Polizeimarke. Ein anderer Mann erläuterte kurz: „Entschuldigen Sie bitte, wir wollten etwas besprechen. Es wurde eine harte Einladung.“

Zu erfahren, dass es sich bei den fremden drei Männern um Polizisten handelte, hatte ihn zwar erleichtert, er war dennoch weiterhin verwundert über diese ungewöhnliche Situation. Die Polizisten zögerten nicht lange und fingen an Fragen zu stellen. Sie hatten eine Liste dabei, auf der angeblich Namen jener Schüler draufstanden, die sich der Terrororganisation PKK angeschlossen hätten. Einige davon seien gleichzeitig bei der Nachhilfeeinrichtung FEM angemeldet. Die Männer sollen Alp dazu gezwungen haben, ein Papier zu unterzeichnen, in dem behauptet wird, dass diese Schüler durch die FEM und der Gülen-Bewegung an die PKK weitergeleitet worden seien.


Die Nachhilfeeinrichtung FEM war in der Türkei für ihre Nähe zur Gülen-Bewegung bekannt, bis sie nach dem Putschversuch geschlossen wurde. Allein in Istanbul gab es über 20 Einrichtungen der FEM.  


 

„Denk an deine Frau und dein Kind“

Alp hat sich das Papier, das ihm zur Gegenzeichnung vorgelegt wurde, angesehen und zeigte sich irritiert: „Einige dieser Schüler kenne ich aus meiner Schule, ja, aber die allermeisten kenne ich gar nicht.“ Diese Antwort soll dazu geführt haben, dass die Polizisten unfreundlich geworden sind: „Wenn du das nicht unterschreibst, vergraben wir dich hier. Du hast Frau und Kind. Denke an sie.“

„Wir holen dich aus dem Terrorgebiet raus“

Eine Unterschrift würde sich zudem zu seinen Gunsten auswirken: „Bei einer Unterschrift musst du nicht mehr in diesem Terrorgebiet bleiben. Wir schicken dich hin, wo du willst. Wir sind im Besitz dieser Macht.“ Alp war wieder überrumpelt von der ganzen Situation. Er sagte lediglich, dass er kein falsches Eid ablegen können.

Alp musste 23 Monate in Haft

Das kurzzeitige Verhör, infolgedessen er auf irgendeiner Nebenstraße wieder aus dem Fahrzeug geschmissen werden sollte, war aber nur der Anfang der Geschichte des Lehrers Mehmet Alp. Zwei Monate vor dem Putschversuch in der Türkei wurde Alp dann festgenommen. Innerhalb von 23 Monaten wechselte Alp drei Städte und musste in insgesamt 17 unterschiedlichen Zellen verweilen.

Alp erinnert sich ungern an diese Zeit zurück. Er behauptet, im Gefängnis gefoltert worden zu sein. „Ich habe viele Menschen gesehen, die gefoltert worden sind. Mit Hilfe von Folter wurde dafür gesorgt, dass viele Dokumente unterschrieben worden sind. Auch ich habe sowohl meine psychische als auch körperliche Gesundheit verloren.“

„Situation in den türkischen Gefängnissen hat sich nach Putschversuch verschlimmert“

Vor allem nach dem Putschversuch habe sich die Situation verschlimmert, so Alp. Er soll in dieser Nacht in eine Zelle verlegt worden sein, die eigentlich für 14 Personen gedacht ist, aber in jener Nacht seien 41 Personen dort verlegt worden sein. Es habe kein heißes Wasser, keine Klamotten und Betten gegeben. Nach der Verkündung des Ausnahmezustands sei es noch einmal schlimmer geworden. Man konnte sich nicht einmal Obst und Gemüse holen. Aufgrund des schlechten Essens habe sich sein Dickdarm zerrissen. Trotz Blutungen sei ihm kein Arzt zur Hilfe geeilt. Erst Tage später sei einer gekommen und habe lediglich von der Tür der Zelle hineingeschaut. Seine Worte, die er flüsternd von sich gab, schockierten die ganze Zelle: „Ich verstehe Ihre Situation, aber uns wurde es verboten, sie zu behandeln.“

Erst nach einigen Monaten soll Alp in ein anderes Gefängnis verlegt worden sein, in der auch eine Behandlung erfahren hat. Und erst jetzt erfährt er, was ihm konkret vorgeworfen wird und warum er verhaftet worden ist. Dazu gehört die Vergangenheit seiner Ehefrau, sein Konto bei der Gülen-nahen Bank Asya und einiges mehr.

Irritierende Festnahme der Ehefrau

Aber bevor Mehmet Alp selbst festgenommen wurde, erlitt er einen anderen Schock: Nicht er, sondern seine Frau Nejla Alp wurde von einer Spezialeinheit der türkischen Polizei mitgenommen. „Es geht um die Beamtenprüfung von 2010“, sollen die Beamten gesagt haben. Allerdings kam das der Familie seltsam vor. Alp war nämlich schon 2009 zur  Beamtin berufen worden und hatte 2010 gar keine Prüfung abgelegt. Dennoch wurde sie eine Zeit lang verhört und später mit Auflagen wieder freigelassen.

„Unschuldsbeweis ist innerhalb der Gesellschaft schwieriger“

Letztlich hat die Familie sich dafür entschieden, das Heimatland zu verlassen, weil er neben seiner Gesundheit, auch seine Arbeit und Freunde verloren habe, so Alp. Alp dazu weiter: „Sie hatten Angst. Nach der kurzen Festnahme meiner Frau ist die Zahl der Anrufe an uns stark gesunken. Es bedeutet nicht viel, dass man vom Gericht freigesprochen wird. Zu beweisen, dass man unschuldig ist, ist innerhalb der Gesellschaft noch schwieriger.“

„Die Griechen haben uns geholfen“

Auf seiner Flucht nach Griechenland habe er neben seiner Familie lediglich seinen Gebetsteppich, seinen Koran und seine türkische Flagge bei sich gehabt. Nach einem langen Weg von acht Stunden mit den Kindern, kamen sie in Griechenland an. Hier hat man sie sechs Tage in einem Gefängnis festgehalten: „An diesem unhygienischen Ort habe ich meinen besten Schlaf seit drei Jahren bekommen. Die Griechen haben uns ihre helfende Hand gereicht. Bürger, Polizisten..jeder hat versucht, uns zu helfen.“

Jetzt versucht Mehmet Alp seinen Leidensgenossen dieselbe Hilfe zu leisten. Wenn nötig, empfängt er in seiner kleinen Wohnung in Griechenland geflüchtete Familien.