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Menschenrechte

Das Rätsel um die tote Rabia Naz

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Rabia Naz - starb sie durch einen Autounfall oder war es Selbstmord?
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Der Fall der toten Rabia Naz beschäftigt die türkische Öffentlichkeit seit April 2018 in regelmäßigen Abständen. Die Behörden behaupten, dass es Selbstmord war. Der Vater glaubt das aber nicht und ermittelt seit Monaten auf eigene Faust. Seine Ergebnisse machen den Tod seiner Tochter zu einem Politikum. Das Rätsel bleibt ungelöst.

Rabia Naz Vatan ist erst elf Jahre alt, als ihr Vater sie schwer verletzt vor ihrer Haustür in Eynesil, einer Kleinstadt bei Giresun an der türkischen Schwarzmeerküste, auffindet. Wenig später erliegt Rabia im Krankenhaus ihren Verletzungen. Was am 13. April 2018 mit dem kleinen Mädchen geschehen ist, konnte bis heute nicht geklärt werden. Ihr Vater Şaban Vatan ist weiter auf der Suche nach der Wahrheit und will die Verantwortlichen vor Gericht bringen. Der Fall hat sich seitdem zu einem Dauerthema entwickelt. Das hat auch mit dem vermeintlich politischen Hintergrund zu tun.

Selbstmord oder Autounfall?

Für die Polizei steht fest: Es war Selbstmord. Rabia soll durch einen freiwilligen Sprung aus dem fünften Stockwerk ums Leben gekommen sein. Ihr Vater ist von dieser Version allerdings ganz und gar nicht überzeugt. Er sagt, dass es ein Autounfall gewesen sein muss; einer, bei dem der Fahrer geflüchtet sei.

Seinen Angaben zufolge soll auch die erste Autopsie als Todesursache einen Zusammenprall mit einem Auto ergeben haben. Diese Erkenntnis sei aber sehr schnell wieder widerrufen worden. Der Vater erklärt, er habe vor dem Haus, vor dem er seine Tochter fand, weder Blut- noch andere Spuren ausfindig machen können. Deshalb geht er sogar davon aus, dass Rabia woanders angefahren und dann vor der besagten Haustür abgesetzt wurde. Seine Ermittlungen und Zeugenbefragungen hätten ergeben, dass an jenem Tag in dem Ort ein schwarzes Auto gesehen wurde, das auffällig schnell unterwegs gewesen sei.

Während der Vater zunächst von einem Autounfall mit Fahrerflucht ausgeht, nimmt der Fall in der Folge politische Dimensionen an. Denn Şaban Vatan beschuldigt den Neffen des ehemaligen AKP-Bürgermeisters von Eynesil derjenige gewesen zu sein, der seine Tochter tödlich anfuhr. Das hätten seine eigenen Ermittlungen ergeben, erklärt er gegenüber der Deutschen Welle im März 2019.

Daraufhin hätten sich auch einflussreiche Politiker, wie beispielsweise der ehemalige Verteidigungsminister Nurettin Canikli, der Verbindungen zu der Kleinstadt hat, in den Fall eingeschaltet und dazu beigetragen, den Tod von Rabia wie Selbstmord aussehen zu lassen. Canikli weist diese Vorwürfe entschieden zurück. Er habe bereits rechtliche Schritte „gegen die Verleumdungen“ eingeleitet.

„Selbstmord physisch unmöglich“

Ein Selbstmord aus dem fünften Stockwerk sei unmöglich, ist sich der Vater sicher. Schließlich gebe es an dem Haus ein viereinhalb Meter breites Vordach, das die Tochter „niemals allein“ hätte überwinden können. Der Staatsanwalt, dessen Vermutungen in eine ähnliche Richtung gingen, wurde kurze Zeit später von dem Fall abgezogen.

Ein weiteres Indiz, das einen Selbstmord unwahrscheinlich erscheinen lässt, ist der Stroh, den der Vater am Körper seiner Tochter gefunden haben will. Er glaubt, dass man Rabia nach dem Unfall in einer in der Nähe befindlichen Scheune von Blutspuren gesäubert hat. Nach dem Hinweis des Vaters sei die Scheune genauer unter die Lupe genommen worden. Mittlerweile wurde die Scheune abgerissen. Vatan vermutet, dass man so Beweise vernichten wollte.

Die Indizien von Vatan stoßen bei den örtlichen Justizbehörden auf taube Ohren. Als er nicht gehört wird, entscheidet er sich, den Fall über die sozialen Medien öffentlich zu machen. Die Geschichte verbreitet sich rasant, die Kritik am Justizapparat nimmt zu. Daraufhin wird Vatan im März 2019 wegen „Beleidigung“ und „Bedrohung“ festgenommen. Wegen einer „psychischen und neurologischen Erkrankung“ soll er in eine Nervenheilanstalt eingeliefert werden, doch viele Menschen protestieren gegen dieses Urteil und stoppen die Vollstreckung vorerst.

Rabia Naz mit ihrem Vater.

Foto: Twitter / @VatanSaban

Untersuchungskommission nimmt sich der Sache an

Nun ist der Fall auch Gegenstand einer parlamentarischen Untersuchungskommission. Doch schon zu Beginn fiel ein Schatten darauf. Denn Vater Vatan wurde erneut festgenommen. Er soll sich mit drei weiteren Personen als Mitglied der Untersuchungskommission ausgegeben haben und einen Zeugen dazu gedrängt haben, seine Aussagen zu ändern. Später wurden die vier Personen wieder freigelassen. Nun will die größte Rechtsanwaltskammer der Türkei den Vater unterstützen. Zehn Anwälte sollen sich in einer Kommission zusammenschließen und sich mit dem Fall befassen.

Soylu: „Keine Belege für die Behauptungen des Vaters“

Auch der türkische Innenminister Süleyman Soylu hat sich inzwischen eingeschaltet. Soylu behauptet, dass der Fall Rabia Naz instrumentalisiert werde, um der Justiz, der Polizei und anderen Institutionen zu schaden. „Bis heute konnten wir nicht den kleinsten Beleg für die Behauptungen des Vaters finden“, so der Innenminister.

Hoffnung schöpft der Vater indes durch neue Erkenntnisse, die letzte Woche bekannt geworden sind. Das Kriminalgutachten besagt nämlich, dass an der Kleidung des Mädchens, die es beim Auffinden trug, Spuren entdeckt worden seien, die sehr wohl von einem Autoreifen stammen könnten.